Dem Golfstrom gehen die Kräfte aus

Neue Studie: Die für das Wetter und die Fischbestände wichtige Meeresströmung ist seit 1950 um 15 Prozent schwächer geworden. Grund soll der Klimawandel sein

Von Bernhard Pötter

Die Besorgnis vieler Klimaforscher vor einer Störung des Golfstroms im Nordatlantik hat neue Nahrung erhalten. Die Meeresströmung, die Europa mit Wärme versorgt und das weltweite Klimasystem stabilisiert, hat sich nach neuen Daten seit 1950 so stark reduziert wie seit mindestens tausend Jahren nicht mehr. „Wir legen Hinweise vor, dass sich das System seit Mitte des 20. Jahrhunderts um 15 Prozent abgeschwächt hat“, heißt es in einer Studie, die am Mittwoch im Fachblatt Nature erschien. „Der vom Menschen verursachte Klimawandel ist der Hauptverdächtige für diese beunruhigenden Beobachtungen“, erklärte das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), an dem einige Autoren der Studie arbeiten.

Die Forschergruppe aus Potsdam, Madrid, Athen und Princeton verweist auf umfangreiche Messungen von Wassertemperatur und Strömungen und auf neue, exaktere Klimamodelle. Sie konzentrieren sich auf ein Gebiet im Nordatlantik südlich von Grönland, das unter Forschern schon lange als verhaltensauffällig gilt. Denn anders als überall sonst auf dem Planeten wird es dort nicht wärmer, sondern kälter. Eine mögliche Erklärung dafür, die sich nun offenbar erhärtet: Durch einen schwächeren Golfstrom wird weniger Wärme in die Gegend transportiert.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass der Golfstrom in den letzten Jahren einen Rekordtiefstand erreicht zu haben scheint, in Übereinstimmung mit Rekord-Tieftemperaturen des Meerwassers“, schreiben die Forscher. Obwohl natürliche Schwankungen nicht völlig ausgeschlossen werden könnten, sei es „sehr wahrscheinlich größtenteils durch Menschen verursacht“.

Nicht alle Experten folgen dieser Auffassung. Mojib Latif vom Kieler Meeresforschungsinstitut Geomar sieht „keinen Trend in die eine oder andere Richtung“, sagte er der taz. Eine schwächere Strömung hält er auch nach den neuen Daten für „nicht eindeutig“. Für Stefan Rahmstorf dagegen, Meeresexperte am PIK und einer der Autoren, zeigt sich in den Daten eine „statistisch signifikante“ Änderung der Strömung, die nicht mehr durch das „Rauschen“ der Vielzahl von Daten zu erklären ist. „Wir bewegen uns auf einen Punkt zu, an dem diese Entwicklung kippen kann. Aber wir wissen nicht, wie weit entfernt wir davon sind.“

Die Region versetzt die Forscher schon lange in Aufregung. Mehr Regen und das Schmelzen der Grönlandgletscher bringen dort immer mehr Süßwasser ins Meer. Das so verdünnte Wasser ist weniger salzhaltig und sinkt nicht so schnell ab, wie es sonst der Fall war. Mit dem Golfstrom, der offiziell „Atlantische meridionale Umwälzströmung“ (Amoc) heißt, gelangen gigantische Wärmemengen vom Äquator nach Norden, wo das Wasser abkühlt und wieder zum Äquator zurückfließt. Die Abschwächung dieses „Förderbands“ haben auch schon andere Studien beobachtet und vorausgesagt. Die Forscher nutzen dafür Vergleichsdaten aus Eisbohrkernen und Sedimenten vom Meeresgrund ebenso wie Messungen von Schiffen, Bojen und Satelliten.

Ein Abreißen des Golfstroms ist eines der Horrorzenarien für einen ungebremsten Klimawandel – nicht zuletzt durch den Hollywoodfilm „The Day after Tomorrow“ populär geworden. Aber schon eine deutliche Abschwächung könnte ernste Konsequenzen haben, warnen Wissenschaftler schon lange: Der Fischreichtum des Atlantiks hängt an diesem System ebenso wie das Wetter in Europa. Einfluss hat der Golfstrom aber auch auf den Monsun in Indien und Niederschläge in Afrika. Und an der US-Ostküste steigen die Temperaturen und der Meeresspiegel, zeigen Modelle und Messungen.

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