Sitzprotest

Football Die Ausschreitungen von Charlottesville beleben die Diskussion über Rassismus im US-Sport neu. Zwei NFL-Profis blieben während der Hymne sitzen

Hat mit vielen Hindernissen zu kämpfen, nicht nur im Spiel: Colin Kaepernick (Nr. 7), dessen Hymnenprotest von 2016 weiter Nachahmer findet Foto: imago

von Alina Schwermer

Die Rückennummer 72 sitzt allein auf der Bank, während der Rest des Teams steht. Die Hymne läuft, aber der Defensive End der Seattle Seahawks rührt sich nicht. „Ich will einfach nur sehen, dass Leute die Gleichberechtigung bekommen, die sie verdienen“, sagte Michael Bennett später. „Ich liebe Football wie jeder andere Amerikaner. Aber ich mag keine Rassentrennung. Ich mag keine Krawalle oder Unterdrückung.“

Es ist die erste Woche in der NFL-Preseason, und es bewegt sich etwas. Die rechtsextremen Ausschreitungen in Charlottesville sind nicht spurlos vorüber gegangen am US-Sport, vor allem nicht an der NFL. Bennett ist der zweite Spieler nach Marshawn Lynch von den Oakland Raiders, der an diesem Wochenende während der US-Hymne sitzen blieb. Es sollte ein Protest sein gegen Rassismus. Und sehr eindeutig mit Bezug auf Charlottesville. Er sei von der Nazigewalt geschockt gewesen, sagt Bennett. „Daher möchte ich die Plattform nutzen, um diese Botschaft in die Köpfe der Menschen zu bekommen.“

Die Rechtsextremen-Demo in Charlottesville, bei der eine Gegendemonstrantin starb und 19 andere Menschen teil lebensgefährlich verletzt wurden, hat im American Football wieder aufmerksam gemacht auf eine Diskussion, die zuletzt ruhiger, aber nie wirklich still geworden war. Im vergangenen Jahr hatte sich Quarterback Colin Kaepernick während der Hymne vor dem Spiel geweigert, aufzustehen, um ein Zeichen gegen Unterdrückung und Polizeigewalt gegen Schwarze zu setzen. Es gab viel Unterstützung und viel Zorn: Von Morddrohungen bis hin zur Aufforderung durch Donald Trump, er sollte „vielleicht ein Land finden, das besser für ihn funktioniert“. Und bis heute hat Kaepernick keinen neuen Verein gefunden. „Sie wollen keinen bösen Tweet von Donald Trump kriegen“, befand im März der US-Präsident selbst dazu.

„Ich glaube definitiv, dass die Klubbesitzer und die Liga zeigen wollen: Halte dich an die Regeln“, sagte kürzlich auch Doug Baldwin von den Seattle Seahawks. „Es ist frustrierend, weil du doch Spieler mit einer klaren Meinung haben möchtest. Aber inzwischen denke ich, dass das nicht mehr gewünscht ist.“ Viele Eigentümer möchten sich offenbar nicht mit einem protestierenden Profi das Leben schwermachen. Mit Trump dürfte das aber weniger zu tun haben, als er sich selbst rühmt: Schon als Kaepernick 2016 protestierte, gab es eine heftige Welle der Ablehnung.

„Ich liebe Football. Aber ich mag keine Rassentrennung. Ich mag keine Krawalle und Unterdrückung“

NFL-Profi Michael Bennett

Doch die Vorfälle in Char­lottes­ville haben jetzt die Proteststimmen gegen Rassismus wieder lauter werden lassen. Auch jenseits der NFL. Als prominentestes Beispiel meldete sich NBA-Superstar LeBron James via Twitter: „Es ist traurig, was in Charlottesville passiert. Ist das die Richtung, in die sich unser Land bewegt? Make America great again, hm? Er hat das gesagt.“ Und: „Unsere Jugend verdient Besseres.“ Auch James kennt Hass: Sein Haus war während der letzten NBA-Playoffs mit rassistischen Graffiti verunstaltet worden. Der Basketballer hatte 2016 mit Chris Paul, ­Dwyane Wade und Carmelo Anthony eine Rede gegen Rassismus gehalten.

„Wenn ihr wirklich keine Rassisten seid, werdet ihr das, was Kaepernick getan hat, nicht als Drohung gegen Amerika sehen, sondern als Kampf gegen ein Problem, das wir alle haben“, sagte Marshawn Lynch, der an diesem Wochenende ebenfalls nicht zur Hymne aufstand. Ob die Besitzer der NFL-Clubs das ähnlich sehen, ist fraglich. „Ich glaube, die Spieler haben sich oft genug geäußert“, sagte Michael Bennett, die Nummer 72, die sitzen blieb. „Die Medien haben sich oft genug geäußert. Jetzt müssen die Clubbesitzer handeln. Was Kaepernick getan hat, hat viele Teams bewegt. Es war nichts Kriminelles.“