Sicherheit 20.000 schwer bewaffnete Polizisten schützen den G20-Gipfel in Hamburg. Die Stadt wird schon vorher im Belagerungszustand sein
: Scharfschützen und Stacheldraht

von Kai von Appen

Eines gilt schon jetzt als sicher: Der Polizeieinsatz zum Schutz des G20-Gipfels in Hamburg wird der Größte in der Geschichte der Stadt. Mindestens 20.000 PolizistInnen sowie Beamte des Bundeskriminalamts und der Bundespolizei werden aufgeboten – darunter auch spezielle Anti-Terroreinheiten, Sonderkommandos und Scharfschützen. Sie sollen vor Terrorangriffen und den Protesten von GipfelgegnerInnen schützen.

Laut einem Lagebericht des Staatsschutzes des Landeskriminalamtes Hamburg richtet sich die Polizei neben mehreren Großdemonstrationen für den ersten Gipfeltag auch auf Blockaden an den Sicherheitszonen und im Hafen ein, in deren Verlauf Zufahrtswege, Bahn­anbindungen und der Elbtunnel blockiert werden könnten. Aber auch Angriffe auf die Infrastruktur der Stadt, Sabotage von Funkmasten, Störung des Polizeifunks, Angriffe auf die Stromversorgung oder die Manipulation von Ampeln kämen in Betracht. Ein weiteres mögliches Szenario sei der Versuch, die Anreise internationaler Delegationen per Flugzeug durch das massenhafte Steigenlassen von heliumgefüllten Ballons zu stören, heißt es in dem Papier.

Hamburg wird sich nicht nur während der zwei Gipfeltage am 7. und 8. Juli im gefühlten Ausnahmezustand befinden, sondern bereits Wochen zuvor. Das zeigte das ungleich harmlosere OSZE-Treffen in der 1,8-Millionen-Stadt im vergangenen Dezember. Damals belagerten 13.000 Polizisten mit 3.000 Einsatzwagen Straßenzüge, Kreuzungen und Parks der westlichen inneren City, Hubschrauber kreisten über die Quartiere. Mit im Gepäck: 23 Wasserwerfer, 18 Panzer, 10 Helikopter, außerdem Pferde- und Hundestaffeln und 35 Polizeiboote.

Rote und andere Zonen

Im Juli nun sollen zwei Sicherheitszonen um den G20-Tagungsort in den Messehallen im Karolinenviertel eingerichtet werden, welches von einer linksalternativen Bewohnerschaft mit Kneipen und kleinen Läden mit edlen Boutiquen geprägt ist: Eine „rote Zone“ soll sich direkt um den Tagungsort am Fernsehturm ziehen und unter der Regie des Bundeskriminalamts (BKA) von Sonderkommandos und Scharfschützen bewacht werden. Hier dürfen nur sicherheitsüberprüfte und akkreditierte Personen der Medien und der Delegationen sowie die Regierungschefs und ihre Bodyguards hinein. Unzählige Sicherheitskräfte und Geheimdienst-Agenten der Delegationen werden ebenfalls vor Ort sein.

Eine zweite „gelbe Zone“ wird im Umkreis von 600 Metern um den Tagungsort quer durch das „Karoviertel“ gezogen. Sie umfasst das gesamte Messegelände und läuft quer durch den Freizeitpark Planten un Blomen. Im Park wird sie mit Nato-Draht-Barrieren und durch Polizisten mit Sturmgewehren geschützt. Die Zufahrten zur gelben Zone werden mit Betonklötzen und Panzerwagen blockiert und an 13 Kontrollstellen nur Bewohner durchgelassen, die etwaiger Besucher an den Kontrollstellen abholen müssen. Rund um die gelbe Zone sind die Schüler vom Unterricht freigestellt, Kitas bleiben geschlossen. Auch Gerichtsverhandlungen in den nahe liegenden Justizgebäuden sind weitgehend abgesagt.

Noch umstritten ist eine weitere „blaue Zone“: Die möchte die Polizei vom Hauptbahnhof und dem Rathaus bis hin zum Helmut-Schmidt-Flughafen im Nordwesten der Stadt ziehen, wo sich die sogenannten Protokollstrecken befinden. In diesem Bereich soll zwar das Shoppen erlaubt sein, um den Einzelhandel zu besänftigen, politische Demonstration wären aber verboten. Damit wären die gesamte Innenstadt und die Stadtteile nördlich der Alster für Demonstrationen gesperrt.

„Das wäre die größte Demoverbotszone in der Geschichte der Stadt“, konstatiert der Hamburger Bundestagsabgeordnete der Linken, Jan von Aken, der in eben diesem Bereich für das Bündnis „Grenzenlose Solidarität statt G20“ am 8. Juli die Großdemonstration angemeldet hat. Obwohl der rot-grüne Senat beteuert, es werde keine Demoverbotszonen geben, wird der wegen seiner Versammlungsfeindlichkeit bekannte Hamburger Gesamteinsatzleiter Hartmut Dudde auf sie bestehen. Das letzte Wort werden wohl die Gerichte haben, was Dudde in der Vergangenheit indes ignoriert hat.

Das Freihalten der Protokollstrecken dürfte die größte Herausforderung für die Polizei werden. Auf diesen Routen werden die Fahrzeugkolonnen der 35 Regierungsdelegationen, die aus bis zu 50 Autos bestehen können, von der Polizei begleitet und vom Airport zu den Nobelhotels in der City rund um die Alster fahren und dann zu den Tagungsorten eskortiert – womöglich mehrmals.

Schießwütige Bodygards

Allein hierfür sind 2.500 Verkehrspolizisten vorgesehen, da immer mindestens drei Routen geplant werden und der tatsächliche Weg aus Sicherheitsgründen erst unmittelbar vor der Abfahrt bestimmt wird. Sollte ein solcher Konvoi von GipfelgegnerInnen durch eine Blockade zum Stoppen gebracht werden, wäre es für die Hamburger Polizeiführung nicht nur eine Blamage, sondern der Worst Case: „Das wäre ein di­plomatischer Zwischenfall der höchsten Kategorie“, sagt ein Gipfelplaner. Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) hat deswegen Protestler jüngst davor gewarnt, sich einem Konvoi des Kalibers von US-Präsident Donald Trump, Russlands Präsidenten Wladimir Putin oder des türkischen Autokraten Recep Tayyip Erdoğan in den Weg zu stellen, weil die Personenschützer dies als „Angriff“ miss-interpretieren und von Schusswaffen Gebrauch machen könnten.

Zwar verfügten die Bodyguards ausländischer Präsidenten über keine hoheitlichen Befugnisse und dürften laut BKA-Sprecherin Marianne Falasch keine Demonstrationen auflösen oder Blockaden durchbrechen, doch ein solcher Ausraster wird wohl selbst von Polizeistrategen nicht ausgeschlossen.

Großmarkt wird Gefängnis

„Das wäre die größte Demoverbotszonein der Geschichteder Stadt“

Jan von Aken, Hamburger Bundestagsabgeordneter der Linken und Anmelder der Großdemo am 8. Juli

Bei den Großdemonstrationen stellt sich die Polizei auch auf Ausschreitungen ein – vor allem am Vorabend des Gipfels bei der antikapitalistischen Demonstration „Welcome to hell“, zu der allein 15.000 Teilnehmer erwartet werden. Daher ist früh vorgebaut worden: Seit April wird ein ehemaliger Lebensmittelgroßmarkt, in dem zuvor Flüchtlinge untergebracht waren, südlich der Elbe in Harburg für drei Millionen Euro zu einer Mega-Gefangenensammelstelle (Gesa) für 400 Protestler umgebaut. In der 12.000 Quadratmeter großen, mit Nato-Draht gesicherten und rund um die Uhr bewachten Halle werden 50 Einzelzellen- sowie 70 Sammelzellen-Container aufgestellt. In die neun Quadratmeter großen Sammelzellen mit einer Pritsche sollen jeweils fünf Personen gepfercht werden.

Das Amtsgericht Hamburg-Mitte richtet auf dem Gesa-Areal zurzeit in Containern eine Außenstelle ein. Durch Zäune getrennt und mit separaten Eingang sollen jeweils neun RichterInnen rund um die Uhr über freiheitsentziehende Maßnahmen schnell und vor Ort entscheiden. Die Justizbehörde reaktivierte zudem das Frauengefängnis Hahnöfersand und ließ es zum Untersuchungsgefängnis mit 100 Plätzen herrichten. Mehrere Bundesländer bieten an, Strafgefangene aus Hamburg vorübergehend aufzunehmen, um Platz in den Hamburger Knästen zu schaffen.

GipfelgegnerInnen befürchten, dass die Polizei massiv vom Instrument des Unterbindungsgewahrsams Gebrauch machen könnte, aber auch vom neuen Paragrafen 114 des Strafgesetzbuchs, der schon das Widersetzen gegen eine polizeiliche Maßnahme als „tätlichen Angriff“ mit drei Monaten Haft belegt. Der Unterbindungsgewahrsam bedarf als präventiver Freiheitsentzug einer richterlichen Anordnung, kann nach Hamburger Polizeirecht dann aber bis zu zehn Tage dauern.

Einen Vorgeschmack spüren die HamburgerInnen seit Wochen: Die G20-Tagungsorte in den Messehallen und der Elbphilharmonie stehen unter Polizeischutz, immer wieder kommt es davor zu Kontrollen nach Outfit. Nach Brandanschlägen auf Polizeifahrzeuge wurden das Polizeipräsidium und die Unterkunft der Bereitschaftspolizei mit Nato-Draht gesichert. Selbst der Stall der Pferdestaffel wird mittlerweile bewacht. Das führt zu solchen personellen Engpässen, dass private Sicherheitsfirmen angeheuert wurden. Immer wieder kommt es zu Anti-Terror-Übungen, Verkehrseinheiten proben das Lotsen der Konvois.

27.000 Hotel-Übernachtungen in der ganzen Region wurden für PolizistInnen anderer Bundesländer gebucht. 185.000 Fresspakete wollen gepackt werden. Na dann: Mahlzeit!

Kai von Appen ist seit 1982 Redakteur der taz in Hamburg.

Das Arsenal
:

Der „Hamburger Kessel“ist 1986 als Grundrechtsverstoß in die Geschichte eingegangen, als die Polizei 861 Anti-Atom-Demonstranten teilweise bis zu 13 Stunden auf dem Heiligengeistfeld festsetzte

Wanderkesselist die mobile Form des Hamburger Kessels.

„Hamburger Gitter“sind verzahnbare mobile Absperrungen.

„Survivor“heißt der neue Panzerwagen der Hamburger Polizei, mit dem Beamte in einen Kugelhagel fahren können.

Reguläre Panzerwagenwerden zur Räumung von Barrikaden eingesetzt.

Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten (BFE) der Bereitschaftspolizei sind in Hamburg neuerdings standardmäßig wie das Mobile Einsatzkommando mit Sturmgewehren ausgerüstet.

Tonfaist ein Nahkampfstock, den Bereitschaftspolizisten fast standardmäßig tragen.

„Peterwagen“heißen in Hamburg nach ihrer Funkkennung die normalen Streifenwagen. Die haben neuerdings eine Maschinenpistole und schusssichere Westen und Helme an Bord.

Bodycamssind am Körper getragene Videokameras, die zurzeit in einem Pilotprojekt von Streifenpolizisten auf dem St.-Pauli-Kiez eingesetzt werden.

Der „WaWe10“ist ein moderner Wasserwerfer, der 10.000 Liter Flüssigkeit im Tank hat und auch Nebelwände aus Wasser erzeugen kann.

Nato-Drahtist ein spezieller, mit heimtückischen Widerhaken versehender Stacheldraht,

Jetskiswill der Senat anschaffen, um das Fahren in flachen Gewässern zu ermöglichen.

Drohnensollen die Überwachung aus der Luft verbessern.

„Libelle“wird in Hamburg der Polizeihubschrauber genannt.

Gesaist kurz für Gefangenen-Sammelstelle.