Sascha Lobo über die re:publica: Ganz schön erwachsen

Am Monag startet in Berlin die zehnte re:publica. Aus dem Bloggertreffen ist eine professionelle Großkonferenz geworden.

Porträt Lobo

Das Orginal. Auf der re:publica 2014 Foto: imago/CommonLense

Erwachsenwerden ist das große Thema von Sascha Lobo, bei diesem Frühstück in einem Berliner Café. In gut einer Woche startet die zehnte re:publica. „Mein digitales Erwachsenwerden ist parallel verlaufen zum Erwachsenwerden der re:publica“, sagt Lobo, im vergangenen Jahr 40 geworden, zwischen zwei Gabeln voll irgendetwas mit Schinken Umwickeltem.

Früher, da hat dieser Sascha Lobo auf der re:publica Spaßvorträge gehalten. Sie hießen „Powerpoint-Karaoke“ oder „Domain-Name-Scrabble“. Einmal warf er mitten in seinem Vortrag den Zufallschatdienst Chatroulette an – und überraschte den Gesprächspartner am anderen Ende damit, dass gerade hunderte Menschen zusahen, wie dieser seinen nackten Penis vor der Webcam massierte. Dann kam, was Lobo seine „Weiterentwicklung“ nennt – über seine bis dato sehr positive Haltung dem Internet gegenüber hinaus. Dieser Lobo sezierte monatelang in seiner politischen Spiegel-Online-Kolumne die Snowden-Enthüllungen. Er, der früher launig über Trolle im Netz sprach, stritt nun mit AfDlern im Fernsehen. Und hielt auf der re:publica Reden über die „Lage der Nation“.

Nicht mehr – so wie anfangs – vor Hunderten, sondern vor Tausenden. Denn in derselben Zeit hat sich auch die re:publica gewandelt – von dem ersten kleinen Bloggertreffen im Jahr 2007 mit 700 Teilnehmern zu einer Konferenz über die digitale Gesellschaft, die ab heute mehr als 8.000 Besucher erwartet. Mehr als verzehnfacht in zehn Jahren.

Einst war die re:publica ein Klassentreffen aller, die sich um das Netz sorgten – vor allem aber ein paar Tage Spaß miteinander haben wollten. Jetzt bespielt die Konferenz 17 Bühnen parallel – von der Schalte zu Edward Snowden über Virtual Reality bis hin zu Modethemen. Noch immer hat alles irgendwie mit dem Netz zu tun. Aber was hat das schon nicht, in unserem durchdigitalisierten Alltag?

Keine Subkultur mehr

Sascha Lobo gehört zu den Veteranen der Konferenz. Er war oft eine Art Keynote-Sprecher. Verändert haben sich beide deutlich: re:publica wie Lobo. Sind reifer geworden, breiter aufgestellt. „Aufgespreizt“, sagt Lobo und meint, dass sich Themen wie Publikum diversifiziert haben.

Seine persönliche Entwicklung sei nötig gewesen, sagt Lobo. Schon „weil wir mitten in einer riesigen digitalen Transformation stecken von fast allem – Gesellschaft, Kultur, Politik, Wirtschaft“. Die Weiterentwicklung der re:publica nennt er „folgerichtig“, weil das Digitale von einer Subkultur zur gesamtgesellschaftlich relevanten Kultur geworden sei.

Sascha Lobo

Netzneutralität, Vorratsdatenspeicherung, Überwachung – Lobo glaubt schon, dass die Debatten der re:publica Dinge verändern.

Doch mit der Ausdifferenzierung und dem Erwachsenwerden ist auch vieles komplizierter geworden. Früher war klar, wer sich auf der re:publica traf: „Wir Blogger“, sagt Lobo. „Männer um die 30.“ Damals war ein Konto bei Twitter noch ein Distinktionsmerkmal. Ende der nuller Jahre lud Lobo seine Follower an einem der re:publica-Abende zur Party in seine Wohnung ein. Lobo, das war damals einer der Größten im kleinen deutschen Twitter-Universum. Heute alles relativ. „Ich habe schmale 360.000 Follower – YouTuberinnen, die über Mode berichten, die außerhalb ihrer Szene niemand kennt, haben das Dreifache von mir.“ Instrumente, die die Szene anfangs quasi für sich hatte, seien jetzt in die Gesellschaft eingesickert.

Wer also ist es, der und die sich heute auf der re:publica versammeln? Immer noch die „Netzgemeinde“?

Den Begriff weist Lobo zurück. Weil es die immer nur mit 29 Anführungszeichen gegeben habe. Eine Art gefühlte Gemeinsamkeit habe es unter diesen „digital Engagierten“ gegeben, sagt er. Auch wenn sie nie eine feste Gruppe gewesen seien, habe man gespürt, „dass es Engagement braucht, weil so viel in die falsche Richtung läuft – netzpolitisch, aber auch in der Entwicklung der Gesellschaft auf digitaler Ebene“. Inzwischen aber hätten sich Netzleute und Gesellschaft so sehr aufeinander zubewegt, dass fraglich wäre, ob diese Trennung überhaupt noch so sinnvoll sei.

Und der Nachwuchs? Lobo sagt, er erkenne da kein Problem. Und das, obwohl er in einem Jahr seine re:publicaner warnte, sie sollten den Anschluss zur Youtube-Generation nicht verpassen. Genau die sieht man aber kaum, auf der gesamten Konferenz – wenn sie nicht gerade aufs Podium geladen ist. Ein wenig neigt die re:publica dazu, mit ihren Machern zu reifen. Vielleicht hat man die Jugend aber auch nur ausgelagert: auf das Teenie-Internettreffen TinCon, das die re:publica-Macher Johnny und Tanja Haeusler noch im Mai erstmals in Berlin veranstalten.

Mehrere rote Besen

Sascha Lobo ist ein gefragter Konferenzredner und greift deshalb für weniger wichtige Termine gerne auf Bodydoubles zurück Foto: Imago/Joachim Schulz

Die Ernüchterung nach Snowden

Und doch hat die Konferenz inzwischen Strahlkraft entwickelt. Klar, vieles, was die Szene dort in der vergangenen Dekade verhandelte, modert heute auf Friedhöfen der vergessenen Meme und Internetdiskurse vor sich hin. Anderes wird heute auf EU-Ebene verhandelt oder in Bundestagsfachausschüssen. Ein Siegeszug?

Nicht wirklich. Von der Netzneutralität bis zur Vorratsdatenspeicherung – mehr als Etappensiege für die digital Engagierten waren meistens nicht drin. Von der Ernüchterung der Snowden-Enthüllungen ganz zu schweigen. Lobo glaubt dennoch, dass die auf der re:publica geführte Debatten Dinge sehr wohl veränderten. „Aber viel langsamer, als wir ungeduldigen Digitalpeople das gerne hätten.“

Sascha Lobo ist zwar einer der Starredner der re:publica, aber nicht gerade Everybody’s Darling. 2012 wurde er einmal mit den Worten „Den nächsten Gast mag eigentlich niemand“ anmoderiert – und erntete Seitenhiebe gegen seine ausgeprägte Selbstvermarktungslust und gegen seinen Werbedeal mit Vodafone wenige Jahre zuvor. Lobo – shitstorm- und trollgeprüft – kam auf die Bühne, verzog keine Miene, verlor kein Wort dazu.

Neben seinem großen Ego war es vor allem seine Rolle als Deutschlands oberster Internet-Erklärbär, die vielen aufstieß. Dieser Social-Media-Fuzzi, der seinen auf Wiedererkennungswert getrimmten feuerrot gefärbten Iro in so ziemlich jede Kamera hielt. Das war Lobo 1.0.

Einzelkämpfer und Zivillobbyist

Nun nähmen manche ihm seine Weiterentwicklung übel, sagt Lobo. Dass er nur noch schlechte Dinge über das Internet sage, sich verbündet habe mit Kulturpessimisten. Voll ist es trotzdem – bei jedem seiner re:publica-Vorträge. Wohl auch, weil mindestens eine kluge Beobachtung, ein schlauer Satz, der noch monatelang im Gedächtnis kleben bleibt, eigentlich immer dabei ist.

„Ich bin Einzelkämpfer“, sagt Lobo. „Immer schon gewesen.“ Als Person unterwegs. Ein Zivillobbyist – der versuche, die Gesellschaft mit seinen publizistischen Mitteln in die Richtung zu bewegen, die er für richtig halte.

2011 beschimpfte er das re:publica-Publikum von der Bühne herunter: Wenn Journalisten immer nur ihn anriefen, um sich neue Phänomene des Netzes erklären zu lassen, dann „ist das euer Problem“, sagte Lobo. „Ihr seid entweder zu doof oder zu leise, um in der Gesellschaft eine Rolle zu spielen.“ Heute sei er nicht mehr der einzige Ansprechpartner für Digitales. „Im Gegenteil. Man kann fast sagen, ich bin in die zweite Reihe gerückt“, sagt er. Finde er großartig – auch wenn ihm die Leute das oft nicht glauben würden.

2015 nahm Lobo eine re:publica-Auszeit. Die erste nach neun Jahren – nach einer gefeierten Ansprache im Vorjahr, bei der er dem Publikum ihr netzpolitisches Versagen nach den Snowden-Enthüllungen um die Ohren geklatscht hatte.

In diesem Jahr ist er zurück. „The Age of Trotzdem“ heißt sein Vortrag heute Abend. Darin werde er vergleichsweise wenig kritisieren, sagt er. Nicht weil es nichts mehr zu kritisieren gäbe – sondern weil das Publikum sich verändert habe. Das verkörpere heute schon lange nicht mehr die – ironisch-sakraler Tonfall von Lobo – „Netzgemeinde“. „Da sitzen jetzt irgendwelche Social-Media-Manager von Siemens, die das als Bildungsurlaub mitnehmen.“ Was völlig in Ordnung sei. Nur halt nicht mehr die Crowd, die flammende Appelle für Netzneutralität in ihrer reinsten Form erreichen.

Ganz schön erwachsen halt.

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