„Jim Knopf“-Film und Diskriminierung: Ohne N-Wort geht’s auch

„Jim Knopf“ zeigt, dass man auch ohne die schlimmsten Rassismen dem Original treu bleiben kann. Am Sexismus wurde aber festgehalten.

Ein Mann und ein Junge schauen aus einer Lokomotive

In deutschen Erzählungen immer noch sehr selten: ene schwarze Hauptfigur (Solomon Gordon als Jim Knopf mit Henning Baum als Lukas) Foto: dpa

Jim Knopf ist erwartet worden – mit Vorfreude und Besorgnis. Die Verfilmung von Michael Endes Kinderbuchklassiker hat zahlreiche Fans, was sich daran zeigte, dass „Jim Knopf“ in den Charts mehrere Hollywood-Blockbuster überholte.

Zugleich ist der Film neben „Black Panther“ und „Das Zeiträtsel“ einer von drei aktuellen Filmen, die mit schwarzen Hauptfiguren aufwarten, aber der Einzige aus Deutschland. „Jim Knopf“ dürfte auch der umstrittenste sein, weil Michael Ende in seiner Erzählung zum einen auf diskriminierende Beschreibungen für schwarze Menschen zurückgreift und zum anderen zahlreiche Ostasienklischees enthält.

Für Kinder in Deutschland bietet der Film eine herausragende schwarze Hauptfigur: Jim Knopf, der in einem Postpaket auf der Insel Lummerland landet und später mit seinem Freund Lukas, einem Lokomotivführer, nach Mandala auswandert. Auf der Suche nach der geraubten mandalanischen Prinzessin Li Si begegnet er Halbdrachen und Scheinriesen und besiegt eine Drachenlehrerin, die Kinder aus der ganzen Welt raubt, um sie in einer Schule zu quälen.

An der Originaldarstellung Jims gibt es viel zu kritisieren: An einer Stelle wird der schwarze Junge mit dem N-Wort bezeichnet, anderswo wird Lukas’ vom Ruß dreckige Haut als genauso schwarz wie Jims beschrieben und an wieder anderer Stelle erbleicht Jim unter seiner schwarzen Haut – als wäre sie nur aufgeschminkt. Schafft es nun die Fantasy-Verfilmung, weniger rassistisch zu sein als die Vorlage?

In ihrer Intention antirassistisch

Trotz aller Kritik sollte vorangestellt sein, dass Michael Endes Erzählung in ihrer Intention und Botschaft keine rassistische ist – im Gegenteil. Sie rechnet explizit mit Autoritarismus und Nationalsozialismus ab, ihre Helden sind Arbeiter, nämlich Lokomotivführer, und deren Freunde sind allerlei Außenseiter, die aus Angst oder Verachtung ausgegrenzt werden, und schließlich ist die in der Geschichte formulierte Utopie ein Land, in dem Kinder aus aller Welt in Frieden leben dürfen. Auch die Tatsache, dass die Hauptfigur Jim selbstverständlich schwarz und deutsch (äh … lummerländisch) ist, ist auch fast sechzig Jahre nach dem ersten Erscheinen des Buches keine Selbstverständlichkeit in deutschen Erzählungen.

Doch wie ist es nun mit dem Film und dem N-Wort? Bei den rassistischen Stellen aus dem Buch haben sich die DrehbuchautorInnen ­offensichtlich Mühe gegeben: Das N-Wort kommt nicht vor und auch die Stellen, die Jims dunkle Haut mit Lukas’ dreckiger Haut vergleichen, sind weg. Der „dicke gelbe Kopf“, der die Tür des kaiserliche Palastes in Mandala hütet, ist nur gelb geschminkt. Kurz: Der Film zeigt, dass man dem Original von Michael Ende treu bleiben und dabei die Erzählung in seinem Sinne aktualisieren kann.

Die große Schwäche in der Hinsicht aber ist das Land Mandala – im Buch wie im Film. In der Erzählung ist es der zivilisierteste Ort der Welt. Während Lummerland nicht einmal ein Dorf ist und ein verwirrter Mann im Morgenrock sich für einen König hält, gibt es in Mandala eine Hauptstadt mit florierendem Handwerk und der Kaiser unterhält eine Bürokratie, Militär und Wissenschaftler. Problematisch ist jedoch, dass Michael Ende dabei auf Ost­asien­klischees und Chinesenwitze zurückgreift, um die Befremdung von Jim und Lukas in dieser für sie unbekannten Gesellschaft darzustellen: So essen die Mandalanier Wespennester in Schlangenhaut, haben Namen wie Ping Pong und Pi Pa Po und Kinder und Kindeskinder, die zwar noch klein, aber in ihrem Verhalten erwachsen sind.

Mandala kann aus „Jim Knopf“ nicht so einfach gestrichen werden wie das N-Wort, denn es ist wortwörtlich die Mitte der Welt und zentraler Handlungsort. Auch der Film legte seinen Schwerpunkt darauf, Mandala vor allem exotisch aussehen zu lassen, und verzichtete deshalb explizit auf mögliche Drehorte in China, um ein „Mandala zu schaffen, wie es noch kein Kinobesucher gesehen hat“, wie Szenenbildner Matthias Müsse sagt. Dennoch sei es stark von chinesischer Architektur inspiriert. Der Spagat scheint gelungen, denn das Mandala des Films wirkt tatsächlich authentisch – auch wenn die Intensität an bunten Kostümen, architektonischen Sonderelementen, Lampions und anderen Dekorationen sehr verkitscht ist.

Die Welt durch die Augen von Europäern

Mandala ist so immer noch durch die Augen der beeindruckten europäischen Ausländer dargestellt, die aus ihrer Heimat nur Grau- und Brauntöne kennen. Gut ist deshalb, dass der Film letztendlich eine wichtige Szene aus dem Buch beibehalten hat: Als Lukas und Jim sich vor dem mandalanischen Essen ekeln, bitten sie stattdessen um ein Käsebrot, was direkt zurückgespielt wird: „Ist Käse nicht verschimmelte Milch?“

Die andere Schwachstelle findet sich zum Schluss des Films, als Jim und Lukas die Prinzessin Li Si und Kinder aus der ganzen Welt aus den Fängen Frau Malzahns befreien. Das Klassenzimmer ist eine Ansammlung folkloristischer Klischees, von der amerikanischen Ureinwohnerin mit Feder im Haar bis zum braunen Kind mit Turban. Michael Endes Vorstellung vom Multikulti-Klassenzimmer war vermutlich einst antirassistisch gemeint, wirkt heute aber andersherum: als Reduktion auf von Europäern formuliertes Klischees. Hier hat der Film einen eigenen Perspektivwechsel eingebaut: Ein weißer Junge verfällt beim Anblick der Lokomotive Emma in deutsche Mundart, während die anderen Kinder achselzuckend auf hochdeutsch fragen: „Was hat der gesagt?“

Was Michael Endes Erzählung aber nie war, ist: antisexistisch. Die Welt von „Jim Knopf“ ist geradezu entvölkert, was Frauen angeht. In beiden Bänden kommen eine handvoll Frauen vor und dazu noch in stereotypen Rollen: die Hausfrau Waas, die Prinzessin Li Si, die strenge Lehrerin Malzahn und die Meerjungfrau Sursulapitschi. Ihre Geschichten sind genauso stereotyp: Frau Waas würde gerne Mutter sein und befürchtet, ihren Ziehsohn Jim zu verlieren, Li Si wird geraubt und muss von Jim gerettet werden, Frau Malzahn muss Jim erst besiegen, damit sie zum „Goldenen Drachen der Weisheit“ wird.

Der Film ist in dieser Hinsicht nicht besser – und fügt leider selbst noch mehrere problematische Stellen hinzu. Anders als im Buch bringt beispielsweise Herr Ärmel seine Wäsche zu Frau Waas. Die Stelle ist für die Erzählung nicht notwendig, sie soll offenbar Herrn Ärmel als eingebildet und inkompetent vorführen, doch gleichzeitig bestätigt sie stereotype Rollenbilder, und obwohl Frau Waas sichtlich protestieren möchte, tut sie es nicht.

Hollywood ist mutiger

Später im Film verleugnet der Halbdrache Nepomuk seine Nilpferd-Mutter, indem er über seinen Vater behauptet, dieser sei „kurzsichtig gewesen“. Die Unterstellung ist, dass der Drachenvater sich eigentlich niemals mit einem Nilpferd abgegeben hätte und bedient sich eines sexistischen Musters, bei dem Männer Frauen anhand ihres Aussehens bewerten. Auch das ist eine unnötige Abweichung vom Buch. Und so bekommt ausgerechnet die Stelle, an der Michael Ende mit der Rassentheorie des Nationalsozialismus abrechnet, im Film auch noch eine rassistische Komponente: Als Nilpferd kommt Nepomuks Mutter offensichtlich aus Afrika.

Die Verfilmung von „Jim Knopf“ zeigt, dass man ein Original stellenweise tatsächlich behutsam und bedeutsam verbessern kann. Aber die Neuerzählung hätte mutiger sein können, so wie die Regisseurin von „A Wrinkle in Time“, die sich nicht scheute, eine als weiß geschriebene Figur schwarz zu casten, oder der Regisseur von „Ghostbusters“, der die Hauptfiguren in der Neuverfilmung mit Frauen besetzte.

Ein ebenfalls schwarzer Lukas oder Jim als Mädchen – das wäre in Deutschland leider unvorstellbar.

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