Der Tanz des Untergangs

POGOMorgen wird im Monarch „Stirb nicht im Warteraum der Zukunft“, ein neuer Reader zum Ost-Punk, vorgestellt

Sie waren die „negativ-dekadenten“ Elemente, wurden wegen „asozialen Verhaltens“ vor Gericht zitiert und eingebuchtet, und immer wieder stand die Stasi zur „Klärung eines Sachverhalts“ auf der Matte: Punks galten dem Regime in der DDR als natürliche Feinde, in den Achtzigern zählten sie zu den am meisten bekämpften oppositionellen Gruppen des Honecker-/Mielke-Apparats.

In „Stirb nicht im Warteraum der Zukunft“ erzählt US-Autor Tim Mohr die Geschichte des Ost-Punks dieser Dekade. Mohr, der lange in Berlin gelebt hat und Kontakt zu den (ehemaligen) Protagonisten der DDR-Punkszene hatte, versucht sich an einer Art Gesamtüberblick – mit Schwerpunkt auf Ost-Berlin. Dabei gehört der DDR-Punk nicht zu den wenig ausgeleuchteten Stellen deutscher Musikgeschichte – es gibt zahlreiche Bücher, unter anderem von Frank Willmann und Anne Hahn, es gab etwa den Film „Ostpunk! – Too much future“ (2006) und eine gleichnamige Ausstellung im Jahr 2005.

Mohrs kürzlich erschienenes Buch dürfte so vor allem für die interessant sein, denen der DDR-Punk nicht so geläufig ist. Große inhaltliche Überraschungen birgt es nicht: Die wichtige Rolle der offenen Arbeit in den Kirchen, innerhalb der die Subkultur gedeihen konnte, wird betont – in Berlin vor allem in Friedrichshain (einem Graffito in der Pfingstkirche ist auch der Titel des Buches entnommen). Die Säuberungs- und Verhaftungswelle in den Jahren ab 1983 wird ausführlich geschildert, ebenfalls die Spaltung der Szene in den Aufbruchsjahren der späten Achtziger: Während Bands wie Feeling B den Kompromiss suchten und offizielle Auftrittsgenehmigungen bekamen, blieben Gruppen wie Namenlos um Michael „A-Micha“ Horschig in der Fundamentalopposition.

Deutlich wird die elementare Bedeutung der Festivals in den späten DDR-Jahren sowie die Schlüsselfunktion der Kirche von unten in Ostberlin. Die Geschichte vieler wichtiger Bands – zum Beispiel Planlos und Namenlos aus Ostberlin, Wutanfall und L’Attentat aus Leipzig, Schleim-Keim aus Erfurt – wird erzählt. Am besten ist Mohrs Buch dann, wenn die Biografien das Jahrzehnt hindurch verfolgt werden – wie die von wie A-Micha und Mita Schamal (beide von Namenlos) und Michael Boehlke alias Pankow (Sänger von Planlos). Ausreichend Platz räumt Mohr auch den szeneeigenen Medien wie dem Austausch von Tapes und der Verbreitung von Fanzines ein.

Die Storys der Musiker, die damals um Leib und Leben bangen mussten, haben aus heutiger Sicht einen hohen Unterhaltungswert. Während des Verhörs des Schleim-Keim-Sängers Dieter „Otze“ Ehrlich (1964–2005) durch die Stasi sagt der etwa zu den regimekritischen Passagen in seinen Texten: „Die beziehen sich auf Südafrika!“ – Der Vernehmer antwortet: „Dann ­schreiben Sie das doch hin!“ Die Stasi kommt zu dem Ergebnis, dass es sich bei Schleim-Keim-Texten um „sehr primitiv gestaltete Entäußerungen einer pessimistischen Lebenshaltung mit anarchistischen Zügen, allgemeiner Unzufriedenheit und einer grundsätzlichen Opposition gegenüber der staatlichen Ordnung“ handle.

Der Reader braucht ein bisschen, um in Fahrt zu kommen, im ersten Drittel werden viele ähnlich anmutende Punk-Biografien erzählt. Im zweiten Teil liest man ihn gerne, weil er erzählerisch gut gemacht ist und dramaturgisch gekonnt auf 1989 zusteuert.

Der Standort Leipzig scheint im Ganzen etwas zu kurz zu kommen, der ausführliche Blick auf die Szene in Weimar dagegen lohnt richtig. Einige Leitmotive, zumal allzu bekannte („Too Much Future“) werden häufig wiederholt. Auch ein wenig mehr – oder richtigere – Einordnung im Vergleich zu anderen oppositionellen Gruppen hätte man sich gewünscht. Hier klingt es in Teilen so, als hätten die Punks die Mauer im Alleingang niedergerissen. Und ganz so war es dann wohl doch nicht, wie wir wissen. Jens Uthoff

Tim Mohr: „Stirb nicht im Warteraum der Zukunft. Die ostdeutschen Punks und der Fall der Mauer“ (Heyne Hardcore, München 2017, 560 Seiten, 19,99 Euro), Lesung: 22. 4., 20 Uhr, Monarch