Kaffee vergiften

Lokalkolorit Die Oberbaumbrücke ist die Missionarsstellung unter den Locations für Filmdrehs in Berlin. Das macht im Alltag der Anwohner Stress, erhöht die Zahl von abgeschleppten Autos, Strafzetteln und Tränen

Porno, Tatort, BVG-Reklame? Oberbaumbrücke ist im Bild Foto: Fabian Zapatka/laif

von Uli Hannemann

Ich bekomme einen Anruf: Schon wieder haben irgendwelche Filmheinis Parkverbotsschilder aufstellen lassen. Am Ufer neben der Oberbaumbrücke, wo meine Freundin wohnt. Das passiert fast jede Woche, da muss man aufpassen wie ein Luchs. Im Grunde beobachtet sie nur noch Vollzeit durchs hintere Küchenfenster unser Auto wie eine Ornithologin einen besonders schrägen Vogel. Und ich soll das Fahrzeug nun wegfahren.

Sie kann das ja nicht. Wenn ich mal so drüber nachdenke, kann sie im Grunde echt nicht viel. Außer vielleicht mehrere Fremdsprachen und Klavier spielen und so Kram. Ach ja, und Drehbücher schreiben. Für Filme! Also letztlich für genau dieselben Arschlöcher, die dann später unser Auto abschleppen lassen.

Hass auf das Publikum?

Aber natürlich spielen ihre Filme niemals näher als fünfhundert Kilometer im Umkreis der Oberbaumbrücke. Warum sollten sie auch? Dafür gäbe es schließlich nicht den allergeringsten Anlass. Wer will so etwas sehen? Kein einziges auch nur entfernt wirbeltierartiges Lebewesen, dessen Hirnleistung nicht komplett in der schwärzesten Nacht einer sämtliche Sinne abtötenden neuronalen Vollstörung verfangen ist, würde eine solche Kulisse wählen.

Doch die Filmleute hier sehen das offenbar anders: Die Brücke muss spätestens seit „Lola rennt“ immer mit im Bild sein. Egal ob in der Serie „Homeland“ oder als Motiv von hundert Werbespots für Mineralwasser oder Hundefutter: Oberbaumbrücke, Oberbaumbrücke, Oberbaumbrücke. Und keiner weiß, warum. Abwechslung ist dem modernen Filmschaffenden offenbar der Teufel. Wie einfallslos kann ein Team von miteinander arbeitenden Menschen eigentlich sein?

Die Oberbaumbrücke ist die Missionarsstellung unter den Locations. Sie macht die Sache aber auch so einfach. Tatort: Oberbaumbrücke. Traumschiff: Oberbaumbrücke. Pornofilm: Oberbaumbrücke. Tier­film: Oberbaumbrücke. Guido Knopp: Oberbaumbrücke. BVG-Rekla­me: Oberbaumbrücke. Dokumentation über die Oberbaumbrücke: Oberbaumbrücke. Polizeilehrfilm über das Abschleppen von Autos: Oberbaumbrücke. Ist das eigentlich Faulheit, Dummheit oder Hass auf das Publikum?

Filmleute, die die O., wie ich sie ab jetzt zur Strafe nur noch nenne, filmen: sie säen Unfrieden, sie ernten Abneigung und halten sich doch für unheimlich wichtig. Als direkte Folge ihrer Unfähigkeit zu kreativer Leistung oder gar zu Visionen machen sie den Alltag für die Anwohner zu einer Hölle aus Strafzetteln und stetiger Alarmbereitschaft.

Abwechslung ist dem modernen Filmschaffenden offenbar der Teufel

Sehe ich die O. in einem der tausend Filme oder Werbespots, in denen sie einmal mehr grundlos im Hintergrund he­rumbrückt, fangen meine Augen vor lauter Überdruss sofort ganz trocken an zu brennen.

Halten etwa sämtliche Produktionsfirmen diesen vollgekotzten Steg, der einzig dazu dient, dass die grölenden Hipstermassen auf dem Weg von Friedrichshain nach Kreuzberg nicht ins Wasser fallen, für das Berliner Wahrzeichen? Was soll das denn bitte für ein Wahrzeichen sein: sieht mit den albernen Türmchen aus wie eine Lego-Brücke, die in irgendeinem Märchenpark über den „verwunschenen Bach“ führt, um das Haus der sieben Zwerge auf dem einen Ufer mit der Strohhütte des dümmsten kleinen Schweinchens auf dem anderen zu verbinden. Wenigstens kommt bei so einem Bauwerk keiner auf die Idee, auch nur einen Papierflieger hineinzulenken.

Die Geschichte der O. Gähn. Schnarch. Vorsichhinsterb. Allein für den Standplatz des Cateringmobils werden sieben Menschen, die hier wohnen, die bescheidenen Kleinwagen abgeschleppt. Was jeden dieser Ärmsten unter den Armen mal eben schlappe zweihundert Öcken kostet – das ist großes Unrecht, das hier tagtäglich völlig unbeachtet von den Augen der Weltöffentlichkeit geschieht.

An diesem Mobil holen sich die Schnarchnasen nun ihren Kaffee, ohne den sie beim millionsten Filmen der O. auf der Stelle dornröschengleich ins Koma fallen würden. Wenn ich in die mitleidlosen Fressen der Absperrschweine, Kabelkacker und Kamerastrolche blicke, die hier die Bewohner terrorisieren, nur um ihre Zuschauer schwerstmöglich zu langweilen, möchte ich ihnen den Kaffee nur zu gern vergiften.