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: Die Kamera begehrt sie

„Mädchen, Mädchen“ (D 1967, Regie: Roger Fritz)

Das Ambiente: Zementfabrik. Bayern (ein Ort namens Bergen). Geröll, gesprengter Berg, Staub, Stein. Dort hinein kehrt Andrea zurück, die von Helga Anders gespielt wird. Sie, Andrea, ist gerade mal achtzehn, sie kommt aus der Erziehungsanstalt, in die man sie gesteckt hat, weil sie was mit dem Chef der Zementfabrik hatte, einem Mann namens Ernst (Hellmut Lange). Er kam dafür in den Knast.

Da befindet er sich noch, als sie – Trieb- oder anderes Schicksal – an den Ort der Affäre zurückkehrt. Ein anderer wartet auf sie, der Sohn des Chefs, den alle nur Junior nennen (Jürgen Jung). Momente des Abwartens, Junior und Andrea umschleichen einander, sie rennen durch den Wald, sitzen im Geröll, tollen herum auf des Schaufelbaggers Schaufel, der Berg wird gesprengt, alles ist Natur, Bergsee, Staub, Stein – und Liebe.

Regisseur Roger Fritz, Mitgründer der legendären Zeitschrift Twen, ein Starfotograf seiner Zeit, hat sich vorm oder beim Dreh von „Mädchen, Mädchen“ in Helga Anders verknallt. Das sieht man. Das spürt man. Die Kamera liebt sie, der Film liebt sie. Übrigens in Schwarz-Weiß. Und fotografiert von Klaus König, der fast zeitgleich bei Syberbergs „Romy. Porträt eines Gesichts“ (und später leider bei ganz viel Fernsehmist) die Kamera führte.

Das Porträt eines Gesichts ist auch dies. So sieht das aus, wenn eine Kamera liebt: Großaufnahmen des Gesichts, er, sie, Schuss und Gegenschuss wie Kuss und Gegenkuss. Wo immer im Vorder- oder Hintergrund Andrea ist, die Kamera sucht sie, findet sie, begehrt sie, zeigt sie, lässt ihr aber Freiheit und Luft, schön im Schönen zu sein, Helga Anders als die Brigitte Bardot des oberbayerischen Bergen.

Die Bäume sind naturgemäß größer als die Menschen, die sich zwischen ihnen filmgemäß doch nicht verlieren. Junior und Andrea, fern erst, kaum zu erkennen, in hinreißender Jagd. Dann geht es zu Boden. Die Blicke, die Finger, die Münder wissen erst nicht genau, was sie miteinander anfangen sollen. Ewig nestelt Junior am Verschluss ihres BHs – und Roger Fritz lässt das drin, dieses viel zu lange Nesteln, fiebriger Aufschub, erst nach einem Umschnitt haben es die Finger von Junior endlich kapiert.

Noch umwerfender ist eine andere Szene, Andrea als Penelope von Rosenheim: Er knöpft ihre Bluse auf von oben nach unten, sie knöpft sie, seinem Knöpfen immer nur knapp hinterher, wieder zu. (Aber nicht ewig so weiter.)

Großaufnahmen des Gesichts, er, sie, Schuss und Gegenschuss wie Kuss und Gegenkuss

Es ist zuerst der Kontrast zwischen Zementfabrik und der schieren Lust an Liebe und Leben, der an dem Film frappiert. Die Menschen sind manchmal verloren im Grau dieser Welt. Nichts Zartes ist an der Arbeit, die anfällt; auch die Menschen sind grob, man nehme nur Schorsch (Klaus Löwitsch), der mit groben Blicken, groben Worten, grobem Lachen auf seine grobe Weise doch sehr attraktiv ist. Aber dann auch die Villa mit ihren Spuren des abwesenden Herrn; man spürt Anziehungs- und Abstoßungskräfte, eine Frau namens Anna, geheimnisvoll, schön; merkwürdig erotisiert, von nicht genau definierbaren Attraktionen durchzogen ist das alles.

Das mit der Liebe kann nicht ewig so gehen. Mit dem Senior kehrt der Ernst des Lebens zurück. Junior soll schließlich studieren. Und Andrea zurück zu den Eltern. Zu dritt sitzen sie am Tisch, streng blickt ein Vorfahr von einem Porträt. Patt oder Schachmatt: Das Spiel ist jedenfalls aus. Und das Leben geht weiter.

Roger Fritz wurde später einer der berühmtesten Wirte von München. Helga Anders starb schrecklich. Dass im deutschen Kino mal etwas wie „Mädchen, Mädchen“ möglich war, ist ein Wunder. Und dass es den Film endlich auf DVD gibt, und dann auch noch in einer perfekten Edition, ist ein großes Glück. Ekkehard Knörer

Die DVD ist ab rund 17 Euro im Handel erhältlich.