Was macht die Deutsche Umwelthilfe?: „Nicht beklagen, verklagen!“

Die Deutsche Umwelthilfe treibt im Dieselskandal Politik und Konzerne zur Weißglut. Wie tickt der Verband mit gerade mal 273 Mitgliedern?

Eine Messvorrichtung in einer Wohnstraße

Meister der Messung: Die Deutsche Umwelthilfe kümmert sich um die Luftqualität Foto: dpa

Jürgen Resch war 21 Jahre alt und leistete seinen Zivildienst bei der Umweltschutzgruppe des BUND am Bodensee. Da sah er eines Tages, wie eine Singdrossel vom Baum fiel. „Ich habe sie mit nach Hause genommen, wo sie unter schwersten Krämpfen starb“, erzählt er mehr als 35 Jahre später – noch immer am Bodensee, in seinem Büro in Radolfzell sitzend. Nachdem Resch dazu einen Artikel in der Lokalpresse veröffentlichte, wurden Dutzende weitere Eulen, Bussarde und Milane bei ihm abgeliefert. Der junge Vogelwart sammelte die Tiere in der elterlichen Tiefkühltruhe.

Die eingefrorenen Vögel ließ Resch beim Tierhygienischen Institut in Freiburg untersuchen. Nachdem das Mäusegift Endrin als Verursacher feststand, reiste er zur Biologischen Bundesanstalt nach Braunschweig. „Ich habe jedem Mitglied das Sachverständigenrats einen toten Mäusebussard auf den Schreibtisch gelegt“, berichtet er. Vier Monate später war das Gift verboten.

Die Anekdote von damals zeigt, dass Jürgen Resch schon früh bewiesen hat, dass er Kampagnen organisieren kann. Selber Fakten ermitteln und dann so lange nerven, bis sie Konsequenzen haben: Dieses Rezept ist die Grundlage der Deutschen Umwelthilfe, kurz DUH, als deren Geschäftsführer Resch seit 31 Jahren fungiert. Lange Zeit war dieser Verein nur Umweltprofis ein Begriff. Derzeit dürfte ihn fast jeder halbwegs politisch interessierte Deutsche kennen. Keine andere Organisation und kein anderes Gesicht wird so stark mit dem Dieselskandal verbunden wie die DUH und dem weißhaarigen 57-jährigen Chef mit seinem markanten schwarzen Brillengestell.

Die Umwelthilfe treibt die Autokonzerne mit eigenen Abgasmessungen vor sich her, sie verklagt untätige Kommunen, gegen schlechte Luft vorzugehen, und zwingt Kfz-Hersteller, irreführende Werbung zu korrigieren. Wie ist dieser Erfolg möglich – obwohl die DUH nicht 430.000 Mitglieder hat wie der BUND, sondern ganze 273, und der Etat nicht über 50 Millionen Euro beträgt wie bei Greenpeace Deutschland, sondern gerade einmal 8,1 Millionen?

Wie bei Reschs erster Kampagne steht am Anfang des Erfolgs oft die Handarbeit.

Abgasdaten sind das politische Kapital der Umwelthilfe

Ende September, an einem sonnigen Donnerstag, liegt Axel Friedrich in Berlin-Zehlendorf auf der Straße und schwitzt. Über seinem Kopf befindet sich der Auspuff eines VW Sharan. „Warum müssen die bei jedem Modell eine andere Form haben?“, flucht er, während er mit einer Gummimanschette ein Metallrohr am Auspuff befestigt. Dieses leitet die Abgase des Fahrzeugs durch einen beheizten Schlauch zu drei großen Messgeräten, die auf einer Holzplatte im Kofferraum verschraubt sind.

Als alles fertig angeschlossen ist, fährt ein Mitarbeiter der Umwelthilfe den Wagen auf einen 31-Kilometer-Kurs durch die Stadt und über die Autobahn – zehnmal hintereinander an zwei Tagen. Ein Laptop auf dem Beifahrersitz zeichnet währenddessen exakt auf, wie viel Stickoxid und Kohlendioxid zu jedem Zeitpunkt aus dem Auspuff kommt. Anschließend wird das 150.000 Euro teure Equipment wieder ausgebaut und in einem ehemaligen Friseursalon gelagert, den Friedrich angemietet hat – eine Mischung aus Abstellkammer und Werkstatt, in der Kabel, Rohre und Instrumente in billigen Regalen stehen. Die Daten, die dabei ermittelt werden, sind für die DUH wichtiges politisches Kapital.

Außer den Autokonzernen und dem ADAC ist der Umweltverband der einzige Akteur, der in Deutschland reale Abgaswerte messen kann. Und Friedrich ist nicht irgendjemand, sondern eine umweltpolitische Autorität.

Der 69-Jährige ist Ingenieur und promovierter Chemiker, er leitete bis 2007 die Verkehrsabteilung bei Deutschlands oberster Umweltbehörde, dem Umweltbundesamt. Dort war er an der Einführung des Dieselrußfilters beteiligt – und wurde seines Postens enthoben, nachdem er kritisiert hatte, dass viele der nachgerüsteten Filter wirkungslos blieben. Heute arbeitet Friedrich als gut vernetzter Berater für Umweltverbände auf der ganzen Welt.

Anekdoten nach Belieben

Der Sharan, den Friedrich an diesem Morgen testet, hält den Grenzwert zu seiner Überraschung ein. „Er hat offenbar einen Stickstoffkatalysator, das ist bei Euro-5-Dieseln eher die Ausnahme“, sagt er. Doch die meisten der 75 Fahrzeuge, die die DUH bisher getestet hat, stoßen ein Vielfaches der zulässigen Grenzwerte aus. Auch wenn es sich um modernste Modelle handelt – oder um Fahrzeuge, bei denen die Software zur Motorsteuerung bereits aktualisiert worden ist.

Wenn Jürgen Resch in einem der vielen Interviews die von Regierung und Herstellern angekündigten Software-Updates als eine „reine Placebo-Maßnahme“ bezeichnet, die am Problem fast nichts ändern, ist das darum nicht einfach eine Behauptung, sondern eine, die er mit umfangreichen eigenen Messungen belegen kann.

Und er kann diese nach Belieben mit Anekdoten aus der Vergangenheit anreichern. „Geht nicht, bringt nichts – das hat die Industrie bei jeder neuen Technik behauptet“, sagt der DUH-Chef. Kaum ein anderer Umweltlobbyist arbeitet schon so lange am Thema „saubere Luft“. 1986 bricht Resch sein Studium der Verwaltungswissenschaften ab, um als Geschäftsführer bei der DUH anzufangen. Vor zwanzig Jahren beginnt er eine Kampagne für schwefelfreie Kraftstoffe, vor zehn Jahren drängt er auf die Einführung des Dieselrußfilters. In alle Details arbeitet er sich ein, in der Szene sehen ihn die einen als umfassend informierten Experten, die anderen als penetranten Besserwisser.

Bei der Gründung des Vereins vor 42 Jahren war der heutige Erfolg keineswegs absehbar. Im Gegenteil: Die DUH sollte ursprünglich gar nicht selbst nach außen agieren. Erschaffen wurde sie im Jahr 1975 in Radolfzell vor allem, um Geld für den damals ebenfalls neu gegründeten Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) zu beschaffen – zum einen über „Haus- und Straßensammlungen“, zum anderen, indem die DUH in Abgrenzung zu anderen Verbänden von Anfang an auch Geld von der Industrie annahm.

Ritterschlag von Gabriel

Als sich die Umwelthilfe später doch zu einem eigenständigen Verband mit inzwischen 80 Mitarbeitern entwickelte, wurde das von den Platzhirschen skeptisch verfolgt – und teilweise bekämpft. So verhinderten BUND, WWF, Greenpeace, Naturschutzbund und Deutscher Naturschutzring lange, dass die DUH zu Gesprächsrunden der Bundesregierung eingeladen wurde. Erst Sigmar Gabriel (SPD) änderte als Bundesumweltminister diese Praxis – und wies Kritik daran mit einem scharfen Seitenhieb gegen die Etablierten zurück. „Die DUH ist der einzige Verband, der überhaupt kampagnenfähig ist – darum ist sie ab jetzt dabei“, so wird Gabriel von Teilnehmern der Runde zitiert.

Resch präsentiert die „neue“ und die „alte“ DUH gleichermaßen: Er pendelt fast jede Woche – per Flugzeug – zwischen seinem Berliner Büro in einem repräsentativen Altbau am Hackeschen Markt mit Kamin, Fischgrätparkett und Blick auf den Fernsehturm, wo er Interviews gibt und Politiker trifft, zum Hauptsitz der DUH, einer denkmalgeschützten ehemaligen SS-Kaserne in Radolfzell, wo er von seinem Schreibtisch auf ein Storchennest blickt und beim Essen im regionalen Biorestaurant mit Freunden Strategien und mit Feinden Kompromisse schmiedet. Reschs Wohnung ist, sehr praktisch, nur ein paar Kilometer entfernt.

Der DUH-Chef kann seinen Verband führen wie ein mittelständisches Unternehmen: keine Gremien, die Bedenken äußern, keine Ehrenamtlichen, mit denen jeder Satz abgesprochen werden muss. „Der Vorstand hat das operative Geschäft früh in die Hände der Geschäftsführer gelegt“, sagt Resch. Während manche ehemaligen Mitarbeiter anmerken, dass seine Alleingänge bisweilen ins Chaos führen, schätzt Abgas-Experte Friedrich die schlanken Strukturen und kurzen Entscheidungswege. „Am Morgen vor einer Pressekonferenz noch an der Pressemitteilung arbeiten – das geht nur bei der DUH“, sagt er.

Diese Freiheit war auch Voraussetzung für die zweite Säule des derzeitigen DUH-Erfolgs: den Verfahren gegen mittlerweile 61 deutsche Kommunen, in denen die EU-Grenzwerte für Stickoxide regelmäßig überschritten werden. Während fast alle anderen Umweltverbände die jahrelange Untätigkeit der Behörden lediglich kritisieren, zwingt die Umwelthilfe sie mit den Prozessen tatsächlich zum Handeln. „Wir beklagen uns nicht, wir verklagen“, sagt Resch.

Rechtsabteilung der deutschen Umweltbewegung

Angesichts des großen Erfolgs dieser Klagen scheint es verwunderlich, dass kaum ein anderer Verband diesen Weg geht. Das ist kein Zufall, sondern Ergebnis der Risikobereitschaft der Umwelthilfe. Lange Zeit erlaubte das deutsche Recht nur direkt betroffenen Privatpersonen, gegen die Verletzung von Umweltnormen zu klagen. Verbänden war dies in Deutschland entgegen europäischen Vorgaben verwehrt – bis die DUH einfach trotzdem klagte. Entgegen der Erwartung vieler Experten hatte das im Jahr 2013 Erfolg: Seitdem dürfen Umweltverbände auch ohne individuelle Betroffenheit auf die Einhaltung von EU-Vorgaben klagen.

Damit hat sich die DUH einen großen Vorsprung bei der juristischen Expertise gesichert. Doch auch sonst droht dem Verband in seiner Rolle als Rechtsabteilung der Umweltbewegung kaum Konkurrenz: Greenpeace ist nicht klageberechtigt, weil dort nicht jeder stimmberechtigtes Mitglied werden kann, der WWF, weil er als Stiftung organisiert ist. Dem VCD fehlen die finanziellen Mittel für die aufwendigen Verfahren, beim BUND wiederum müssen Klagen von Landesverbänden und Ortsgruppen beschlossen werden – was bisher nur in Hamburg passiert ist.

Doch muss die DUH vermehrt Gegenwind abwehren: Angesprochen auf den Verband ereifert sich nicht nur der Bürgermeister einer deutschen Landeshauptstadt in einem Hintergrundgespräch, dass die Klagen „überhaupt nicht zu akzeptieren“ seien. Auch zum baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, in dessen Wohnzimmer Resch schon vor 35 Jahren als Zivi gemeinsame Landtagsanfragen zum Tod der Vögel durch Endrin verfasste, ist das Verhältnis deutlich abgekühlt, seit die DUH das Land vor Gericht verklagt.

Auch in der Wirtschaft hat sich der DUH-Chef mit seiner Härte – und seinem Erfolg – viele Feinde gemacht. Eine Morddrohung auf dem Anrufbeantworter wie damals, als die Umwelthilfe gegen unwirksame Dieselfilter vorging, gibt es heute zwar nicht mehr. Dafür wird auf anderen Wegen versucht, ihn mundtot zu machen: Sowohl die Website der DUH als auch der Privatrechner von Resch wurden während der Dieselaffäre wiederholt gehackt.

Die Gegner machen mobil – per Rechtsanwalt

Zudem sehen sich sowohl Resch als auch sein Verband vermehrt mit Unterlassungserklärungen von Automobilherstellern konfrontiert: Daimler etwa wollte bestimmte Aussagen verbieten – und setzte den Streitwert und mögliche Schadenersatzforderungen so hoch an, dass eine Niederlage sowohl den Verband als auch den Geschäftsführer als Privatperson in die Insolvenz treiben könnte. „Eine ganze Armada von Firmenanwälten wartet nur darauf, dass wir einen Fehler machen“, sagt Resch.

Daneben gibt es Versuche, die DUH von ihren Finanzmitteln abzuschneiden. Denn wie bei der Gründung geplant, spielen Spenden und Mitgliedsbeiträge bis heute fast keine Rolle. Wie ein Unternehmer muss Resch die Einnahmen darum immer neu beschaffen: Vom Acht-Millionen-Etat stammen rund 3,1 Millionen Euro von Stiftungen und öffentlichen Stellen wie der EU. 1,2 Millionen Euro kommen als Spenden und Sponsoring von Unternehmen. Pikant: 2,5 Millionen nimmt die DUH ein, indem sie mit Abmahnungen gegen Unternehmen vorgeht, die Umweltvorschriften nicht umsetzen – etwa Autohäuser, die die Effizienz der angebotenen Fahrzeuge nicht korrekt darstellen oder Baumärkte, die anders als vorgeschrieben keine leeren Bauschaumdosen zur Entsorgung annehmen.

Kritiker bezeichnen die DUH darum als „Abmahnverein“, der kleine Betriebe mit hohen Strafen in den Ruin treibe. Das weist Resch als „Schauermärchen“ zurück. „Wir werden nur bei erheblichen Verstößen tätig“, sagt er. Und beim ersten Verstoß seien auch nur gut 200 Euro fällig. Nur wenn Unternehmen sich erneut über geltendes Recht hinwegsetzen, werde es teuer. „Wir setzen Verbraucherrecht durch, weil der Staat sich weigert, zu kontrollieren.“

Viele der etwa 30 größeren Geldgeber aus der Wirtschaft würden derzeit unter Druck gesetzt, ihr Engagement bei der Umwelthilfe zu beenden, berichtet Resch. Von anderen Sponsoren hat sich die Umwelthilfe selbst getrennt, um ihre Glaubwürdigkeit nicht zu gefährden.

Denn nicht nur andere Umweltorganisationen sehen die Annahme von Firmengeldern kritisch. „Unternehmenskooperationen können angreifbar machen“, meint etwa BUND-Verkehrsexperte Jens Hilgenberg. Auch viele Medien haben zuletzt kritisch über die Finanzierung der DUH berichtet.

Toyota zahlt für den Dienstwagencheck

Tatsächlich profitieren manche Unternehmen, die den Verband unterstützen, von dessen Kampagnen – etwa der Autohersteller Toyota, der mit etwa 50.000 Euro im Jahr den „DUH-Dienstwagencheck“ und kommunale Gesprächsrunden über umweltfreundliche Taxis sponsert. Resch weist jede inhaltliche Einflussnahme der Unternehmen zurück. „Alles andere wäre politischer Selbstmord. Darauf warten unsere Gegner doch nur.“ So habe die DUH selbstverständlich auch einen Toyota-Diesel getestet – und eine fünffache Überschreitung des Stickoxid-Grenzwerts festgestellt.

Und wenn ein Konzern doch einmal versucht, Gegenleistungen für die finanzielle Unterstützung zu verlangen, verzichtet die DUH nach eigenen Angaben lieber auf das Geld. So gab es bis zum Jahr 2005 eine Zusammenarbeit mit Daimler, doch die wurde von Resch einseitig – und laut einem Augenzeugen unter lautem Geschrei – beendet, als das Unternehmen inhaltliche Forderungen stellte.

Kürzlich hat die DUH die langjährige Kooperation mit der Telekom beendet – ihrem mit über 300.000 Euro jährlicher Unterstützung bisher größtem Geldgeber. Auch hierbei ging es um Forderungen des Unternehmens, auf die sich der Verband nicht einlassen wollte.

In ihrem 41. Jahr muss sich die DUH darum nun wieder auf eine der Aufgaben besinnen, für die sie ursprünglich gegründet wurde: das Einsammeln von Kleinspenden. Ob diese Kampagne in eigener Sache genauso erfolgreich ist wie die politischen, daran zweifelt offenbar auch Kampagnenprofi Jürgen Resch: Beim Geld gehe es schließlich auch um „Arbeitsplätze und Existenzen“, sagt er. „Das raubt mir schon in mancher Nacht den Schlaf.“

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