So gewinnt man nicht

Die Frankfurter Buchmesse ist vorbei – und zumindest Teile der Linken sind der Neuen Rechten voll in die Falle gegangen. Statt deren Argumente als das zu entlarven, was sie sind – nämlich heiße Luft –, wurde mit Inbrunst nach Verboten gerufen. Ein Plädoyer für mehr Inhalt und Räson

Protest gegen rechten Verlag auf der Buchmesse Foto: Frank Rumpenhorst/dpa

Von Dirk Knipphals

Es ist jetzt also, kühl betrachtet, genau das passiert, was viele Menschen befürchtet hatten. Drei, vier Verlage und ein, zwei Veranstaltungen von mehreren Tausend bestimmten am Schluss der diesjährigen Frankfurter Buchmesse die Diskurse. In den Messehallen präsentierten sich eine vielfältige Branche und eine komplexe intellektuelle Welt – und alle fragen als Erstes nach den Rechten.

Im Grunde ist es der Worst Case. Und der Gedanke liegt nahe, dass es auch erst der Vorgeschmack auf kommende Auseinandersetzungen ist. Am 24. Oktober konstituiert sich der Bundestag – inklusive der AfD-Fraktion. Die Hoffnung kann nur sein, dass es da geschickter läuft als in Frankfurt.

Was lief schief? Mit etwas Abstand ist es vor allem wichtig, zu verstehen, dass bei einem solchen Spiel der Eskalationen, wie es sich am Schluss der Buchmesse hochschaukelte, nur die Rechten gewinnen können. Sie schlagen kulturelles Kapital aus der Aufmerksamkeit, die sie jetzt haben. Sie können sich als Opfer stilisieren. Sie können die Reihen fest schließen und sich ganz toll was drauf einbilden, dass ihretwegen – aus ihrer Sicht – versucht wurde, die Meinungsfreiheit außer Kraft zu setzen.

Wahrscheinlich lachen sich die Kubitscheks und Co sowieso gerade ins Fäustchen. Oder sie freuen sich über ihre gelungenen Coups, etwa den, dem hoch reflektierten Band „Mit Rechten reden“ von Per Leo, Maximilian Steinbeis und Daniel-Pascal Zorn ein eigenes Buch mit dem Titel „Mit Linken leben“ entgegenzusetzen. In ihm spielen sie sich als „Stachel im Fleische“ auf. So sehen sie sich gerne.

Und genau dieses Bild wurde ihnen nun zurückgespiegelt. Denn – und das darf man nicht vergessen – im diskursiven Gerangel mit der Linken sind die Rechten sehr geschickt. Sie kopieren, was ihnen passt, haben linke Verhaltensweisen gut studiert und wissen, wie sie Nadelstiche setzen können.

Und die Linke? Sie hat sich provozieren lassen und stand am Schluss dieser Buchmesse doofer da, als sie ist. Der Versuchung, gnadenlos zu vereinfachen, gab sie ohne viel Federlesens nach. Auch wohlmeinende linke, linksalternative und linksliberale Menschen ignorierten in den so­zia­len Medien sofort rechtsstaatliche Prinzipien und forderten Verbote. Obwohl etwa der Faustschlag gegen den Trikont-Verleger Achim Bergmann keineswegs vom Stand der Jungen Freiheit aus geführt wurde, sondern aus dem Publikum (taz.de berichtete). So schlimm das ist: Man kann dafür nicht umstandslos die Junge Freiheit haftbar machen, so schrecklich man sie auch findet. Gut immerhin, dass der Schläger dingfest gemacht wurde.

Überhaupt, was soll diese Formulierung, die Messe hätte die Rechten „eingeladen“. Verlage werden zur Messe nicht eingeladen, sie melden sich an. So eine Anmeldung muss man im Einzelfall prüfen. Liegt etwas strafrechtlich Relevantes vor, muss der Verlag verboten werden, klar. Aber das wegen des bloßen Verdachts zu tun oder weil einem angesichts von rechtskonservativen oder rechtsnationalistischen Thesen unwohl wird, käme tatsächlich Zensur gleich.

Damit nicht genug. Demagogische Vergleiche mit Goebbels-Reden machten die Runde. Die Nazikeule wurde sowieso geschwungen, als ob man noch nie davon gehört hätte, wie unbeholfen und schwierig sie ist (und wie leicht man mit ihr in Gefahr gerät, im Umkehrschluss die historischen Gräuel der realen Nazis zu relativieren; ­Auschwitz ist immer noch etwas anderes). Der vermeintliche Naziangriff gegen den Frankfurter Stadtverordneten Nico Wehnemann, der die Wellen am Wochenende vollends hochschlagen ließ, erwies sich in der Realität als ein robustes, jedoch nachvollziehbares Eingreifen des Sicherheitsdienstes der Buchmesse in einer unübersichtlichen Situation.

Das Statement der Buchmesse zu den Vorfällen stellte rechte und linke Protestierer auf eine Stufe und war darin sehr unglücklich formuliert. Überhaupt muss man immer gegen die totalitaristischen Thesen angehen, nach denen sich die Rechten und die Linken als Extreme strukturell irgendwie gleichen würden (sie tun es in Wirklichkeit selbstverständlich nicht). Aber sagen wir es so, die Frankfurter Buchmesse des Jahres 2017 lieferte nicht gerade überzeugende Argumente für die These, die Linken seien die Klügeren. Man kann es schon so sehen: Teile der Linken sind der Neuen Rechten voll in die Falle gelaufen.

Das ist der schlimmste Punkt. Nennt mich Liberalala, aber so sind die anstehenden diskursiven Auseinandersetzungen mit der Neuen Rechten nicht zu gewinnen. Viel Sympathie und allen intellektuellen Feuerschutz allen lebensweltlichen Ansätzen, sich gegen die Neuen Rechten abzugrenzen. Aber die Frankfurter Buchmesse ist kein Wohnviertel, sie ist auch kein Fußballverein und keine Zeitungsredaktion. Sie ist ein Diskursraum. Und es wäre gefährliches wishful thinking, zu glauben, dass die Neue Rechte da­raus einfach wieder verschwinden wird. Das wird sie nämlich nicht.

Genau in dieser Situation provokativer Spielchen fühlt sie sich vielmehr pudelwohl. Denn in ihr müssen die Neuen Rechten keine Fragen beantworten. Was genau meinen sie mit dem „linksliberalen Gesellschaftsspiel“, das sie „abschaffen“ wollen? Nicht auch solche Errungenschaften wie Emanzipation, individuelle Freiheit, Gleichberechtigung? Was verstehen sie unter dem deutschen Volk? Auf welche Traditionen berufen sie sich – tatsächlich auch auf die der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg? Was soll das genau sein, eine rein deutsche Kultur? Was „die“ deutsche Sprache?

Wie viel heiße Luft in dem intellektuellen Gedankengebäude der Neuen Rechten steckt, hat Arno Frank soeben großartig gezeigt (taz vom 13. 10.). Ihr die Luft rauszulassen ist die bessere Strategie, als sich wie unter Wiederholungszwang immer wieder provozieren zu lassen.

Letztlich, was gilt es gegen die Neuen Rechten zu verteidigen? Das ist eben auch der Wille zur Differenzierung und auch der, sich nicht von den eigenen Projektionen gefangen nehmen zu lassen, es ist die Fähigkeit, Dissense gut auszutragen und untereinander bestehende Uneinigkeiten nicht durch die Produktion eines Feindbildes zu überspielen. Letzteres machen die Neuen Rechten schon mehr als genug.