Suche nach dem Berlin-Attentäter: „Dass IS sich bekennt, ist kein Beweis“

Die Polizei fahndet weiter nach dem Attentäter vom Breitscheidplatz. Vieles ist noch unklar, auch, ob wirklich der IS einen direkten Bezug zur Tat hat.

zwei Polizei patrouilliert vor Weinhnachstbäumen

Die Polizei muss weiter Hinweisen nachgehen Foto: dpa

BERLIN taz | Auch am zweiten Tag nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt suchen die Ermittler weiter nach dem Täter und möglichen Komplizen. Einen Tatverdächtigen, den die Polizei am Montagabend eine Stunde nach dem Anschlag in der Nähe der Siegessäule festgenommen hatte, ließ die Bundesanwaltschaft wieder frei, wie sie am Dienstagabend mitteilte.

Gegen den Mann, einen Flüchtling aus Pakistan, gebe es keinen dringenden Tatverdacht, so die Bundesanwaltschaft. Er hatte bei der Polizei umfangreich ausgesagt, aber eine Tatbeteiligung bestritten. Eine Zeuge, der den Mann verfolgt hatte, hatte ihn zwischendurch aus den Augen verloren. Da die Polizei nur eine schlechte Personenbeschreibung hatte, nahmen die Beamten anscheinend den Falschen fest. Auch hätten die kriminaltechnischen Untersuchungen keinen Beleg dafür ergeben, dass der Pakistaner im Führerhaus des LKWs gewesen sei.

Am Dienstagabend hatte sich die Terrororganisation „Islamischer Staat“ zu der Tat bekannt. Die Echtheit der Nachricht ließ sich zunächst nicht überprüfen. Die Form aber entspricht früheren Bekenntnissen, sie wurde auch auf den üblichen Kanälen im Internet verbreitet.

In der kurzen Erklärung gibt es allerdings keinerlei Täterwissen. Auch ein Bekennervideo des Täters wurde bislang nicht veröffentlicht. Das könnte darauf hindeuten, dass der Anschlag nicht vom IS im Irak oder Syrien geplant wurde. Eine ähnlich allgemeine Erklärung hatte der IS auch nach dem Mord an einem 16-Jährigen an der Hamburger Alster im Oktober veröffentlicht. „Dass sich der IS zu dem Anschlag bekennt, ist kein Beweis dafür, dass der Täter oder sein Tatmotiv einen Bezug zum IS hat“, sagt die Berliner Islamismusexpertin Claudia Dantschke. „Es ist lediglich ein Selbstbekenntnis des IS, nicht mehr.“

Fahndung läuft weiter

Generalbundesanwalt Peter Frank hatte schon am Dienstagnachmittag darauf hingewiesen, dass vieles für einen Anschlag mit islamistischem Hintergrund spreche. Der IS hatte zuletzt im November in seinem Magazin Rumiyah genaue Anweisungen für Anschläge von Einzeltätern geliefert. Dabei priesen sie den Angriff mit einem Lastwagen in Nizza, bei dem im Juli über 80 Menschen getötet wurden, als Vorbild.

Ein Fahrzeug sei für einen Angriff gut geeignet, weil es einfach zu beschaffen, aber nicht verdächtig sei, so der IS. „Es ist eine der sichersten und einfachsten Waffen, die man gegen die Kuffar (Ungläubigen) einsetzen kann“, heißt es in dem Artikel. Wichtig sei es, große und schwere Fahrzeuge mit ausreichender Geschwindigkeit auszuwählen.

Bei dem Anschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt waren am Montagabend zwölf Menschen getötet und 48 zum Teil schwer verletzt worden.

Die Ermittler fahnden unterdessen mit Hochdruck nach dem womöglich bewaffneten Täter und etwaigen Komplizen. Auch die Hintergründe des Angriffs und der genaue Tatablauf beschäftigen die Sicherheitsbehörden am Mittwoch weiter. Der Innenausschuss des Bundestags will gegen Mittag in einer Sondersitzung über den Anschlag beraten. Die meisten Weihnachtsmärkte in der Hauptstadt sollen derweil wieder öffnen. Der Breitscheidplatz bleibt jedoch weiter abgeriegelt.

Zum Zeitpunkt des Anschlags noch am Leben

Sollte sich bestätigen, dass der IS hinter der Tat steht, wäre es der erste islamistische Anschlag mit einer Vielzahl von Todesopfern in Deutschland. Dabei verhinderte der polnische Lkw-Fahrer, der beim Attentat auf dem Beifahrersitz saß, möglicherweise sogar noch Schlimmeres. Die Obduktion habe ergeben, dass er zum Zeitpunkt des Anschlags noch lebte, berichtete Bild.de. Ein Ermittler habe von einem Kampf gesprochen. Auch von Messerstichen ist die Rede. Erschossen worden sei der Mann erst, als der Lkw zum Stehen kam.

Nach dem Attentat fand man den Polen tot im Führerhaus. Nach dpa-Informationen wurde er mit einer kleinkalibrigen Waffe erschossen. Von ihr fehlt bislang jede Spur. Der Mann arbeitete für die Speditionsfirma, der der Sattelschlepper gehört.

Ein zunächst festgenommener Verdächtiger wurde wieder freigelassen, nachdem sich gegen ihn kein dringender Tatverdacht ergeben hatte. Berlins Polizeipräsident Klaus Kandt sagte am Dienstag, es sei möglich, dass der gefährliche Täter noch im Raum Berlin unterwegs sei. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) versicherte im ZDF, die Ermittler tappten nicht im Dunkeln. Es gebe Ermittlungsansätze, die würden verfolgt. „Und niemand wird ruhen, bis nicht der Täter oder die Täter gefasst sind“, sagte er in der ARD.

„Ich bin relativ zuversichtlich, dass wir vielleicht schon morgen oder in naher Zukunft einen neuen Tatverdächtigen präsentieren können“, sagte der Vorsitzende des Bunds Deutscher Kriminalbeamter, André Schulz, am Dienstagabend in der ZDF-Sendung Maybrit Illner Spezial. Vieles könne derzeit nicht verraten werden, aber es gebe „gute Hinweise“ und „sehr viele Ansatzpunkte“.

500 Hinweise, aber keine heiße Spur

Die Berliner Polizei hat nach eigenen Angaben mehr als 500 Hinweise zu dem Anschlag erhalten. Neben Zeugenaussagen werten die Ermittler Schulz zufolge DNA-Spuren und Fingerabdrücke aus. Mit GPS-Daten vom Tatabend werde nach dem Handy des Täters gesucht. Auf dieser Basis könne ein Bewegungsbild erstellt werden. „Wir haben viele Möglichkeiten, um die Person auch zu finden“, sagte Schulz.

Am Montagabend war der vermutlich entführte Lastwagen in den Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz im Herzen Berlins gerast. Einschließlich des Polen starben zwölf Menschen, rund 50 wurden teils lebensgefährlich verletzt. Laut de Maizière konnten – neben dem Polen – bislang erst sechs Tote identifiziert werden. Bei ihnen handelt es sich um deutsche Staatsbürger. 14 Menschen rangen am Dienstagnachmittag noch mit dem Tod.

Schon kurz nach dem Anschlag nahm die politische Debatte über die Tat und die Schlussfolgerungen daraus Fahrt auf. So sagte CSU-Chef Horst Seehofer: „Wir sind es den Opfern, den Betroffenen und der gesamten Bevölkerung schuldig, dass wir unsere gesamte Zuwanderungs- und Sicherheitspolitik überdenken und neu justieren.“ Zu diesem Zeitpunkt gab es bereits Zweifel, ob der als Verdächtige in Berlin festgenommene Flüchtling wirklich der Täter war.

CDU-Vize Armin Laschet kritisierte Seehofer für seine Wortwahl. Es sei nicht die „normale Herangehensweise an Politik“, schon vor Ermittlung der Fakten durch die Polizei Schlüsse zu ziehen zu ziehen, sagte er am Dienstagabend bei Maybrit Illner Spezial. „Was ist denn, wenn der Täter aus dem Inland oder aus einem Nachbarland kommt, wie bei den Anschlägen von Nizza oder Brüssel?“

Bundeswehr im Innern?

Unter dem Eindruck des Anschlags bekräftigte die CSU auch ihre Forderung nach erweiterten Einsätzen der Bundeswehr im Innern. Soldaten könnten mit ihrer speziellen Ausbildung und Ausrüstung die Polizei vielfach unterstützen, sagte Florian Hahn, Außen- und Sicherheitsexperte der Partei, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die SPD, die Opposition und auch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sind jedoch der Ansicht, dass die Regeln für die Bundeswehr im Inneren ausreichend seien. Verfassungsrechtlich ist ein vorbeugender Einsatz der Bundeswehr ausgeschlossen und ansonsten nur in außerordentlichen Lagen im Zusammenhang mit Katastrophen oder auch mit einer Verkettung verschiedener Terrorlagen denkbar.

Auch außerhalb Berlins sollen die Weihnachtsmärkte in Deutschland trotz des Anschlags weiter stattfinden. Mehrere Bundesländer überdenken allerdings ihre Sicherheitskonzepte. De Maizière blickte in der Bild-Zeitung nach vorn: „Wenn ich sage, dass wir uns unser freiheitliches Leben nicht zerstören lassen dürfen, gilt das auch für das Silvesterfest.“

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