„Enteignungen sind legitim“

Lassen Eigentümer ihre Häuser absichtlich leer stehen, will die Linke sie fortan enteignen. Parteichefin Katina Schubert ist guter Hoffnung, dass die SPD da mitmacht. Den MieterInnenprotest am Samstag will sie unterstützen, aber nicht instrumentalisieren

Interview Erik Peter
, Bert Schulz
und Stefan Alberti

taz: Frau Schubert, wir sitzen hier in der Rudi-Dutschke-Straße. Lassen Sie uns über Enteignungen reden!

Katina Schubert: Gerne.

Der Leitantrag für den Landesparteitag am Samstag fordert Enteignungen bei spekulativem Leerstand von Häusern. Ist das ein reales Problem?

Ja. Wenn ich durch die Stadt gehe, fallen mir immer wieder Häuser oder Gebäudeteile auf, die leer stehen. Und da frage ich mich: Warum eigentlich? Das Problem ist: In den Bezirken fehlt das Personal, um diese Fälle zu überprüfen. Aber in Fällen, in denen Gebäude bewusst leer stehen gelassen werden oder leer gezogen werden, um damit große Gewinne zu machen, ist es gerechtfertigt, wenn die öffentliche Hand sagt: bis hierhin, und nicht weiter!

Wie soll das konkret gehen?

Es wird festgestellt, wer der Eigentümer ist; er muss nachweisen, dass das Haus entsprechend genutzt wird. Verweigert er sich, wird geprüft, inwieweit er enteignet werden kann. Da gibt es Möglichkeiten, es handelt sich ja nicht um ein ungewöhnliches Verfahren: Wenn der Bund Autobahnen bauen will, ist er ganz fix mit dem Enteignen von Grundstücken.

Der Eigentümer wird gezwungen, zu verkaufen?

Genau. Natürlich nicht entschädigungslos, das wäre rechtswidrig. Rot-Rot-Grün hat im Zweckentfremdungsverbotsgesetz – bei dem es auch um das Verbot von Ferienwohnungen geht – schon etwas ähnliches vorgesehen: eine Treuhänderregelung. Wenn Spekulationsleerstand offenkundig ist, werden beispielsweise Wohnungen wieder vermietet; die Mieteinnahmen gehen über einen Treuhänder an den Eigentümer.

Macht die SPD da mit?

Beim Zweckentfremdungsverbotsgesetz hat sie ja schon mitgemacht.

Und bei der Bekämpfung des spekulativen Leerstands?

Das wird man sehen. Aber natürlich hat auch die SPD damit zu kämpfen, dass sie sich als Mieterpartei bezeichnet, aber ihre Klientel nicht mehr angemessen vertreten kann. Insofern bin ich gar nicht so pessimistisch, dass man mit der SPD über diese Frage reden kann.

Aber der Begriff Enteignung hat zumindest sprachlich eine neue Radikalität, die viele Menschen abschrecken dürfte.

Nein, ich würde nicht sagen, dass es eine sprachliche Radikalität ist. Letztendlich gibt es ein großes gesellschaftliches Interesse an bezahlbarem Wohnraum. Insofern sind auch Enteignungen legitim, wo Wohnraum zweckentfremdet oder spekulativ leer steht. Es geht nicht um Enteignungen von Eigenheimen oder Datschenbesitzer*innen.

Es gäbe ja noch andere Politikfelder, wo Enteignungen berechtigt wären. Ist Ihre Forderung also nur der erste Schritt?

Der Protest Einen so massiven Protest gegen Verdrängung gab es noch nie: Mehr als 200 Initiativen und Organisationen wollen am Samstag ab 14 Uhr am Potsdamer Platz auf die Straße gehen. Sie fordern einen radikalen Kurswechsel in der Wohnungs- und Mietenpolitik. Endpunkt: Goebenstraße. Mit #Mietenwahnsinn werden Beiträge in den sozialen Medien gekennzeichnet.

Die Aktionstage Die Demo ist Abschluss der berlinweiten Mieten-Aktionstage mit vielen Veranstaltungen. Details unter mietenwahnsinn.info/aktionskalender/

Das folgt jetzt erst mal einem dringenden Bedürfnis. Ansonsten reden wir eher von Rekommunalisierung im Bereich der öffentlichen Infrastruktur. Um die Energienetze von Strom und Gas, die S-Bahn.

Da steht innerhalb von Rot-Rot-Grün die Frage an, ob das Land einen eigenen Fuhrpark aufbauen soll.

Wir als Linke wollen das, um damit Abstimmungsschwierigkeiten zu vermeiden. Wir brauchen die S-Bahn als Rückgrat des Berliner Nahverkehrs. Und ein eigener Fuhrpark kann auch Spekulationsabsichten reduzieren: Sobald sich die Waggons in landeseigenem Besitz befinden, steht eben nicht der Profit im Vordergrund, sondern das Land kann damit entsprechend den Bedürfnissen der Fahrgäste arbeiten. In der Koalition ist das aber noch nicht entschieden.

Die SPD ist sogar offen für ein landeseigenes Eisenbahnunternehmen.

Ja, da sind wir auch offen. Wenn es eine realistische Perspektive gibt, dass wir die S-Bahn in Landeshand bekommen mit Brandenburg zusammen, dann wäre das eine Zukunftsoption.

Über welchen Zeitraum reden wir hier?

Puh, ich fürchte über einen längeren.

Was sind denn die realistischen Optionen, die Energienetze wieder in öffentliche Hand zu bekommen?

Das liegt alles bei Gericht, wegen der Ausschreibungen.

Derzeit können Sie also nichts konkret tun?

Im Moment ist das schwierig. Die Gerichte müssen jetzt klären, inwiefern das Land darauf einen Zugriff bekommt. Da muss die Politik jetzt abwarten.

Wie lange wird das dauern?

Es gibt leider keinen Zeithorizont, das macht es uns als Politik auch so schwer. Und das ist ein Problem.

KatinaSchubert,56, geboren in Heidelberg, ist seit Dezember 2016 Landesvorsitzende der Linkspartei und damit Nachfolgerin von Klaus Lederer. Zuvor war die Abgeordnete Landesgeschäftsführerin

Foto: Jens Jeske

Im Leitantrag des Parteitags steht eine „Privatisierungsbremse“, damit nicht noch eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft verkauft werden kann wie einst die GSW.

Dass der Verkauf der GSW ein Fehler war, steht völlig außer Frage. Die Privatisierungsbremse ist schon zwischen SPD, Linken und Grünen verabredet. Wir haben aber keine Zweidrittelmehrheit im Parlament für die nötige Verfassungsänderung. Wir werden jetzt einen Gesetzentwurf ausarbeiten und dann den normalen politischen Weg durchs Parlament beschreiten. Das heißt, dass jetzt der Druck auf die CDU aufgemacht werden muss. Ohne sie gibt es keine Zweidrittelmehrheit.

Und wenn die Union nicht zustimmt?

Dann ist es Zeit zu prüfen, ob wir genug Unterstützung haben in der Stadt, um die Bremse durch ein Volksbegehren umzusetzen.

Für ein verfassungsänderndes Volksbegehren gelten besonders hohe Hürden: Statt wie sonst müssen zum Beispiel 500.000 statt nur rund 175.000 Menschen unterschreiben.

Trotzdem müssen wir das prüfen. Ich halte eine solche Privatisierungsbremse nach den schlechten Erfahrungen aus den 90ern und 00er-Jahren für zwingend.

Die Gruppen, die bei der Mietendemo am Samstag mitmachen, würden eine Privatisierungsbremse sicher unterstützen. Ist der Protest schon eine Art Gradmesser für die Unterstützung in der Gesellschaft?

Die Organisatoren sind darauf bedacht, ihren Protest unabhängig von den Parteien durchzuführen. Das ist richtig: Es muss einen Raum geben für die außerparlamentarische Arbeit. Wir als Linke verstehen uns als eine Art Transmissionsriemen, aber wir haben kein Recht, das zu instrumentalisieren.

Für ein Volksbegehren für die Privatisierungsbremse müssten Sie genau das tun!

Am Samstag ab 10 Uhr lädt die Berliner Linke zu ihrem Landesparteitag nach Adlershof. Nach einem Grußwort von Bundesgeschäftsführer Harald Wolf steht der Leitantrag des Vorstands im Mittelpunkt der Debatte. Er steht unter dem Motto „Die Rückeroberung des Öffentlichen“. Weitere Anträge fordern den 8. Mai als Feiertag, ein antifaschistisches Zentrum in Schöneberg und die Unterstützung für das Volksbegehren „Berlin Werbefrei“. (epe)

Nein, wir können das unterstützen, müssen es aber nicht instrumentalisieren.

Rot-Rot-Grün müsste das Volksbegehren initiieren.

Jetzt geht es erst mal um die Mietendemo am Samstag; da halten wir uns als Partei zurück. Was die Privatisierungsbremse angeht: Wenn die CDU sich verweigert, sind wir in der Situation, dass wir auf alle Initiativen, die dafür in Frage kommen – Mietinitiativen, Gewerkschaften, Kirchen, etc. – zugehen werden und fragen: Was haltet ihr davon? Dann muss die Zivilgesellschaft aktiv werden.

Auf Ihre Initiative.

Ja, nu. Aber erst gehen wir den parlamentarischen Weg.

Die Mietendemo am Samstag: Ist das Gegen- oder Rückenwind für die Linke?

Ich betrachte das als Rückenwind. Die Demonstration ist eine super Sache. Aus dem Aufruf geht klar hervor, dass diese Demo in Opposition zum herrschenden Mietrecht steht. Um den Mietenanstieg zu begrenzen, muss vor allem im Bundesrecht viel verändert werden.

Langfassung unter taz.de/berlin