Zu Gast in der linken Subkultur

Fußballszene So eine Art autonomer Jugendclub: Das Fanprojekt Babelsberg arbeitet seit 15 Jahren als Mittler zwischen jungen Fans des Viertligisten und der Polizei. Nicht jedem Anhänger passt das – aber selbst dafür zeigen die drei Sozialarbeiter Verständnis

„Der Coolness-Faktor kommt aus den Freiräumen“: Desiree Steinhäußer und Florian Franke vom Babelsberger Fanprojekt Foto: Roman Kutzowitz

von Alina Schwermer

Der Fanladen sieht mit seinem ranzigen Chic ein bisschen aus wie ein Jugendclub: alte Sofas, auf denen man tief einsinkt, Graffiti an den Wänden. Von einem Laptop dudelt Musik, über der Sitzecke verkündet ein blaues Graffiti-Krümelmonster „Refugees Welcome“. Florian Franke, einer von drei hauptamtlichen Mitarbeitern beim Fanprojekt Babelsberg, sitzt im Büro am hinteren Ende des Fanladens, das lange Zeit gar keine Tür hatte. Unnötig, finden sie hier.

Es soll nicht hierarchisch wirken. „In einem normalen Jugendclub ist das Programm vorgeschrieben“, sagt Franke. „Hier können die Fans sich selbst verwirklichen. Wir wollen ihnen nicht zu sehr reinreden.“ Der Fanladen in Babelsberg sei eher wie ein autonomer Jugendclub: ein Ort, an dem die Sozialarbeiter Zurückhaltung üben.

Florian Franke, eigentlich Politikwissenschaftler, ist seit einem Jahr bei dem vereinsunabhängigen Projekt, das mit Anhängern des Fußball-Viertligisten SV Babelsberg arbeitet. Es ist eines der ältesten von derzeit 57 Fanprojekten in Deutschland (siehe Kasten), im Dezember feierte man 15-jähriges Jubiläum. „Die Grundlage unserer Arbeit ist Beziehungsarbeit“, sagt Franke. Das Fanprojekt will eine Mischung sein aus Interessenvertretung für Fanrechte und Sozialarbeit, aus politischer Bildung und Jugendbetreuung.

Hilfe bei Problemen

U18-Fahrten zu Auswärtsspielen, Vortragsreihen und Kulturangebote, Gewaltprävention, Vermittlung zwischen Fans und Polizei, aber auch Hilfe bei Problemen wie Drogensucht – es gibt viele Aufgaben. Das sei gar nicht so problemorientiert, sagt Frankes Kollegin, die Sozialarbeiterin Desiree Steinhäußer. „Wir lassen die Leute auf uns zukommen und gucken, was sie wollen und brauchen.“

Die Fanprojekte fußen in Deutschland auf dem 1993 beschlossenen Nationalen Konzept für Sport und Sicherheit – kurz NKSS. Es will, wie es so schön im Fachterminus heißt, präventive Sozialarbeit in den Fanszenen fördern: Eine Folge der Hooligan-Problematik und der schweren Gewaltwelle in den 1980ern, aber auch einer neuen und politischeren Fankultur.

„Generell wird gehofft, dass Fanprojekte Subkulturen pazifizieren“, sagt Franke. Das kommt nicht bei jedem gut an, gerade in einer traditionell linken Szene wie beim SV Babelsberg. „Es gibt Leute hier, die das kritisch sehen, und es wird immer Menschen geben, die keinen Bock auf Sozialarbeiter haben. Sie wollen sich nicht in ihre Subkultur reinreden lassen, und ich kann das verstehen.“

Die Mitarbeiter des Fanprojekts Babelsberg leisten einen Balanceakt: Ihr Projekt ist indirekt Teil der offiziellen Sicherheitsstruktur, sie sitzen mit der Polizei an einen Tisch. Gleichzeitig fußt ihre Arbeit auf dem Vertrauen der Fans, deren sie sein Lobby wollen. „Es ist wichtig, als Sozialarbeiter hier einen Zugang zur Klientel zu haben“, sagt Franke. Das müsse nicht unbedingt Fußball sein; auch Ahnung von Punk-Bands oder Graffiti könne helfen. „Wenn das Verständnis für linke Subkultur fehlt, wird es schwierig.“

Die Sozialarbeiter haben deshalb oft einen ähnlichen politischen Background; so fällt es leichter, sich in die Strukturen der Fanszene einzuarbeiten, Vertrauen zu gewinnen und zu lernen – manchmal ganz banale Dinge: „Anfangs kannte ich einige Leuten unter drei bis vier verschiedenen Spitznamen“, erinnert sich Franke. „Das war ein Highlight, wenn sich die Namen dann zu einer Person zusammenfügten.“

Jedes der deutschen Fanprojekte hat eigene Schwerpunkte; die politische Kultur in Babelsberg hat auch das Fanprojekt geprägt. Während es bei Clubs mit viel rechter Klientel schon eine Herausforderung sein kann, sich gegen Nazis zu positionieren, ist in Babelsberg das antifaschistische Engagement seit Jahren breiter Konsens. Seit 2001 gibt es das antirassistische Stadionfest „Der Ball ist bunt“, seit 2014 das Flüchtlingsteam Welcome United, und bereits seit 2009 können Asylbewerber des Heims Nuthetal umsonst zu Heimspielen kommen.

Das Fanprojekt Babelsberg gibt es seit 15 Jahren. Es ist vereinsunabhängig und wird zur Hälfte vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) und zur Hälfte von der Stadt Potsdam und dem Land Brandenburg finanziert. Der jährliche Etat beträgt 150.000 Euro, es gibt drei hauptamtliche Mitarbeiter.

Fanarbeit in Deutschland besteht aus zwei Säulen: den ­vereinsunabhängigen Fanprojekten und den Fanbeauftragten, die von den Clubs benannt werden. Alle Fußballvereine der 1. und 2. Liga müssen einen hauptamtlichen Fanbeauftragten benennen, der den Dialog mit der Szene führt.

Fanprojekte sind sozialpädagogisch ausgerichtet und sollen eine friedliche, demokratische Fankultur fördern. Außerdem sind sie Mittler zwischen Fans, Clubs und Polizei. Es gibt 57 Fanprojekte in Deutschland, die mit 63 Fanszenen arbeiten. Das älteste Fanprojekt in Bremen existiert seit 1981. Im Fokus ­stehen vor allem jüngere Fans – das in Babelsberg richtet sich primär an 14- bis 27-Jährige.

In Berlin gibt es zwei dieser Initiativen: Seit 1990 das Fanprojekt Berlin für BFC Dynamo-Fans und Herthaner, und das Fanprojekt Streetwork Alte Försterei, das seit 2015 mit der Szene von Union arbeitet. (asc)

Ohne Zeigefinger

Trotzdem sei nicht alles Engagement selbstverständlich, berichtet Franke: Bei Themen wie Sexismus und Homophobie sei die Bereitschaft, sich damit auseinanderzusetzen, nicht mehr so groß. „Aber wir können auch nicht erwarten, dass die Jugendlichen bei allem super kritisch sind.“ Franke und seine Kollegen wollen in solchen Fällen nicht die Pädagogen mit dem Zeigefinger geben, sondern warten, dass aus der Szene selbst Contra kommt.

Denn: Auch wenn die Anhängerschaft offener ist als anderswo, bleibt manches schwierig. Frauen und Migranten seien immer noch zu wenig vertreten. Wer im Fanladen abhängt, ist in der Mehrheit männlich und weiß. Doch auch da sind es die kleinen Dinge, die etwas anstoßen sollen. Bastian Schlinck, der dritte hauptamtliche Mitarbeiter, führte jüngst ein, dass es Tampons auf dem Mädchenklo gibt. Daran hatte bis dahin schlicht niemand gedacht.

Handeln statt vorschreiben, Zurückhaltung statt Zurechtweisung – das ziehe die Leute an, sagt Franke. „Ich denke, der Coolness-Faktor kommt aus den Freiräumen. So was ist sonst nicht so oft gegeben.“ Durch die Fanprojekte sei die Fankultur beständiger geworden. Und wenn dann etwas entschieden werde, was den Sozialarbeitern nicht passt, sei es eben erst mal so. „Es ist ihre Subkultur. Wir sind hier nur zu Gast.“