Synthpop von John Maus: Der Starkstromerzeuger

US-Synthpop-Künstler John Maus kommt mit seinem betörendem neuen Album „Screen Memories“ für zwei Konzerte nach Deutschland.

Künstler John Maus steht vor einer großen Wolke

Heiter bis wolkig: John Maus Foto: Steven Mullenbach

Nach zig Anläufen steht die Verbindung, endlich. In San Francisco ist es 1 Uhr nachts. John Maus meldet sich am Telefon. Sechs Jahre blieb er von der Bildfläche verschwunden, beendete eine Doktorarbeit in politischer Philosophie und lebte dafür zurückgezogen auf dem Land in Minnesota in einem alten Bauernhaus. Nun ist er erstmals wieder in der Öffentlichkeit. Bringt er es noch als Performer auf der Bühne?

Offensichtlich ja. Maus wirkt enthusiasmiert, zwei Stunden zuvor hat er das erste Konzert seit langer Zeit absolviert. Die neuen Songs waren bestens beim Publikum angekommen. Der 37-Jährige steht mit seinem Auto auf einem Parkplatz, gerät ins Schwärmen, als er über „Screen Memories“ redet, sein heute erscheinendes neues Album. Zwischendurch setzt immer mal die Stimme aus, Tücken der Telekommunikation.

Passend, dass auf dem Cover von „Screen Memories“ ein Bildschirm (Screen) abgebildet ist. Darauf zu sehen sind die „White Noise“ genannten schmutzig-weißen Schneeflocken, die entstehen, wenn eine Übertragung aus technischen Gründen unterbrochen wird. „Screen Memories“ spielt selbst bei diesem Phoner eine Rolle, der mit einer Konferenzschaltung in der Berliner Plattenfirma über mehrere kleine Bildschirme von Handys geführt und aufgezeichnet wird. Große und kleine Screens bestimmen den Alltag im 21. Jahrhundert.

Maus spielt beim Titel auch mit dem Begriff Deckerinnerung (englisch: Screen Memories), als eine solche bezeichnete Sigmund Freud, wenn eine angenehme Geschichte aus der Vergangenheit eine unangenehme Erinnerung im Gedächtnis verdrängt. Bei Maus hat das immer mit seiner Klangsignatur zu tun: Als Synthpop wird seine Musik klassifiziert. Lieber als amtliche digitale Klangerzeuger setzt der US-Künstler dafür analoge Elektronik ein, und trotzdem produziert er zeitgemäße Popmusik. „Zusammen erzeugen diese Maschinen sehr viel Starkstrom! Sie können das ruhig auf meinen Fetischismus schieben, aber mich fasziniert einfach, wie ich aus diesen Analog-Instrumenten Sound herauskitzele. Nur weil sie technologisch gesehen veraltet sind, bedeutet das nicht, dass sie kreativ und vor allem expressiv nutzlos sind.“

Maus hat auf „Screen Memories“ die Gedanken von Freud mit dem Sound von Dr. Avalanche verschnitten. Wo der Wiener den psychoanalytischen Bezugsrahmen liefert, stellt Avalanche, Künstlername der Drummachine DR-55, synthetische Rhythmen zur Verfügung, die die Hörer wie Lawinen unter sich begraben. Zusammen mit modularen Keyboards (die er selbst modifiziert hat), erzeugt Maus damit eine raffinierte Melange aus Synthetiksounds und Geistesblitzen, aus frechen Zitaten und Spielereien mit der Technik.

Halleffekte wie Hustenlöser

Eine Art Nouveau Gothic Synthpop kennzeichnet den Sound, gekrönt von John Maus’ ultrasonorer Stimme, die aus der untersten Grabkammer nach oben nebelt, verfremdet von viel Hall. „Ich setze Halleffekte wie Hustenlöser ein, sie lockern meine Stimmbänder, geben der Stimme mehr Hoffnung. Und sie statten meine Stimme auch mit ein bisschen mehr Gewicht aus. In den USA glauben die Fans dadurch stets trockenen teutonischen Humor zu hören.“

John Maus: „Screen Memories“ (Ribbon Music/Domino/Good to Go), live am 15. November im Festsaal Kreuzberg in Berlin, am 18. November auf dem „Transcentury Festival“ in Leipzig.

Dass die Songtexte von John Maus auch zu transatlantischen Missverständnissen führen, ist eher unwahrscheinlich. Gleich in mehreren Songs weht ein apokalyptischer Geist. „Screen Memories“ ist ein Trump-Album geworden, das gibt Maus unumwunden sofort zu.

Gleich im Auftaktsong „The Combine“ singt er von einem Staatskonzern, der „combine is coming, it’s going to dust us all to nothing“. Allerdings ist die Apokalypse, wie sie auch in mehreren anderen Songs aufscheint, für John Maus nicht grundsätzlich negativ besetzt. „Ich mag das Wort Eschatologie. Der messianische Gedanke, dass das Ende nah ist, muss ja nicht das Ende der Welt bedeuten, es könnte sich auch um das am weitesten Entlegene handeln, das ultimative Abgeschiedene.“

Trumps Wahl erlebte John Maus als „hysterischen Moment“. Der Allmacht von Nonstop-Nachrichten-Kanälen ausgesetzt zu sein, führte bei vielen Bekannten zum Gefühl von „Alles wird immer noch schlimmer“.

Was kann Popmusik in so einer Situation leisten? John Maus führt dafür eine Stelle aus seinem Song „Over Phantom“ an, sie bezieht sich auf ein Essay von Michael Foucault über Andy Warhol: „Take a Seat on the Electric Chair“ singt John Maus. „Ich drücke damit aus, wie schlimm der elektrische Stuhl ist. Damit konfrontiere ich mich direkt mit Dummheit. Und das passt auch auf Pop allgemein, denn Pop nutzt Dummheit auf bizarre Art, wendet sie für sich gewinnbringend an, um die mathematische Präzision von Machtmechanismen herauszuarbeiten.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.