Komische Klanggebilde

KLANGFORSCHUNG Alljährlich bittet die „Hörbar“, Hamburgs zentraler Treffpunkt der experimentellen Musikszene, zum Jahresausklangfestival. Mit dabei ist diesmal der Industrial-Pionier Frieder Butzmann

Klang-, Bild-, Körper- und Bühneninstallation zugleich: Gauthier Keyaerts‘ Installation „Fragments #43-44“ Foto: Gauthier Keyaerts

von Robert Matthies

Präziser kann man es nicht formulieren: „Gute Musik ist, wenn man trotzdem bleibt“, soll Frieder Butzmann einmal gesagt haben. Und einer wie Butzmann muss es wissen: Was der Berliner seit den 1970er-Jahren in seinem „Studio für Komische Musik“ anrichtet, ist alles andere als gewohnte Konzert-, Performance-, Hörspiel-, Filmmusik- oder Opernkost.

Der selbst ernannte „Krachmacheur“ nutzt Küchenmixer oder Salatschüsseln als Instrumente, erfindet eigene wie die Schlauchtrompete und das „Quitschophon“ oder saust einfach nur immer wieder um einen Flügel herum und wirft schließlich eine Platte in die Saiten. Heraus kommt eine Mischung aus nervigem Krach und dadaistischen Sprachverdrehungen, süßer Elektronik und seltsamen Geräuschen.

Butzmann pfeift dabei – ganz im Sinne der lose verknüpften Berliner No-Wave-Dependance „Geniale Dilletanten“, zu deren Mitgründern er in den 1980er-Jahren gehörte – auf technische Perfektion, Virtuosität und traditionelle Modelle von Unterhaltung. Die erste Oper auf Klingonisch mit dem Titel „juHrop“ („Heimweh“) hat Butzmann 2009 gemeinsam mit dem Klingonischlehrer Lieven Litaer komponiert.

Fast immer ist Butzmanns Krachmacherei urkomisch – und immer ein Befreiungsschlag: heraus aus allen Hörgewohnheiten. Ihre Eigenständigkeit möchte Butzmann der Musik zurückgeben – indem er auf Distanz geht: „Gute Unterhaltung ist, wenn uns das Bekannte plötzlich unbekannt ist“, heißt es etwa schlicht im Programmheft zum „Festival Komischer Musik“, das Butzmann 1997 im Berliner Kulturzentrum Podewil gemeinsam mit dem Experimentalmusik-freundlichen Kulturmanager Matthias Osterwold veranstaltete. Wobei „Komische Musik“ nichts anderes meint als: „Sie lässt irgendwelche Gesichtsmuskeln in Aktion treten. Entweder den Lachmuskel (und wo liegt der?) oder den Nasenrümpfmuskel.“

Traurig wird es jedenfalls nicht werden, wenn Butzmann beim „Ausklangfestival“ des Vereins Hörbar am Freitag zur Todes-Soiree lädt: Besungen und „elektromagnetisch bejubelt“ werden sollen da nicht nur in diesem Jahr Verstorbene, sondern auch „ältere Seelen“ und „untote Musiker“.

Die Hörbar ist seit über 20 Jahren Hamburgs zentraler Treffpunkt von Konsument*innen und Produzent*innen experimenteller und elektro-akustischer Musik. Hier spielen sich die hiesigen Freund*innen furchtloser Klangerkundungen jeden Mittwochabend gegenseitig die eigenen Werke vor, tauschen Informationen und planen gemeinsame Projekte.

Regelmäßig finden im Kinosaal des B-Movie, in dessen Foyer die Hörbar zu Hause ist, Konzerte, Lesungen, Tanzperformances und Filmvorführungen statt. Und am Ende jedes Jahres das „Ausklangfestival“. An zwei Abenden treten insgesamt sechs Künstler*innen oder Projekte im Kinosaal auf, im Keller präsentieren sich derweil Labels, die sich mit der Herstellung und dem Vertrieb experimenteller Musik beschäftigen.

Fast immer istButzmanns Krachmacherei urkomisch – und immer einBefreiungsschlag

Komische Musik im Sinne von (nicht nur aufs Gesicht beschränkter) Muskelaktivierung gibt es dabei nicht nur von Butzmann zu hören. Bereits am Donnerstag holt etwa der belgische Kommunikationswissenschaftler und Klangforscher Gauthier Keyaerts weit aus, und das nicht nur mit den Armen.

In seiner interaktiven Geräusch- und Videoinstallation „Fragments #43-44“ präsentiert Keyaerts ein aus Kamera, Klangsammlung und Software bestehendes Instrument, das ihm ermöglicht, mit Gesten und Bewegungen sowohl akustische Signale als auch Videoeffekte zu beeinflussen – und quasi als Dirigent und Interface zugleich zu agieren. Das Ergebnis ist eine ganz instinktive improvisierte Reise durch Klangflächen, Stimmen und Umweltgeräusche.

Zu erleben sind außerdem die ebenfalls audiovisuell arbeitende Hamburgerin Kera Nagel alias Ms. Axint, die Berliner Sängerin, Komponistin und Siebdruckerin Olivia Pils, der Hamburger Experte für randständige Musik Jetzmann sowie Roland Wehling und Felix Baumann.

Hörbar-Ausklangfestival im B-Movie: Do, 29. 12., 21 Uhr: Gauthier Keyaerts, Ms. Axint und Roland Wendling & Felix Baumann; Fr, 30. 12., 21 Uhr: Frieder Butzmann, Jetzmann und Olivia Pils/Fake Mistress