Kein Zwang zum Gentest

VERFASSUNGSGERICHT Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung wird nicht absolut geschützt. Der Gesetzgeber darf es mit anderen Interessen abwägen

Eine nüchterne Angelegenheit: Vaterschaftstest mit der Pipette Foto: Boris Roessler/dpa

Aus Karlsruhe Christian Rath

Die 66-jährige Inge Lohmann aus Nordrhein-Westfalen kann den 88-jährigen Mann, den sie für ihren leiblichen Vater hält, nicht zu einem Gentest zwingen. Das entschied jetzt das Bundesverfassungsgericht in einem spektakulären Einzelfall.

Lohmanns Mutter zog die kleine Inge zunächst allein auf. Dann heiratete sie einen Alkoholiker, der die Mutter schlug und Inge missbrauchte. Der jähzornige Vater wurde später von Inges Bruder erstochen, der die Mutter schützen wollte. Hätte sich Inges leiblicher Vater um sie gekümmert, dann wäre ihr diese tragische Jugend erspart geblieben, glaubt sie.

Doch wer ist ihr leiblicher Vater? Inge Lohmanns Mutter nannte ihr einen Mann, doch dieser bestreitet bis heute die Vaterschaft. Längst ist der Mann ein bekannter Künstler, den Inge Lohmann, die selbst malt, bewundert. Vor einigen Jahren erfuhr Lohmann, dass es just dieser Mann war, der 1950 ihre Geburt den Behörden meldete. Nun wollte sie endgültige Gewissheit haben.

Eine klassische Feststellung der Vaterschaft konnte Lohmann aber nicht verlangen. Denn ihre Mutter hatte dies in den 50er Jahren schon einmal versucht. Damals ergaben Gutachten, dass der Künstler nicht Inges Vater sei. Inge Lohmann hofft zwar, dass ein moderner Gentest ein anderes Ergebnis brächte. Das Urteil von damals ist heute aber noch rechtskräftig.

Deshalb verlangte sie lediglich eine Abstammungsuntersuchung, die keine Auswirkungen auf die rechtliche Vaterschaft hat. Hierfür hat der Gesetzgeber 2008 ein separates Verfahren geschaffen. Dabei können zum Beispiel Ehemänner feststellen, ob die ehelichen Kinder wirklich von ihnen gezeugt wurden – ohne gleich die rechtliche Vaterschaft in Frage zu stellen. Dieses neue Verfahren ist laut Gesetz jedoch nicht möglich, wenn ein Kind die Abstammung vom mutmaßlichen biologischen Vater klären will.

Die Klägerin Inge Lohmann hält einen Künstler für ihren leiblichen Vater

Gegen diese Beschränkung klagte Lohmann beim Bundesverfassungsgericht. Doch die Karlsruher Richter lehnten die Verfassungsbeschwerde ab. Zwar sei Lohmanns Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung geschützt. Dem stünden jedoch viele andere Persönlichkeitsrechte entgegen: jene des mutmaßlichen Vaters sowie der Mutter und deren jeweiliger Familien. Sie alle haben möglicherweise kein Interesse daran, die bestehenden Verhältnisse in Frage zu stellen oder mit alten Liebschaften konfrontiert zu werden.

All diese Interessen habe der Gesetzgeber 2008 abgewogen, als er das neue Verfahren zur Abstammungsprüfung einführte. Da es viele verfassungskonforme Lösungen gab, müsse das Bundesverfassungsgericht die Lösung des Bundestags akzeptieren. Künftige Änderungen seien aber durchaus möglich. (Az. 1 BvR 3309/13)

Zufällig hat das Justizministerium bereits Anfang 2015 eine elfköpfige Kommission zur Prüfung des Abstammungsrechts eingesetzt. Dort geht es vor allem um Samenspender und Leihmütter, aber auch um die Frage, wer wann von wem einen Gentest verlangen kann. „Ergebnisse sollen Mitte 2017 vorliegen“, sagte Justizstaatssekretärin Stefanie Hubig nach der Urteilsverkündung.