Schlussrunde im NSU-Prozess?

JUSTIZ Richter Manfred Götzl macht Tempo, das Mammutverfahren steht nach drei Jahren vor dem Ende der Beweisaufnahme: Im Herbst könnten die Plädoyers beginnen

Blickt ihrem Urteil entgegen: die Hauptangeklagte Beate Zschäpe Foto: Peter Kneffel/dpa

MÜNCHEN dpa/taz | Seit drei Jahren und 283 Prozesstagen wird in München der NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe und vier Mitangeklagte verhandelt. Nun tritt er in die finale Phase ein.

Am Dienstag geht die jüngste, zweiwöchige Pfingstpause zu Ende. Dann nimmt der Prozess wieder Fahrt auf: Bis zu den Sommerferien im August hat das Münchner Oberlandesgericht ein straffes Programm geplant: drei Termine pro Woche, keine Ausnahmen vorgesehen.

Die Richter, meint Nebenklageanwalt Alexander Kienzle, wollten jetzt „die losen Enden verbinden“ und „das Verfahren zum Ende bringen“. Deutlich wurde das, als Richter Manfred Götzl in einer der letzten Sitzungen versuchte, alle vernommenen Zeugen endgültig zu verabschieden und ihre Vernehmung formell zu beenden. Sowohl Verteidiger als auch Nebenkläger hatten der Entlassung einzelner Zeugen zuvor widersprochen. Ob es dabei bleibe, fragte Götzl. Die Beteiligten sollten es sich bald überlegen.

Anwalt Kienzle, der die Familie des in Kassel ermordeten Halit Yozgat vertritt, zögert: „Es gab ja zahlreiche Zeugen, auch aus den Verfassungsschutzämtern, bei denen aufgrund unvollständiger oder geschwärzter Unterlagen Vorbehalte gegen die Entlassung bestanden.“ Beim Mord an Yozgat war ein Verfassungsschutzbeamter am Tatort.

In den drei Jahren des NSU-Prozesses hat das Gericht versucht, solche „Merkwürdigkeiten“ zu klären – nicht immer erfolgreich. Die Anklage der Bundesanwaltschaft kommt dagegen ohne allzu tiefgreifende Aufklärung der Szenehintergründe aus. Und jetzt habe „das Gericht ja deutlich gemacht, dass es mit der Beweisaufnahme keinen Millimeter über die zu eng gefasste Anklage hinausgehen wird“, klagt Anwalt Alexander Hoffmann, ebenfalls Nebenklageanwalt.

„Ich rechne damit, dass bald eine Fristsetzung erfolgt, bis wann Beweisanträge gestellt werden können“, sagt auch sein Kollege Walter Martinek. Martinek vertritt im NSU-Prozess den einzigen Überlebenden eines NSU-Mordanschlags, einen Heilbronner Polizeibeamten, der 2007 mit seiner Kollegin Michèle Kiesewetter angeschossen wurde. Kiesewetter starb. Auch dieser Anschlag ist bis heute rätselhaft.

Nebenklageanwalt Yavuz Narin klagt: „Die Unterstützung des NSU durch V-Leute, organisierte kriminelle Banden und andere Neonazis konnte nur unzureichend beleuchtet werden.“ Narin vertritt Frau und Tochter des 2005 in München ermordeten Theodoros Boulgarides.

Die Opferanwälte sind skeptisch: Es gebe noch viele offene Fragen

Ähnliches ist aus der Verteidigung des mutmaßlichen Waffenbeschaffers Ralf Wohlleben zu hören. Beide Seiten – Nebenkläger und Verteidiger – arbeiten nach wie vor an Beweisanträgen, um dem Prozess vielleicht noch einmal eine Wende zu geben. So soll am 7. Juni auf Antrag der Wohlleben-Anwälte nochmals der frühere Thüringer Kameradschaftsführer und Spitzel Tino Brandt im Prozess erscheinen.

Die Vorladung des einstigen V-Manns Ralf Marschner, dem zuletzt vorgeworfen wurde, Zschäpe und das NSU-Mitglied Uwe Mundlos beschäftigt zu haben, lehnte der Senat dagegen ab. Bis zum Sommer könnte das Gericht das „eigene Beweisprogramm“ abschließen, schätzt Anwalt Hoffmann. Danach könnten noch letzte Beweisanträge gestellt werden. Die Plädoyers dürften dann im Januar beginnen, und das Urteil könnte im März 2017 verkündet werden.