Ausgehen und rumstehen Von Morgane Llanque
: Ich stelle mir vor, ich binim bretonischen Quiberon

Ich hatte nie eine besonders innige Beziehung zu Sardinen, aber Franzosen können einen immer eines Besseren belehren. In diesem Fall Deutsche, die viel Zeit mit den Kuriositäten der französischen Küche verbracht haben. So wie Thomas, der Besitzer der ersten Sardinen-Bar Deutschlands, neueste Zierde des Akazienkiezes. Während die Teenies des Viertels auf den Stufen der Apostel-Paulus-Kirche leere Bierdosen durch die Gegend kicken, mache ich mich auf, die Konservenwelt der Feinschmecker zu ergründen. Die Königin in dieser Welt: die Ölsardine.

Die hat auf einmal nicht mehr viel mit dem Zeug zu tun, das meine Zwillingsschwester sich in unseren Teenagerzeiten für ungefähr 70 Cent pro Dose im Discounter kaufte und beim Auskatern begeistert auf Buttertoast klatschte. Stattdessen bestellt man in der Sardinen-Bar Dosen mit Aufdrucken wie „Filets de Sardines Thym-citron frais“ von „La Perle de Dieux“. Einige Fische sind klassisch nur in Pflanzenöl eingelegt, andere kann man in Muskatwein eingelegt, mit Früchten kandiert oder mit Olivenpaste eingerieben erwerben.

Oder natürlich: Jahrgangssardinen. Ja, richtig gelesen. In der Bretagne werden die kleinen silbrigen Fische in der Büchse nämlich so zärtlich behandelt und gelagert wie Wein. Dabei werden sie von Jahr und Jahr mürber und geschmacksintensiver und angeblich im Endstadium so lecker, dass man sie gar nicht mehr als Billo-Fisch identifizieren kann. Schöneberger Jonas, der mich hergeführt hat, bestellt puristisch, aber stilsicher eine Konserve mit dem Jahrgang 2015 nur in Öl eingelegt. Ich dagegen suche mir eine Variante von der Menüseite mit dem Titel „Die Extravaganten“ aus: Sardinen aus Quiberon mit Chili, Tomate und Knoblauch. Das Nächste, was ich über die Konserven-Kultur lerne: Die Deckel der Dosen werden von Künstlern gestaltet und kommen in Form von Jugenstil-Göttinnen oder botanischen Farbwelten à la Matisse daher. Die Typografie der Etiketten wirkt wie aus der Belle Epoque, die Fisch-Konterfeis sind kunterbunt und mit Zitronen verziert. Bevor wir mit dem Essen beginnen, werden uns die abgezogenen Deckel vom Besitzer der Bar persönlich präsentiert, damit wir ihre aufwendigen Motive bewundern können und bloß nicht auf den Gedanken kommen, 11,50 Euro für Dosenfisch in Sauce seien ein bisschen zu viel der Penunze.

Tatsächlich schmeckt es wirklich köstlich. Und es hilft trotzdem noch beim Auskatern. Ich muss meine Schwester anrufen und mich entschuldigen, dass ich sie früher immer angeekelt angestarrt habe, wenn sie die salzigen Filets am Frühstückstisch verspeiste. Klar, sie hat zwar nur den Supermarkt-Trash gekauft, aber immerhin erahnte sie den Zauber der Sardinen schon damals, während ich dachte, Thunfischsalat mit Mais sei das Spektakulärste, das man aus Konserven rauskriegen kann. Das ganze Vintage-Ambiente und der ziemlich starke Wein vernebeln einem unterdessen schnell den Kopf. Ich stelle mir vor, ich bin in Quiberon, ein Abbild von Romy Schneider, das aus dem Korsett deutscher Biederkeit ausgebrochen ist und die Verwandlung zur mondänen Französin geschafft hat. Eine Dame, die als Delikatesse Speisefisch aus Metallbüchsen isst, der in der teutonischen Heimat nur als bloßes Fertigfutter gilt, den Vinho Verde in der gebräunten Hand, den Blick auf das bewegte Meer und das Château Turpault gerichtet.

Als die Rechnung kommt, ist der Traum vorbei. Wir zanken ein bisschen. Es stellt sich nämlich heraus, dass man die zuvor zur Schau gestellten Deckel plus einem zusätzlichen Exemplar, in dem der zusammengerollte Bon liegt, als Souvenir mit nach Hause nehmen darf. Wer kriegt das dritte Cover?! Das mit den schillernden Fischen? Er hat doch schon die japanisch anmutende Maria mit floralen Details, während auf meiner Konserve nur eine fette Fleischtomate prangt.

Die Ölsardine istdie neu gekrönte Königin der Feinschmecker

Beschämt denke ich an Romy, breche den Diskurs ab und nippe schweigend an meinem Wein, bis Jonas mir die dritte Dose selbstlos überlässt.