Das Missverständnis mit der Frist

Weil er für eine syrische Familie bürgte, muss ein Pensionär wie andere Bürgen auch Tausende von Euro an Jobcenter zurück­erstatten. Hoffen auf bundesweite Lösung

Viele Geflüchtete kamen nur über eine Bürgschaft nach Deutschland. Asylbewerber bei der Ankunft in Gießen Foto: Boris Röseler/dpa

Von Christian Rath, Freiburg

Gibt es für Flüchtlingsbürgen noch ein Happy End? Sozialministerin Katarina Barley (SPD) könnte in Verhandlungen mit den Ländern noch ein Zeichen setzen, doch bisher gibt es kein Entgegenkommen der Bundesregierung.

Schon vor dem großen Flüchtlingsstrom konnten Tausende Syrer zu Verwandten nach Deutschland reisen – ohne Schlepper und ohne gefährliche Flucht. Voraussetzung war, dass die Verwandten oder engagierte Flüchtlingshelfer eine Verpflichtungserklärung abgaben. Alle Bundesländer außer Bayern hatten ab 2013 derartige Aufnahmeprogramme. Doch bis heute wird um den Umfang der Verpflichtung gerungen.

Damals unterschrieben die Bürgen bundesweit das gleiche Formular. Sie verpflichteten sich, bis zum Ende des Aufenthalts „oder bis zur Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Aufenthaltszweck“ die Kosten für den Lebensunterhalt der Syrer zu übernehmen.

Die Bürgen überlegten oft nicht lange, was sie da unterschrieben, Hauptsache, sie konnten ihre Verwandten aus dem Bürgerkrieg herausholen. Deutsche Helfer dachten wohl überwiegend, sie müssten nur einige Monate bis zum Abschluss des Asylverfahrens geradestehen.

Tatsächlich war die Rechtslage damals umstritten. Einige Länder wie NRW, Niedersachsen und Hessen gingen davon aus, dass die Verpflichtung mit der Asyl-Anerkennung endet und vertraten das auch öffentlich. Der Bund und andere Länder wie Baden-Württemberg nahmen dagegen eine dauerhafte Verpflichtung an.

Im Juli 2016 regelte der Bundestag die Materie neu. Er stellte für künftige Verpflichtungserklärungen ausdrücklich klar, dass diese auch nach einer Asyl-Anerkennung gelten. Dabei wurde die Haftung aber auf fünf Jahre beschränkt. Bei bereits erteilten Bürgschaftserklärungen beschränkte der Gesetzgeber die Haftung sogar auf drei Jahre.

Das Bundesverwaltungsgericht klärte die Rechtslage im Januar 2017 endgültig. Es entschied, dass auch die alten Verpflichtungserklärungen nicht mit der Anerkennung des Flüchtlings enden. Die Asyl-Anerkennung stelle keinen „anderen Aufenthaltszweck“ dar als die humanitäre Aufnahme aufgrund der Landesprogramme.

Eine mehrjährige Zahlungsverpflichtung sei auch nicht unverhältnismäßig, schließlich bleibe den Bürgen zumindest der Pfändungsfreibetrag. Im konkreten Fall musste ein pensionierter syrischer Arzt monatlich 1350 Euro an das Jobcenter zahlen. Der Arzt hatte für seine Nichte, ihren Ehemann und deren Kind gebürgt.

Um wie viele Bürgen es geht, weiß niemand. Es gibt keine bundesweite Statistik, aber es waren wohl einige Tausend. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit liegen die Schwerpunkte in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Niedersachsen.

Konkrete Zahlen gibt es nur aus Niedersachsen. Dort verlangen die Jobcenter derzeit von 720 Bürgen insgesamt 4,2 Millionen Euro ausgezahlter Sozialleistungen zurück, also im Schnitt rund 6.000 Euro pro Bürgen. Weitere Zehntausende Euro pro Kopf können noch folgen. Die Sympathie der Öffentlichkeit war eher bei den Bürgen, schließlich hatten die Länder bei ihren Aufnahmeprogrammen ja um sie geworben.

Verwaltungsgericht Mannheim rügt „uneindeutiges“ Bürgschaftsformular

Die Innenministerkonferenz beriet deshalb im Dezember 2017 über eine Kulanz-Regelung. Sie beauftragte die beiden Minister Boris Pistorius (Niedersachsen, SPD) und Peter Beuth (Hessen, CDU), mit der Bundesregierung „Gespräche zur Lösung der Problematik“ zu führen.

Die geschäftsführende Sozialministerin Katarina Barley (SPD) könnte hier zeigen, dass es hilft, wenn Sozialdemokraten im Bund mitregieren. Bisher sind aber keine Zugeständnisse bekannt. Ihr Ministerium bestätigte nur, dass es „interne“ Gespräche mit den Ländern gebe.

Eine elegante Lösung hat im Juli 2017 der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim gefunden. Das Formular, auf dem die Bürgen ihre Verpflichtungserklärung abgaben, sei uneindeutig formuliert gewesen, so der VGH. Die Unklarheit gehe zu Lasten des Staates, der das Formular eingeführt hatte. Die Bürgen müssten daher doch nur bis zur Asyl-Anerkennung haften.

Der VGH Mannheim ist zwar nur für Baden-Württemberg zuständig. Da es sich aber um ein bundeseinheitliches Formular handelte, könnten sich Gerichte und Behörden bundesweit auf das Mannheimer Urteil berufen.