Schon wieder ein Frühlingsopfer

TANZ Von Strawinsky zu HipHop: der neuseeländische Tänzer Aloalii Tapu in „Urban Soul Café“ im Ballhaus Ost. In einer etwas arg entspannten Choreografie von Christoph Winkler in der Frage, wie das zusammengeht

Tanz mit eingestelltem Schleudergang: Aloalii Tapu in „Urban Soul Café“ im Ballhaus Ost Foto: Heiko Marquardt_frischefotos.de

von Astrid Kaminski

Er kommt aus dem Land „der langen weißen Wolke“, genauer aus Otara, „Heimat der Mutigen“. Nun steht er in Alu-Pants auf einer weißen Bühne im Ballhaus Ost und tanzt seine Geschichte: die Geschichte des selbstbewussten, gut aussehenden Aloalii Tapu, genannt Lii, eines neuseeländischen Mittzwanzigers (geschätzt) samoanischer Abstammung, der als Einziger seiner Community auszog, das zeitgenössische Tanzen zu lernen. Nicht in die Wälder, wie ihm seine Mutter vorschlug, sondern ans College. „Dancing like a white guy“ nannten das seine Freunde. Denn zeitgenössischer Tanz ist, wenn man die Schwarz-Weiß-Kontraste hochfährt, in seiner Entwicklung so weiß, wie HipHop schwarz ist.

Angefangen hat Tapus Leidenschaft mit „Sacre“, dem legendären Education-Projekt des englischen Tanzpädagogen und Choreografen Royston Maldoom, das 2004 unter dem Titel „Rhythm Is It“ in die Kinos kam.

Und so beginnt das Bühnenporträt „Urban Soul Café“, das nun der Berliner Choreograf Christoph Winkler von ihm zeichnet, mit der wohl berühmtesten Stelle aus Strawinskys „Le Sacre du printemps“, in der das einleitende Fagottmotiv einen Halbton tiefer wiederholt wird und die lyrische Stimmung bald darauf von einem preschenden Streichertutti zerfetzt wird: dem „Tanz der jungen Mädchen“.

Der junge Tänzer rekelt sich zunächst mit ein paar Popping-Moves in den Bläserklang, dann setzt er zu einigen aus der Hüfte getriebenen Sprüngen an und definiert dadurch seinen Ausgangspunkt doppelt: einerseits „Sacre“, andererseits HipHop. Zweimal Protestenergie pur, aber doch ganz anders. Dort ein „weißer“ Kunstskandal, der längst ausgestanden ist, hier eine „schwarze“ Minderheitenkultur, die zwar ebenfalls auf dem besten Weg ist, im Esta­blish­ment anzukommen, deren Protagonisten aber je nach Kontext zumindest noch aus einer echten Polarisierungserfahrung heraus sprechen können.

Das kann Tapu. Allerdings kommt es ihm weniger auf die Polarisierung an als auf die für ihn anscheinend komplizierte Open-Source-Frage, wie sich all das zusammenbringen lässt: seine popkulturellen Generationsgefährten Leon Bridges, Justin Bieber, Taylor Swift und Clean Bandit mit Strawinsky und Purcell. HipHop und Krumping mit Steve Paxton, dem Erfinder der Kontaktimprovisation, und Pina Bausch, der Erfinderin des Tanztheaters. Songzeilen wie „Got nothing in my brain, that’s what people say“ mit repräsentationskritischem Postkolonialismusdiskurs.

Sein Choreograf Christoph Winkler hat eine herrlich relaxte Einstellung zu Themen, die gerade dran sind, die er aber nicht selbst als Bühnensujets erfunden hat: Er probiert sie trotzdem aus, in ordnender Ruhe, ohne viel Effekthascherei (das gilt bei ihm auch für Sujets, die er selbst setzt) – und selbst wenn das Thema schon ein bisschen durch ist. Das war mit „Hauptrolle“ so, das ist jetzt mit „Urban Soul Café“ und dem nicht-weißen Blick auf die zeitgenössische Tanzgeschichte auch so. Gintersdorfer/Klaßen, Jochen Roller, Trajal Harrell beispielsweise haben diesen Diskurs in den letzten Jahren großgeschrieben.

Am meisten berührt Aloalii Tapus ehrliche Bewunderung für Pina Bausch: „Wenn ich die Wahl hätte, würde ich lieber wie diese Lady tanzen wollen als wie ein Muskelboy“

Relaxtheit sei Christoph Winkler nach seinem zuletzt sehr persönlichen Stück „La Fille“ gegönnt. Aber mit ihr allein lässt sich dann doch nicht viel ausrichten.

Orientierung bringt der Choreograf in Tapus Tanzwelt nicht. Über die nette Montage von Song an Song, Arie an Softpop, gewürzt mit einer Art HipHop-Release-Technique und Gesangseinlagen in Altusstimmlage, gerahmt von ein paar Doku-Video-Schnipseln, kommt der Abend bei der Premiere am Donnerstag nicht hinaus. Auch kann Tapus sympathische Bühnenpräsenz nicht darüber hinwegtäuschen, dass er tänzerisch zwar einiges draufhat (besonders schön die Upside-down-Battements aus den Schultersprüngen), aber wenige Ideen, daraus auch etwas zu machen (einschließlich einer recht auffälligen Inflexibilität im Hals-und-Nacken-Bereich).

Am meisten berührt noch die ehrliche Bewunderung für Pina Bausch: „Wenn ich die Wahl hätte, würde ich lieber wie diese Lady tanzen wollen als wie ein Muskelboy.“ Der Titel „Urban Soul Café“ ist als Überschreibung von Bauschs legendärem, von ihr selbst getanztem Stück „Café Müller“ gedacht. Darum begleitet ihr Blick aus einem Porträtfoto den Tänzer den größten Teil des Abends. Hätte das Foto doch gesprochen und Tapu in Pina-Manier ein paar Fragen gestellt! Aber sie schweigt. Vielleicht wartet sie, bis der junge Tänzer echt etwas zu erzählen hat. Der rollt einstweilen zwei Waschmaschinen mit eingestelltem Schleudergang auf die Bühne. Herbstblätter, wahrscheinlich ein „Blaubart“-Zitat, werden darin durcheinandergewirbelt. Buntwäsche.

Wieder 19. und 20. März, 20 Uhr, Ballhaus Ost