Zwischen den Fronten

Fanprojekte klagen bei einem Treffen in Berlin über polizeiliches Misstrauen und Mitarbeitermangel. Und fragen sich, ob sie ihrer Aufgabe noch gerecht werden. Für den Fußball sind sie trotz aller Zweifel wichtig

Freundlicher Fankontakt beim Spiel 1. FC Union gegen Eintracht Braunschweig im März 2016 Foto: Sebastian Wells

Von Alina Schwermer

An einem Nachmittag Ende März im Retro-Kinosaal des Centre Français de Berlin spricht ein Hertha-Ultra und Vorsänger einigermaßen reflektiert über rote Linien. Die roten Linien der Fans, die vielleicht im Fußball überschritten werden, durch zu viel Kommerz, zu viel Macht der Investoren, zu viel Gängelung der Fans durch die Polizei. „Rote Linien“, sagt er, „sind schwer zu ziehen. Ich könnte nicht sagen: Ich gehe morgen nicht mehr zum Fußball. Die rote Linie hat dann vielleicht doch noch einen Bogen.“

Der Hertha-Fan, der hier in Berlin spricht, ist so etwas wie ein Kompliment für die Bundesarbeitsgemeinschaft Fanprojekte. Mit den meisten Medien würden Ultras wie er nicht reden, immer noch nicht. Alles kompliziert. Doch die Fanprojekte, die viel akzeptieren und wenig schimpfen, haben sich an dieser schwierigen Basis verankert, obwohl auch sie Fankritik erleben. Entstanden als Reaktion auf schwere Hooligan-Krawalle in den 80er Jahren leisten sie Streetwork, Vertrauensangebote in der Subkultur, Unterstützung für jugendliche Fans. Gut genug?

60 Projekte aus ganz Deutschland, von der Ersten bis in die Fünfte Liga, fragten sich das ein bisschen selbstkritisch in Berlin. Auch lokale Initiativen: Aus Hauptstadt und Umkreis mit dabei waren das Fanprojekt Berlin für Herthaner und Fans des BFC Dynamo, das Projekt Streetwork Alte Försterei für die Union-Szene und das Fanprojekt Babelsberg. Auch um Menschen anzuhören, die sonst selten öffentlich reden. Die Zeiten sind aufgebracht. Und zwischen den Fronten stehen die Fanprojekte.

Es tobt ein Grundsatzstreit. Diese Saison hat die größten flächendeckenden Fanproteste seit Langem in der Bundesliga erlebt, auch in der Hauptstadt; Fans demonstrierten gegen die Kollektivstrafen des DFB, gegen die Eventisierung der Bundesliga, die Zersplitterung des Spieltags oder für den Erhalt der 50+1-Regel, die die Macht von Investoren beschränkt. Und der erzkonservative DFB, der einen Dialog lange Jahre nach allen Möglichkeiten vermied oder platzen ließ, hat unter Druck Kompromisse versprochen. Vielleicht zu spät, um die Beziehung zur Basis noch zu kitten. Die Fanprojekte führen Dialog seit Langem wesentlich erfolgreicher. Doch sie leiden gerade unter Selbstzweifeln.

„Die Ansprüche an uns sind gewachsen“, sagt Sophia Gerschel von der Bundesarbeitsgemeinschaft Fanprojekte. Erfolgreich war diese bislang auch, weil sie unabhängig von Vereinen ist. Das Fanprojekt Berlin etwa hat keine Weisungsbefugnis von Hertha BSC und wird auch nicht von dem Verein bezahlt. Der Etat der Projekte kommt zur Hälfte von DFB oder DFL, zur anderen Hälfte von Stadt oder Land. Das heißt aber, sie sind bei aller proklamierten Basisnähe: ein Konzept von oben. Die widerspenstigen Fanszenen zu zähmen. Ein Werkzeug des Staates.

Können sie Fanrechte vertreten, ohne die Kurve zu brav zu machen? Manche Fans bezweifeln das. Fanprojekte mussten, um überzeugend zu sein, immer schon ganz unten anfangen, Anlaufstelle sein, langsam Vertrauen aufbauen. Ein nicht so leichter Job. Und je erfolgreicher sie ihn machen, desto mehr wächst das Misstrauen der Polizei.

Das hat auch mit den roten Linien zu tun, von denen der Hertha-Fan erzählt. Eine Art Unterzeile für den Kongress. Die tiefen Gräben zwischen vielen Fans und der Polizei bringen Fanprojekte in ein Paradox: Fans werfen ihnen vor, zu sehr für die da oben zu arbeiten. Sicherheitskräfte unterstellen ihnen, zu sehr mit denen da unten gemeinsame Sache zu machen. Zuletzt überwachte die Polizei mit sehr dünnen Begründungen einen Mitarbeiter des Fanprojekts Leipzig. Es gab große Durchsuchungen bei Fanprojekten in Darmstadt und Dresden. „Die scheinbare Skepsis gegenüber Fanprojekten war an vielen Orten zuletzt sehr deutlich“, klagt Gerschel.

Ist die soziale Arbeit zwischen diesen Fronten schwieriger geworden? Das komme auf den Standort an, sagt Sophia Gerschel, auf die Politisierung der Szene. „Natürlich sind die Proteste Thema. Und es wird auch darüber gesprochen, was unsere Haltung dazu ist.“

Öffentlich gibt die BAG Fanprojekte vor allem den Vermittler zwischen Anhängern und Verband. „Wir unterstützen und begrüßen, dass Dialog aufgenommen worden ist“, so Gerschel. „Wichtig ist, dass er ehrlich geführt wird.“ Fanprojekte, so schildert es Ralf Busch vom Fanprojekt Berlin, seien auf das Vertrauensverhältnis zu den Fans angewiesen. Den Jugendlichen nahe sein, aber sich nicht gemein machen – das funktioniert wohl vor allem dort, wo man sie still machen lässt. Nicht unter dem Getöse der Polizei. Das wird schwieriger.

Aber auch die Arbeit selbst ist gefährdet. Ende 2017 wurde bekannt, dass etwa die Hälfte der Projekte der KOS (Koordinationsstelle für Fanprojekte) derzeit Mitarbeiter sucht. Im Berliner Umkreis lag das Fanprojekt beim SV Babelsberg über Monate brach, weil sich keine Mitarbeiter mehr fanden. Andere Projekte litten und leiden unter hoher Fluktuation. Christian Arbeit, Pressesprecher bei Union, sagt dem Kongress per Videobotschaft: „Es ist nichts schlimmer, als wenn Vertrauenspersonen über kurze Zeit immer wieder ausgetauscht werden.“

Es liegt auch im eigenen Interesse des DFB, die Fanprojekte jetzt nicht allein zu lassen. Das scheint dem unter Druck geratenen Verband klar geworden zu sein. Einen überraschend treffsicheren Auftritt legte an diesem Nachmittag in Berlin DFB-Präsident Reinhard Grindel hin, der ein bisschen was Nettes zur Arbeit der Fanprojekte sagte, und versprach, die Finanzierung zu sichern. Den Fans kündigte er weitere Reformen an: einen transparenten Strafenkatalog etwa und ein Modellprojekt für die völlige Freigabe von Fan-Utensilien. Es fiel auch der Satz: „Die Polizei darf die Fanprojektarbeit nicht gefährden.“

Wie das umgesetzt wird, bleibt abzuwarten. „Die Fans merken gerade, dass sich etwas tut“, sagt Gerschel. „Es kommt jetzt darauf an, dass man den Dialog ernsthaft fortführt. Die Fanszene betrachtet das kritisch, es gab genug Enttäuschungen.“ Die Fanprojekte sind gerade wichtiger, als man sich das anfangs ausmalte. Damit nutzen sie zwar nicht unbedingt dem DFB. Dafür dem Fußball.