Neue Studie zur Treuhandanstalt: Traumatisierungsanstalt Treuhand

Der radikale Privatisierungskurs kurz nach der Wende hat ein Trauma im Osten hinterlassen. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie.

Viele Arbeiter vor einem großen Transparent

Stahlarbeiter protestieren 1993 vor einem Leipziger Hotel, in dem über ihre Zukunft verhandelt wird Foto: dpa

BERLIN taz | Dezidiert linke Kritik wie diese hört man aus den Reihen der SPD nur noch selten: Als „Symbol eines brutalen, ungezügelten Kapitalismus“ hatte Iris Gleicke, die sozialdemokratische Ostbeauftragte der Bundesregierung, die Treuhandanstalt bezeichnet – und Wissenschaftler der Ruhr-Universität Bochum mit einer Studie (PDF) beauftragt: Sie sollten das Wirken und vor allem die Wirkung der Treuhand untersuchen, die noch in den letzten Tagen der DDR 1990 gegründet worden war. Ihr Zweck: volkseigene Betriebe und Kombinate „marktfähig“ machen – durch Sanierung, Privatisierung oder Schließung.

Jetzt wurde der mehr als 130 Seiten starke Abschlussbericht veröffentlicht, und er hilft dabei, die politischen Strukturen zu verstehen, die sich im Osten zusehends stabilisieren. Man muss sich das einmal vorstellen: Ausschließlich westdeutsche Industriemanager, Unternehmer und Beamte bekommen über Nacht die Verfügungsgewalt über 8.000 ostdeutsche Betriebe mit mehr als vier Millionen Beschäftigten.

Sie dürfen entscheiden, welche Firmen geschlossen oder ob Mitarbeitende zu Hunderttausenden entlassen werden. Und die BRD-Regierung unter Kanzler Helmut Kohl nennt das Ganze einen „alternativlosen Einsatz“.

Dabei gab es sehr wohl Überlegungen aus dem linken politischen Lager, die Treuhand nicht als eine rein betriebswirtschaftliche Agentur, sondern vielmehr als eine sozial und volkswirtschaftlich eingebundene Institution zu installieren. Doch der marktradikale Privatisierungskurs setzte sich durch.

Eine ostdeutsche „Bad Bank“

Die Treuhand wurde in der Erinnerung so zu einer „ostdeutschen Bad Bank“, schreiben die Autoren der Studie, die Bochumer Zeithistoriker Constantin Goschler und Marcus Böick. Weitgehend unbeachtet von öffentlichen, politischen oder wissenschaftlichen Wahrnehmungen habe sich so langfristig ein „ausgesprochen negativ konnotierter Erinnerungsort in der ostdeutschen (Teil-)Gesellschaft etabliert“.

Auf diese Weise habe sich ein „negativer Gründungsmythos“ verfestigt, der in der artikulierten Wahrnehmung symbolhaft für eine „rigorose Unterwerfung der Ostdeutschen“ stehe. „Das war die Initialerfahrung von Fremdbestimmung, Kolonialisierung und Unterwerfung“, sagt Wissenschaftler Böick. „Die allerersten Erlebnisse mit der sozialen Marktwirtschaft haben Deklassierungsgefühle hervorgerufen.“

Ursprünglich sollten die beiden Historiker nur die Akteure von damals interviewen, ehemalige Treuhandmanager, Politiker, Berater, Gewerkschafter und Betriebsräte. Doch dann führten sie zusätzliche Gespräche mit mehr als 500 Personen im thüringischen Eisenach und im sächsischen Leipzig.

Bei einer Schlagworterhebung wurde die Treuhandanstalt bevorzugt mit Begriffen wie „Abwicklung“ oder „Ausverkauf“ verknüpft, insgesamt lediglich mit einer Note von 4,1 bewertet (Schulnoten von 1 bis 6). „Vor allem unter den älteren Ostdeutschen gärt etwas“, sagt Böick.

„Wir kannten Arbeitsämter nicht“

All das deckt sich mit den Erfahrungen von Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping (SPD). „Diejenigen, die bei der Wende um die 40 waren, bekommen jetzt ihre Rentenbescheide und sehen, wie wenig für sie übrig bleibt, obwohl sie sich angestrengt haben“, sagte sie der taz. Für viele von ihnen wurden Pegida und die AfD zum Sprachrohr.

Schon lange plädiert Köpping dafür, die Zeit nach der Wende politisch und wissenschaftlich zu begleiten. „Der Umbruch damals war gigantisch, alle hatten unheimlich zu kämpfen.“ Dann wechselt sie das Personalpronomen: „Wir kannten die Erfahrung nicht, als Bittsteller zum Arbeitsamt zu gehen.“ Sie zögert kurz. „Wir kannten Arbeitsämter nicht.“

Wie auch die Autoren der Studie fordert sie, ausnahmslos alle Treuhandakten zu öffnen, die derzeit noch in einem privaten Logistikdepot in Großbeeren südlich von Berlin lagern. Die meisten sollen noch bis 2020 unter Verschluss bleiben – das Bundesfinanzministerium ist an einer früheren Öffnung nicht interessiert. „Dabei brauchen wir endlich die Grundlage für eine Debatte, in der die Ostdeutschen nicht immer nur die Bösen sind“, so Historiker Böick.

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