Nach dem Terror in Barcelona: „No tinc por“ – Wir haben keine Angst

Nach der Anschlagsserie herrscht in der Metropole Anspannung – und Solidarität: 30.000 versammeln sich zu einer Schweigeminute für die Opfer.

Hand zündet eine Kerze an, davor die Aufschrift "Barcelona"

Improvisierte Gedenkstätte für die Opfer des Terrors in Barcelona Foto: Reuters

BARCELONA taz | Am Tag nach dem Attentat liegt eine beklemmende Stille über der Altstadt Barcelonas. Viele Cafés und Restaurant haben nicht geöffnet. Vielleicht, weil sie die dreitägige Staatstrauer respektieren, die Ministerpräsident Manuel Rajoy am Vorabend ausgerufen hat. Vielleicht, weil sie ahnen, dass die Gäste heute ausbleiben würden. Stattdessen stehen an jeder Ecke schwer bewaffnete Beamte der Mossos d'Esquadra, der katalanischen Polizei. Auf der Plaça de Catalunya, von wo aus die Todesfahrt mit dem Kleinlaster begann, die 13 Menschen das Leben kostete, sieht man am Freitag Nachmittag mehr Tauben als Menschen.

„Der Platz ist normalerweise voller Leute“, sagt Oscar Suñ und deutet mit dem Finger um sich. “Heute sind nur Touristen da. Die Einheimischen sind alle zuhause“. Suñ, kräftig gebaut, leicht angegraute, kurze haare, Sonnenbrille ins Haar geschoben, steht an dem kleinen Kiosk, den er seit 31 Jahren betreibt. Wie auch am Donnerstag, der für Barcelona eine Nacht des Schreckens bereithalten sollte. Als gegen 17 Uhr der weiße Transporter auf die zentrale Flaniermeile der Stadt, die “Ramblas“ steuert, hört er von seinem Kiosk auf der gegenüberliegenden Seite der Plaza einen lauten Knall.

“Ich habe gerade das Taubenfutter in kleine Tüten gepackt“, sagt Suñ und verkauft einer rumänischen Touristin einen Strohhut für sechs Euro, “und dann ging alles ganz schnell.“ Binnen zwei Minuten, schätzt Suñ, sei die Guardia Urbana vor Ort gewesen und habe den Platz evakuiert. “Sie haben uns weggestoßen und gesagt: Schnell, Bombendrohung.“ Noch im Weglaufen hörte Suñ die Angstschreie von den Ramblas.

13 Tote, mehr als 130 Verletzte – das Attentat im Herzen Barcelonas wäre auch ohne die Opfer einer Verfolgungsjagd im Badeort Cambrils, bei der Stunden nach dem Horror in Barcelona eine Frau erstochenen wurde, das schwerste seit den Bombenanschlägen auf die Madrider Vorortzüge im Jahr 2004.

Die Polizei fahndet nach drei weiteren Verdächtigen

Moussa Oukabir, der mutmaßliche Fahrer des Kleinlasters in Barcelona, bestätigte die Polizei am Freitag Abend, kam bei dem Schusswechsel in Cambrils ums Leben. In den späten Nachtstunden dann aber ruderte die Polizei zurück: Der 22-Jährige Marokkaner Younes Abouyaaqoub könnte der Fahrer des Wagens gewesen sein. Die Polizei fahnde aber noch nach weiteren drei Verdächtigen zwischen 17 und 24 Jahren. Sie sollen einem Terrornetzwerk angehören, das weitaus größere Attentate geplant haben soll. Sie steht mit einer Explosion in einem weiteren Küstenort südlich von Barcelona in Verbindung, das sich am Mittwoch ereignet hatte. Das hat der Chef der katalanischen Polizei, Josep Lluís Trapero, früher am Tag bekannt gegeben.

Diejenigen, die 24 Stunden nach dem Attentat auf die Rambla gekommen sind, scheint das nicht zu ängstigen. An verschiedenen Stellen stehen dutzende Menschen in Trauben zusammen, um Blumen und Stofftiere niederzulegen, Kerzen anzuzünden oder die Botschaft kundzutun, die sich die Stadt selbst zum Motto gemacht hat: „No tinc por“ – Wir haben keine Angst. Auch eine junge Frau mit Kopftuch legt einen Strauss Rosen nieder. Sie ist Muslima, eine Touristin aus Belgien, die mit ihrer Familie eine Woche Urlaub in Barcelona machen will. „Das ist ja wie in Belgien“, sagt sie traurig und schüttelt den Kopf. „Wir haben aber keine Angst. Auch wenn wir Muslime jetzt auch hier komisch angeschaut werden“.

Schweigeminute mit 30.000 Menschen

Bereits am Mittag versammelten sich rund 30.000 Menschen auf der Plaça de Catalunya zu einer Schweigeminute. Unter Tränen sagte die Bürgermeisterin Barcelonas, Ada Colau, dass sich die Stadt nicht von „Feiglingen“ einschüchtern lassen werde. Solidarisch und weltoffen werde sie bleiben. Auch Ministerpräsident Rajoy und König Felipe nahmen an der Gedenkveranstaltung Teil. Sie alle verurteilten das Attentat von Barcelona, zu dem sich der so genannte „Islamische Staat“ (IS) bekannt hatte, aufs Heftigste.

Angela Merkel sprach dem spanischen Ministerpräsidenten Manuel Rajoy am Telefon ihr Mitgefühl und Anteilnahme aus. Und Außenminister Gabriel ist am Freitag nach Barcelona gereist, um sich selbst ein Bild der Lage vor Ort zu machen. Unter den Opfern, die aus mehr als 30 Ländern stammen, sind auch mindestens 13 deutsche Staatsbürger verletzt.

„Es kann sein, dass die Touristen jetzt nicht mehr kommen“, sagt ein Katalane mit maulbeerfarbenen Hemd. Er steht auf der Stelle der Rambla, wo tags zuvor der weiße Transporter nach seiner Todesfahrt zum Halten gekommen ist. Auch hier stehen viele Menschen, die ihre Solidarität auf kleine bunten Zettel geschrieben haben. „Fuerza Barcelona!“ – „Kraft Barcelona!“ steht darauf oder „Ni miedo ni odio“ – „Weder Angst noch Hass“.

Was sich durch das Attentat nun in Barcelona ändert? „Wir werden unser Leben nicht wegen ein paar Kindern, die die Playstation mit dem wirklichen Leben verwechseln, ändern“, sagt der Katalane im bunten Hemd. „Schlechte Menschen gibt es überall, unabhängig von Hautfarbe und Religion.“ Offenbar sehen das viele genauso. Als Minuten später ein Trupp von etwa 30 Demonstranten mit Fahnen der rechten Identitären Bewegung versucht, von der Plaça de Catalunya auf die Ramblas zu gelangen, stellen sich ihnen Passanten in den Weg: „No pasarán“, schreien sie so laut, dass man es auch hunderte Meter entfernt noch hört. „Sie werden nicht durchkommen“. Die Parole die Republikaner aus dem spanischen Bürgerkrieg – in Barcelona am Tag nach dem Attentat hat sie sich erfüllt. Die Rechten sind nicht durchgekommen.

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