Ein erbärmliches Häuflein Nazis marschiert in Washington auf

Ein Jahr nach der Gewalt bei Neonazi-Protesten in Charlottesville mobilisieren Rechtsextreme erneut, diesmal in der US-Hauptstadt. Doch aus der rechtsradikalen Bewegung kommen nur 24 Teilnehmer. Ihnen gegenüber stehen Tausende Gegendemonstranten

Rechts­radikaler beim Mini­aufmarsch: Jason Kessler hatte schon die Demo in Charlottesville vor einem Jahr organisiert Foto: Alex Brandon/ap

Aus Washington Dorothea Hahn

Es sind die letzten Momente vor dem befürchteten Sturm. In wenigen Minuten sollen in Washington die Rechtsradikalen aus der U-Bahn kommen. Exakt ein Jahr, nachdem sie die Kleinstadt Charlottesville in Virginia terrorisiert haben, dort eine junge Frau getötet und zahlreiche weitere Menschen verletzt haben, wollen sie an diesem Sonntag Stärke im Zentrum der politischen Macht der USA zeigen.

Am U-Bahn-Ausgang Foggy Bottom versucht ein Polizist, für Ordnung zu sorgen. Er ist nicht allein – auf der 23. Straße vor ihm stehen Hunderte von Polizisten in grellgrünen Westen, die an diesem Wochenende dienstverpflichtet sind. Der Polizist am U-Bahn-Ausgang ist der Mann für den Sicherheitsabstand. In der schwülen August­hitze läuft er in kniehohen Stiefeln über die Sinnsprüche, die in den Stunden zuvor mit bunter Kreide auf den Asphalt gemalt worden sind.

Er tritt auf „Liebe statt Hass“ und auf „Keine Nazis in Washington“. Vor ihm steht eine geschlossene Wand von Fotografen. Dahinter Demonstranten. Dahinter Schaulustige. Scheinbar drängen alle auf ihn zu. „Haltet euch gefälligst an die 15 Fuß-Regel“, brüllt der Polizist in die Menschenmenge. Niemand darf sich dem Bahnausgang mehr als viereinhalb Meter nähern. Von Foggy Bottom aus wollen sie zum Lafayette Square ziehen, zu dem Park, wo normalerweise die Limousinen vor das Weiße Haus rollen.

Seit Jason Kessler, der auch für die Demonstration in Charlottesville verantwortlich war, die Neuauflage angemeldet und 400 Teilnehmer angekündigt hat, mobilisieren Dutzende von Organisationen zu Gegendemonstrationen. Unter ihnen sind Bürgerrechtsgruppen wie Black Lives Matter, Frauengruppen und religiöse Organisationen. Und die Antifa, die in Charlottesville auf der Straße gekämpft hat, während die Polizei untätig zuschaute, wie Rechtsradikale mit brennenden Fackeln und Eisenstangen auf Menschen losgingen.

Ein Jahr später gibt es in Washington deutlich mehr Gegendemonstranten. Seit Charlottesville gibt es mehr Proteste gegen Rechtsradikale in den USA als zuvor. Menschen, die zuvor keine Ahnung hatten, dass es hier Neonazis und andere Rechtsradikale gibt, die bereit sind zu töten, gehen jetzt gegen sie auf die Straße.

Zugleich hat sich die rechtsradikale Bewegung, die in Charlottesville geschlossen marschierte, weiter gespalten. Viele, die noch vor einem Jahr Kesslers Aufruf folgten, sind seither auf Distanz gegangen. Sie kritisieren, dass er ein Jahr gebraucht hat, bevor er den Mord an der 32-jährigen Heather Heyer verurteilte, und dass seine Organisation chaotisch war und dadurch gewaltbereite Männer in ihren Reihen ermuntert hat.

Manche sind aber auch auf Tauchstation gegangen, weil seit Charlottesville Bilder von ihren Gewaltexzessen bekannt geworden sind und sie darüber Probleme in ihrem Privatleben bekommen und ihre Jobs verloren haben. Und dann gibt es solche, gegen die jetzt die Justiz wegen der Gewalt ermittelt. Einer von ihnen ist der Neonazi Richard Spencer, der seine Anhänger ausdrücklich aufgefordert hat, der Demonstration in Washington fernzubleiben.

„Sie sind nicht Amerika“

Jillian, Gegendemonstrantin von Black Lives Matter

Am Sammelpunkt der Rechtsradikalen in Vienna steigen gerade einmal 24 Menschen in die Bahn. Als das erbärmliche Häuflein bei der Abschlusskundgebung auf dem Lafayette Square angekommen ist, sind nur noch 16 übrig. Die Polizei eskortiert die Rechtsradikalen zum Weißen Haus. Von den Straßenrändern kommen Stinkefinger und wütende „Nazi go home“-Rufe.

Dann bringt die Polizei das Häuflein Rechtsradikale auf ein Stück Wiese, das von mehreren Reihen Absperrgittern umgeben ist. Alle paar Minuten steigt dort ein anderer junger Mann auf ein Podium und redet. Zu hören ist Altbekanntes: Dass die USA ein leeres Land gewesen seien, als die Europäer kamen; dass die Einwanderer heute die „europäische Identität“ gefährden und dass Donald Trump bis 2024 im Amt bleiben soll. Das Meiste geht in den Sprechchören der Gegendemonstranten und im Donnern eines anrollenden Gewitters unter.

Für die Rechtsradikalen ist alles viel schneller vorbei als von Organisator Kessler geplant. Seine Kundgebung ist schon vor ihrem angekündigten Beginn beendet. Gegen fünf Uhr fallen die ersten Regentropfen. Dann verschwinden die Rechten in einem weißen Minibus.

„Schämt euch“, hallt es dagegen noch Minuten später vom anderen Ende des Platzes herüber. Eine Stunde später geraten ein paar Antifa-Aktivisten mit der Polizei aneinander. Vom Bürgersteig aus beobachtet eine junge Frau von Black Lives Matter die Szene, bei der Polizisten von Motorrädern aus Pfefferspray auf die Antifa sprühen. Jillian ist froh, dass Washington die Rechtsradikalen vertrieben hat. „Sie sind nicht Amerika“, sagt sie. Aber sie bedauert, dass alles so schnell gegangen ist. „Ich wollte ihre Gesichter sehen“, sagt sie. „Ich wollte wissen, wie Nazis aussehen.“

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