Press-Schlag
: Nagelsmann oder das Ende der grauen Ratte

Julian Nagelsmann hat nicht nur das TSG-Spiel reformiert, sondern auch das Image von Hoffenheim. Das sagt viel über die Kritik am Mäzenverein.

Vor ein paar Jahren war alles noch ganz einfach mit der TSG Hoffenheim. Oder man konnte sich zumindest einreden, dass alles ganz einfach war, was ja fast dasselbe ist. Wenn also Hoffenheim gegen Schalke spielte, dann war das sehr selbstverständlich auch ein scheinbares Duell der Ideale: Der eingetragene Verein gegen den Plastikklub, die Bewahrer der Fußballkultur gegen ihre Zerstörer, man suche sich was aus. Natürlich war das schon damals total naiv, aber es gab einem ja Sicherheit, zu wissen, was man hassen musste. Auch damals gab es außerhalb von Sinsheim Leute, die Hoffenheim irgendwie gut fanden, Jugendarbeit und so. Mit Transfers von älteren Herren kurz vor der Pension (Josip Simunic) und lahmfüßigem Spiel war auch das vorbei. Hoffenheim befand sich auf dem Weg zur Wolfsburgisierung: vom Beelzebub zur grauen Ratte. Dann kam Julian Nagelsmann.

Es gibt wenige Trainer in der Bundesliga, die das Image ihres Klubs so geprägt haben wie der 30-Jährige. Kein PR-Stratege könnte einen besseren Hoffenheim-Coach entwerfen. Jugend, Mut, Kreativität, offensives Spiel, all das wollte Hoffenheim mal sein. Nagelsmann half den irrlichternden Hoffenheimern bei der Selbstfindung. Und leistete Großartiges. Bei Schalke gegen Hoffenheim geht es jetzt nur noch um den „angesagtesten deutschen Trainer“.

Kritisches zum Hoffenheimer Finanzierungskonzept hört man heute selten. Der nette Nagelsmann und sein Erfolg haben den Kritikern die Lust genommen. Was kurios ist, weil das eine ja nichts mit dem anderen zu tun hat: Wenn man glaubt, ein Vereinskonzept ist eine Gefahr für die Chancengleichheit im Fußball, ist der Klub das auch noch mit schönem Passspiel. Eigentlich umso mehr. Und auch ein Verein mit zweifelhaftem Konzept kann tolle Arbeit leisten. Aber der Fußball kennt keine Mäßigung. Er kennt ­hysterische Rundumschlags-Kritik und dann peinlich berührtes Schweigen. Die 11 Freunde, die in Prä-RB-Leipzig-Zeiten Hoffenheim zum großen Feindbild auserkoren hatten, nennen Nagelsmann und sein Hoffenheim so halb verlegen „bumssympathisch“. Und die taz macht sich in der Tabelle auch nicht mehr über die Revolutionäre von 1789 Hoffenheim lustig.

Nagelsmann profitiert vom Gewöhnungseffekt. Und natürlich, hinterher ist man immer schlauer, ist die TSG Hoffenheim nicht der Totengräber des deutschen Fußballs. Dietmar Hopp ist ein klassischer Mäzen vom alten Schlag, ein Jean Löring mit mehr Kalkül. Konzernimperien wie Red Bull oder Farmteams im Ausland verändern den Fußball weit mehr als der Hoffenheimer Dorftraum. Hat die Kritik aus dem Nagelsmann-Effekt gelernt? Die Hysterie um RB Leipzig und das allmählich einsetzende Schweigen lassen das Gegenteil vermuten.

Julian Nagelsmann wird all das wenig interessieren. Er bastelt an seiner Zukunft beim FC Bayern und dürfte sie bekommen. Nicht umsonst hat Hopp Sorge, ihn gehen zu lassen: Hoffenheim könnte dann wieder eine graue Maus werden. Eine graue Ratte werden sie so schnell nicht mehr. Das ist auch Nagelsmanns Verdienst.

Alina Schwermer