10 Jahre Reform des Unterhaltsrechts: Was nach der Scheidung übrig bleibt

Vor einer Dekade wurde das Unterhaltsrecht reformiert. Es sollte die Familienpolitik modernisieren, doch es trieb unzählige Frauen in die Armut.

In einem kahlen Baum hängen rote und ein weißer Luftballon

Viele Frauen stürzen nach der Scheidung in die Armut Foto: dpa

BERLIN taz | „Einmal Zahnarztgattin, immer Zahnarztgattin – das gilt nicht mehr.“ So kündigte die damalige Justizministerin Brigitte Zypries 2008 die Reform der Unterhaltszahlungen nach einer Scheidung an.

Das „neue Unterhaltsrecht“ ist zehn Jahre alt – und wird auch nach einem Jahrzehnt immer noch „neu“ genannt, denn es war eine Zäsur. Die Versorgerehe mit wenig oder gar nicht berufstätiger Ehefrau ist ab sofort nicht mehr das Leitmodell der Gesellschaft, besagte die Reform. Denn die Hausfrau wird nach einer Scheidung nicht mehr „versorgt“.

Nun stellt Paragraf 1569 im Bürgerlichen Gesetzbuch unverblümt klar: „Nach der Scheidung obliegt es jedem Ehegatten, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen.“ Wer aber keinen Anschluss im Berufsleben hat, der verarmt dann drastisch. Ab auf den Arbeitsmarkt, und das so früh wie möglich, lautete die Botschaft für junge Ehefrauen.

Die Reform sollte vor allem sicherstellen, dass Kinder bei eventuellen Unterhaltszahlungen nach einer Scheidung immer Vorrang haben – auch Kinder aus einer neuen Ehe vor der Gattin aus der alten. Einen „Schritt in eine moderne Familienpolitik“ hatte Zypries damit machen wollen.

Zehn Jahre später muss man feststellen: Es war kein Schritt, es war ein Stolpern. Denn wenn man einen Schritt machen will und es liegt etwas im Weg, an dem man hängen bleibt, dann stolpert man. Und wenn man Pech hat, liegt man dann auf der Nase.

Perplexe Hausfrauen

Die, die auf der Nase liegen, sammeln sich in den Beratungsstellen. Etwa bei Pia Keukert, die in Berlin bei der Organisation „Frau und Arbeit“ Frauen beim Übergang in eine neue Lebensphase berät. Dort strömten sie nach der Reform nur so herbei, die Geschiedenen und Alleinerziehenden. Einige waren lange Jahre nur Hausfrauen gewesen, die meisten hatten einen Teilzeit- oder Minijob gehabt, wegen der Kinder. Völlig perplex saßen sie da, so erzählt Keukert, mit einem Anwaltsbrief in der Hand, in dem es hieß, ab sofort stelle der Exgatte die Unterhaltszahlungen, ein, sie könne ja berufstätig werden. Mit über 50 und ohne aktuelle Qualifikation.

Denn was Brigitte Zypries bei ihrem Schritt in die moderne Familienpolitik nicht bedacht hatte: Es gab nur wenige moderne Familien für ihre moderne Familienpolitik. Nach wie vor war und ist das vorherrschende Familienmodell in Deutschland das westdeutsche: das sogenannte modernisierte Ernährermodell – er Vollzeit, sie Teilzeit. 70 Prozent aller Mütter in Deutschland arbeiten nicht voll. Und so kommt es, dass nach wie vor 95 Prozent aller Menschen, die ein Recht auf Unterhaltszahlungen vom Expartner haben, Frauen sind.

Diese Frauen waren nun ratlos. Die Jahre daheim haben ihre Qualifikation veralten lassen. In vielen Orten, gerade in Westdeutschland, finden sie nach wie vor keine adäquate Kinderbetreuung. Und der Arbeitsmarkt wartet nicht auf Mütter. Soll ich jetzt zu Aldi an die Kasse?, fragen da die Germanistinnen Frau Keukert. Und die lacht auf, als sie davon erzählt: „Aldi nimmt die gar nicht. Akademikerinnen sind denen viel zu riskant, weil sie sofort wieder weg sind, wenn sich etwas Besseres ergibt.“

„Es hat wehgetan und es tut immer noch weh – aber am Anfang war es tatsächlich Wildwest“, erinnert sich Anwältin Birgit Kemming vom Deutschen Juristinnenbund. Die Scheidungszahlen stiegen 2008 und 2009 plötzlich an. Die Vermutung liegt nahe, dass da Ehemänner ihre Exfrauen entsorgten, weil sie nun genug Geld haben sollten, um mit ihrer Geliebten eine neue Familie zu gründen.

Wenig Solidarität

Und die geschiedenen Frauen bekamen wenig Solidarität: „Die kuchenfressenden Pelztiere sollen ruhig mal arbeiten gehen“, hat Kemming, die selbst Anwältin für Familienrecht ist, gehört. Die Familienrichter*innen nahmen es mit dem neuen Grundsatz ganz genau. Wer nicht für sich selbst sorgen kann, der muss das begründen. Warum findet sich keine Betreuung für das Kind? Warum kann die Oma nicht? Wie viel Mal hat Madame sich denn genau beworben? Wo sind die Nachweise? Erst 2013 stellt der Gesetzgeber mit einer Nachbesserung klar, dass auf Frauen, die in langjährigen Hausfrauenehen gelebt hatten, Rücksicht genommen werden muss.

Aber generell lautet die Devise nun: Nachweisen, dass man alles getan hat, um sich selbst zu versorgen. Im alten Unterhaltsrecht galt zum Beispiel für Mütter, die Kinder betreuen, das sogenannte Altersphasenmodell: Bis das Kind acht Jahre alt war, musste eine Mutter nicht in den Beruf zurück, bis es 15 war, nur in Teilzeit. 0/8/15 hieß es bei den Fachleuten. Nun soll sie Vollzeit arbeiten, sobald das Kind drei Jahre alt ist. Geht das nicht, muss sie den Nachweis erbringen, warum nicht.

Neu ist auch, dass die Zahnarztgattin eben auch in ihren Jugendjob, etwa als Schwesternhelferin, zurückkehren muss. Früher sollte der neue Beruf ihren „ehelichen Verhältnissen entsprechen“, da ließen die Richter durchaus gelten, dass es nicht zuzumuten sei, wieder in eine Hilfstätigkeit zurückzukehren. Vorbei.

„Früher tauschte man ein, zwei Schriftsätze“, erzählt Kemming, „die Akten waren etwa einen Zentimeter dick. Heute sind es große Leitzordner voll. Wir begründen uns einen Wolf.“ Ist eine Akademikerin etwa der Meinung, dass sie nun finanziell schlecht dasteht, weil sie die Kinder betreut hat, anstatt Karriere zu machen, dann muss sie auch diese „ehebedingten Nachteile“ nachweisen. „Beweisen Sie mal nicht gelebtes Leben“, klagt Kemming.

Juristische Beratung ist wichtig

Das gelingt etwa in dem Fall, in dem eine gut bezahlte Stelle vor vielen Jahren schon zugesagt war, dann aber wegen der Kinder nicht angetreten wurde. Aber das sind Seltenheiten. Oft, so Kemming, stehe man vor Gericht und der gegnerische Anwalt spreche spöttisch von einer „Märchenstunde“ und sage, diese Frau sei von ihrer Persönlichkeit her doch gar nicht in der Lage, einen Führungsjob auszuüben. „Die Rechtsposition der Frauen hat sich verschlechtert“, fasst Kemming zusammen.

Dennoch ermutigt Pia Keukert die verunsicherten Frauen, die bei ihr sitzen, sich zuallererst juristisch beraten zu lassen. „Das ist mühsam, aber wenn Sie für einige Zeit den Unterhalt erkämpfen können, dann haben Sie Luft, sich um ihre weitere Qualifizierung zu kümmern“, erklärt sie.

Ingeborg Rakete-Dombek, Expertin für Familienrecht beim Deutschen Anwaltverein, sieht die Reform nicht ganz so negativ: „Es hat sich für die Mütter gar nicht so viel geändert“, findet sie. Denn die Familienrichter*innen hätten durchaus eingesehen: „Solange sich das Familienmodell nicht ändert, ändern sich auch die Unterhaltspflichten nicht.“ Sie gibt allerdings zu, dass die Schriftsätze dicker werden müssen, da das Verfahren komplizierter geworden ist. Und dass das Verständnis für mütterliche Kinderbetreuung bei den Richter*innen recht unterschiedlich ausgeprägt sein kann. „Die Richterin aus dem Osten, die als Mutter ihr Leben lang Vollzeit gearbeitet hat, sagt so einer Frau eher: ‚Ich verstehe Ihr Pro­blem nicht‘, als ein westdeutscher älterer Richter, dessen Ehefrau viele Jahre mit den Kindern zu Hause war.“

Der Anwaltverein hat vorgeschlagen, die vielen Tatbestände, die die Frauen beweisen müssen, wieder in drei Gruppen zu vereinheitlichen. Deutschland habe das komplizierteste und teuerste Unterhaltsrecht in Europa, heißt es in seinem Papier. Doch droht dabei eben die Gefahr, die so unterschiedlichen Einzelsituationen unfair einzusortieren.

Unterhaltsrecht bleibt eine Ungerechtigkeit

Warum ist es in Deutschland so kompliziert? Weil moderne Familienpolitik eben nicht hinten, beim Unterhaltsrecht, anfängt. Sondern vorne, wo Frauen ermöglicht wird, auch mit Familie berufstätig zu sein. „Man muss den großen Zusammenhang sehen“, sagt Pia Keukert von „Frau und Arbeit“. Nicht nur das Steuersystem oder die immer noch mangelhafte Kinderbetreuung resultiere noch aus dem traditionellen Familienbild. Auch neuere Reformen wie Hartz IV haben den Frauen Möglichkeiten zur Eigenständigkeit geraubt. Damit wurden Berufsrückkehrerinnen etwa die bezahlten Aus- oder Weiterbildungen durch die Arbeitsagenturen gestrichen: „Heute wird die Frau in der Regel ins Callcenter geschickt.“ Finanziell selbstständig wird eine Mutter so nicht.

Solange also die Familienpolitik nicht im Ganzen modernisiert wird, bleibt das neue Unterhaltsrecht eine Ungerechtigkeit. Und zwar für alle Frauen, die ihrem Partner nicht ein vollständig gleichberechtigtes Partnerschaftsmodell abringen. Geteilte Kinderbetreuung, geteilte Hausarbeit, gleiche Arbeitszeit für beide – damit sie später keinen Nachteil hat. Paare, die so leben, kann man mit der Lupe suchen.

Stellen junge Frauen sich auf die neue Situation ein? Keukert hat da eher traurige Erfahrungen: „Die jungen Frauen sind voller Druck: Sie wollen nach der Geburt so schnell wie möglich zurück in den Job. Das geht dann mit einem Kind auch noch so einigermaßen. Aber beim zweiten Kind, da bricht alles zusammen. Da landen sie dann doch in der Teilzeit.“

Eine Erfahrung, die durch eine neue Studie des Wirtschaftsforschungsinstitutes RWI gestützt wird. Die Autorinnen Julia Bredtmann und Christina Vonnahme nahmen an, dass verheiratete Frauen, die nach einer Scheidung weniger Unterhalt zu erwarten haben, ihr Verhalten während der Ehe anpassen – so wie es nach ökonomischer Rationalität sinnvoll wäre. Sie würden schneller und umfangreicher wieder in den Job einsteigen als Frauen, die unverheiratet mit ihrem Partner zusammenleben und somit kaum von der Reform betroffen waren. Sie verglichen das Verhalten beider Gruppen vor und nach der Reform und stellten fest: Es hat sich nach 2008 rein gar nichts verändert. Keinerlei Zunahme in der Erwerbstätigkeit von jungen Ehefrauen.

Studie von RWI

„Die angezielte Selbstständigkeit der Frauen nach der Ehe wurde nicht erreicht.“

Bredtmanns Vermutung, warum das so ist, stimmt mit Keukerts Wahrnehmung überein: „Wenn man die traditionelle Arbeitsteilung einmal eingeführt hat, ist es schwierig, Anpassungen vorzunehmen.“ Damit aber verliert die Frau an Macht innerhalb der Ehe, denn der Exit, eine Scheidung, wäre für sie ungleich „teurer“ als für ihn. Bredtmanns Fazit: „Die Frauen haben zunächst einmal verloren.“ Doch schränkt sie ein, ihre Untersuchung habe sich auf bereits bestehende Ehen bezogen. „Wenn junge Frauen heute am Anfang der Ehe stehen, verhandeln sie ihre Partnerschaft dank der Reform vielleicht schon ganz anders.“ Aber all die anderen?

Da liegen sie also auf der Nase, die geschiedenen Frauen. Seht zu, wie ihr allein zurande kommt, hat die Regierung ihnen mit der Reform auf den Weg gegeben. Zugleich hat sie ihnen die Qualifizierungsmöglichkeiten genommen und nicht mal das Recht geschaffen, aus der Teilzeit in die Vollzeit zurückzukehren. Das Ergebnis, noch einmal laut ­Studie: „Die angezielte Selbstständigkeit der Frauen nach der Ehe wurde nicht erreicht.“ Die fehlenden Unterhaltszahlungen, so heißt es dort, kompensiere nun das Jobcenter – per Hartz IV.

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