Lobbyismus von Airbnb: Die Zweckentfremdung

Ein anscheinend harmloser Club wirbt für Interessen, die denen des US-Konzerns Airbnb ähneln. Kein Zufall, sondern Astroturfing.

Eine Tür, von der der Lack abplatzt. Im Türschloss steckt ein Schlüssel mit einem roten Anhänger, auf dem „Ferienwohnung“ steht

Mit Altbaucharme für den besonderen Flair – macht sich bestimmt gut auf Airbnb Foto: dpa

BERLIN taz | Zwischen Boxhagener Platz und Simon-Dach-Straße in Berlin-Friedrichshain sitzt Sebastian O. auf einem Sofa in seiner Altbauwohnung. Die Bars und Läden in der Gegend sind auf Partytouristen ausgerichtet. Ein guter Ort, um eine Ferienwohnung zu vermieten. Sebastian O. macht das seit Jahren, doch seit Mai existiert das Berliner Zweckentfremdungsverbot. Um der Wohnungsnot zu begegnen, hat der Senat beschlossen, dass private Ferienwohnungen nur in Ausnahmefällen genehmigt werden.

Den etwa 20.000 Anbietern bleibt nur die Möglichkeit, weniger als 50 Prozent ihres selbst genutzten Wohnraums zu vermieten. Wenn Sebastian O. alle zwei Wochen seine Tochter in der Schweiz besucht, möchte er seine Eigentumswohnung vermieten, ohne „kriminalisiert zu werden“, wie er sagt. Dass er jetzt nur noch sein Schlafzimmer anbieten kann, die Couch im Wohnzimmer und das Klappbett im Arbeitszimmer unbelegt bleiben, bedeutet für ihn einen Einnahmeverlust. Seit Juni engagiert sich der Kommunikationsberater deshalb im Berliner Homesharing Club, einem scheinbar unabhängigen Zusammenschluss von Privatvermietern.

Recherchen der taz zeigen, dass die Bürgerinitiative von dem digitalen Ferienwohnungsportal Airbnb maßgeblich unterstützt wird. Das Unternehmen kümmert sich um die Aktivisten und finanziert Gruppenaktivitäten. Sie bieten eigens eine Anleitung an: „Erfahre mehr über Home Sharing Clubs“, lautet der Titel: „Diese Clubs setzen sich für gerechte und leicht verständliche Regulierungen zum Home Sharing in ihrer Stadt ein“, heißt es. Tatsächlich stört den Konzern das Zweckentfremdungverbot. Denn weniger Ferienwohnungen bedeuten weniger Einnahmen für die Kalifornier.

Es kommt ihnen zupass, wenn engagierte Privatpersonen die öffentliche Meinung im Sinne von Airbnb beeinflussen. Das ist die glaubwürdigste Lobbyarbeit. Im Englischen gibt es für ähnliche Initiativen einen Fachbegriff: Astroturfing – benannt nach einer Marke für Kunstrasen. Denn im Gegensatz zur echten Graswurzelbewegung wächst das Engagement nicht organisch, sondern wird wie ein Kunstrasen von oben ausgebreitet.

Zum Gründungstreffen des Berliner Homesharing Clubs hat Airbnb eigens eingeladen. Auch den Ort organisiert und bezahlt der Konzern, und er stellt ebenfalls die Referenten. Sebastian O. versucht das im Gespräch gar nicht zu verheimlichen. Doch auf der Clubwebsite fehlen Hinweise. Die Seite bietet Berichte von den Gruppenaktivitäten und professionelle – ebenfalls von Airbnb bezahlte – Videos mit den Geschichten der Privatvermieter. Auch ein rührseliges Video mit O. und seiner Tochter findet sich dort. Im Abspann der Videos taucht Airbnb als Kooperationspartner auf – nirgendwo sonst. Sebastian O. betont: „Wir sind unabhängig und wollen auch so wahrgenommen werden.“ Er spricht von einer Bürgerinitiative mit15 bis 20 Aktiven sowie Hunderten Mitgliedern.

Prima Publicity

Kurz nach dem konstituierenden Treffen Mitte Juni waren die Club-Aktiven mit einem selbst gemalten Transparent zu einer Sitzung des Bezirksparlaments Mitte gezogen. Das Boulevardblatt B.Z. schrieb voll Mitgefühl über die „Opfer“ des Gesetzes: „Unzweifelhaft aber ist eine Gruppe unter die Räder gekommen, die wahrscheinlich gar nicht gemeint war.“ Die gegenüber den Vermietern wohlmeinende Berichterstattung war auch ein Erfolg für Airbnb. Obwohl das Unternehmen im Bericht nicht erwähnt wird. Präziser: gerade deswegen.

„Wenn ein Unternehmen selbst die Gründung von Bürgerinitiativen initiiert, kann man nicht mehr von einem völlig unabhängigen Engagement sprechen“

30 bis 40 Gespräche mit Politikern haben Sebastian O. und seine Mitstreiter vor der Abgeordnetenhauswahl im September geführt, auch mit dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller und mit Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (beide SPD). Auch bei dem Spandauer SPD-Abgeordenten Daniel Bucholz, der das Gesetz maßgeblich mitformulierte, sprach eine Frau aus dem Club vor. Von Airbnb sei dabei nicht die Rede gewesen. Doch Buchholz sagt auch: „Ich hatte schon den Verdacht, dass die Dame geschickt wurde. Die sollte Lobbyarbeit machen.“

Privatpersonen als Lobbyisten einspannen, Tarnvereine gründen und zivilgesellschaftliches Engagement steuern oder schlicht simulieren – all das sind bekannte Unternehmensstrategien, um geschickt die eigenen Interessen durchzusetzen. Über eine fingierte Graswurzelinitiative versuchte auch die Deutsche Bahn vor einigen Jahren die Debatte über die Bahnprivatisierung zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Die Atomlobby ist mit dem vermeintlich unabhängige Verein „Bürger für Technik“ verbandelt.

Das Unternehmen teilt auf Nachfrage mit: „Airbnb unterstützt Homesharing Clubs, da wir es befürworten, dass Gastgeber zusammenkommen wollen, um sich gemeinsam für Homesharing zu engagieren und ihrem Anliegen Gehör zu verschaffen.“ Die Rede ist von Hilfe beim „Zusammenbringen“, sowie „projektbezogener Unterstützung“.

Ulrich Müller vom Verein Lobbycontrol sieht das kritisch: „Wenn ein Unternehmen selbst die Gründung von Bürgerinitiativen initiiert, kann man nicht mehr von einem völlig unabhängigen Engagement sprechen“, sagt er. „Das ist eine Verflechtung, die offengelegt werden muss.“

Die kritische Masse

Der Berliner Homesharing Club gründet inzwischen Abteilungen in den Bezirken, „um eine kritische Masse aufzubauen“, wie Sebastian O. sagt. Mitte Oktober fand ein Gründungstreffen in Pankow statt. Frisch sanierter Altbau, stuckverzierte Decken. Im Kühlschrank lagern Bier- und Mateflaschen. Wer zu dem Treffen kommen wollte, musste sich vorher in der Airbnb-Community registrieren. „Hey, ich bin Laura. Schön, dass du gekommen bist.“ Neben ihr steht ein Mann Ende zwanzig. Hornbrille, Hemdsärmel hochgekrempelt. „Hey, ich bin Max. Nimm dir schon mal ein Bier, es geht gleich los.“

Die beiden arbeiten bei Airbnb als „Community Organizer“. Was Airbnb darunter versteht, lässt sich einer Stellenausschreibungen des Konzerns für Berlin entnehmen: Community Organizer sollen Vermietern helfen, sich zu Nachbarschaftsgruppen zusammenzuschließen, Aktivisten trainieren und begleiten. Sie sollen Anführer ausbilden und die Gruppen dabei unterstützen, mit Politikern in Kontakt zu treten. Das Organizing-Team für den deutschsprachigen Raum bestehe aus fünf Mitarbeitern.

Weltweit will Airbnb bis Jahresende 100 Clubs in 100 Städten gründen – 73 lassen sich auf den Seiten der Airbnb-Community schon finden. Ihren Anfang nahm diese Konzernstrategie in San Francisco, wo die Vermietung von Ferienwohnungen auf maximal 75 Tage im Jahr beschränkt werden sollte. Airbnb organisierte Tausende Vermieter und investierte mehr als 5 Millionen Dollar – und gewann. In einem Volksentscheid Ende 2015 stimmten 55 Prozent gegen die geplanten Maßnahmen. Wie viel Geld der Konzern in Kampagnen in Deutschland steckt, ist nicht bekannt. Doch nach Berlin hat sich nun auch in Frankfurt am Main ein ähnlicher Club gegründet.

In Pankow erzählen die Privatvermieter ihre Geschichten: Manche vermieten ein Zimmer, um ihr Gehalt aufzubessern. In der letzten Reihe sitzt eine Frau, die eine Wohnung mit Schwimmbad in Prenzlauer Berg besitzt. 125 Euro kostet die Nacht in ihrem exklusiven Apartment. Sie sei fast das ganze Jahr ausgebucht, sagt sie.

So viel Urlaub haben die wenigsten

Airbnb betont dagegen immer wieder, dass es sich bei ihren Vermietern überwiegend um Privatpersonen handele, die nur zeitweise und ohne gewerbliche Interessen inserieren. Eine selbst in Auftrag gegebene Studie besagt: In den ersten sechs Monaten dieses Jahres seien 45 Prozent der angebotenen Objekte für maximal 15 Tage vermietet worden. Zu einem ganz anderen Befund kommt der Datenaktivist Murray Cox.

Er hat ein Programm geschrieben, das die Angebote von Airbnb in 40 Städten auswertet, darunter Berlin. Demnach stehen 73 Prozent aller Angebote für einen Zeitraum von mehr als 90 Tagen im Jahr zur Verfügung. So viel Urlaub haben wohl die wenigsten. 26 Prozent der Nutzer bieten gar mehrere Wohnungen parallel an, der Spitzenreiter vermietet 40 Wohnungen, verteilt über die ganz Stadt.

In Pankow lehnt Max von Airbnb lässig auf einem Stuhl und klickt durch die Powerpointfolien, während ein zweiter Max vor der Runde spricht. Er ist einer der Mitgründer des Clubs. „Wir Homesharer und Airbnb haben natürlich gemeinsame Interessen“, sagt er und zeigt auf eine Folie, auf der zwei Kreise eine Schnittmenge bilden. „Aber wir als Club sind von Airbnb unabhängig.“ Später projiziert er eine Liste mit Anschriften und Mailadressen von Berliner Politikern an die Wand. Er reicht vorformulierte Briefe herum, die man unterschreiben soll. „Wir können uns auch gerne mal treffen und zu Bürgersprechstunden gehen“, schlägt er vor. „Damit macht man denen Druck.“

Der Kommunikationsprofi Sebastian O. weiß um die Fallstricke der Verflechtung mit Airbnb, doch angesprochen auf den Vorwurf des Astroturfing, schluckt er. Dann folgt seine Antwort: Er könne den Vorwurf verstehen, doch „es kommt darauf an, ob man eigenständig Entscheidungen trifft und sich die Leute ehrenamtlich engagieren“. Dies sei bei ihnen der Fall. Dann sagt er: „Es ist ein Glück, dass wir überlappende Interessen haben.“

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