Kolumne Habibitus: Das deutsche Drama

Wie kann es sein, dass es in Deutschland Nazis gibt, wo wir doch den Flüchtlingen Bananen an den Zug gebracht haben?

Ein Mann wäscht sein Auto

„Um Himmels willen! Ist das wahr?“ Foto: Imago / Steinach

Vormittags bei den Fischers. Gertrud schrubbt in der Küche den Herd, Werner blättert im Wohnzimmer in der­ Zeitung.

Werner: Gertrud! Hast du das gehört? In Chemnitz sind Nazis auf Ausländer losgegangen! Und die Polizei war so überfordert, dass sie nichts tun konnte!

Seine Frau kommt zu ihm.

Gertrud: Werner, um Himmels willen! Ist das wahr?

Werner: 6.000 Nazis wüteten zwei Tage lang in der Innenstadt.

Gertrud: Wie konnte das passieren? Wir waren doch 2007 bei der Lichterkette gegen Rassismus. Unsere Schwiegertochter hat 2015 Bananen am Bahnhof an Menschen aus Syrien verteilt … Ich verstehe die Welt nicht mehr. Wie kann es sein, dass es in Deutschland so viele Nazis gibt? Wo kommen die denn alle her? Die AfD gibt’s doch erst seit 2017. Und die sind … nun ja, rechtspopulistisch.

Werner: Zu einer Demokratie gehört Meinungsfreiheit dazu. Nur radikal darf es nicht werden.

Gertrud: Da haben doch bestimmt diese gewaltbereiten Antifas provoziert!

Gertrud greift nach der Fernbedienung und schaltet die Nachrichten ein.

Gertrud: Die Leute greifen zur Selbstjustiz, anstatt auf den Staat zu bauen. Da kann es ja nur eskalieren. Siehe G20. Was war ich wütend, als unser Justus zu dem Protest gefahren ist!

Werner: Immerhin friedlich war er.

Türgeräusch. Der älteste Sohn, Jonathan-Lennart, ist nach Hause gekommen. Er setzt sich neben Gertrud auf das Sofa im Wohnzimmer.

Jonathan-Lennart: Tach auch!

Gertrud: Hast du das mitbekommen?

Sie zeigt nervös auf den Fernseher.

Gertrud: Und Hitlergrüße haben sie auch gemacht!

Werner: Na, jetzt mal langsam, vielleicht haben sich die Leute auf der Demo zugewinkt. Als wir damals bei der Anti-Atom-Demo waren, haben wir Margot und Steffen doch auch verloren.

Gertrud: Ich bin so geschockt! Wie konnte das nur passieren? Vielleicht braucht es einfach mehr Polizisten in diesem Land!

Jonathan-Lennart (brüllt): Ist das dein Ernst? Da waren sicher viel mehr Polizeikräfte, als ihr seht. Sie waren vielleicht nur privat dort. Unter den Nazis. Denn als Justus in Hamburg war, schien es nicht, als gäbe es zu wenig Polizei in Deutschland. Sie schützen einfach die Falschen!

Gertrud: Sie geben ihr Bestes!

Jonathan-Lennart: Einen Scheiß tun sie! Das sind dieselben Leute, die NSU-Unterlagen während der Ermittlungen geschreddert und den Mord an Oury Jalloh vertuscht haben! Und in den 90ern …

Walter schlägt auf den Marmor-Couchtisch.

Walter: Jetzt wird hier nicht gestritten! Seid einfach froh, dass wir nicht in Chemnitz leben. Ich seh das wie Basti. Der hat gesagt: Antifaschisten sind auch Faschisten. Du kannst Feuer nicht mit Feuer bekämpfen. Schatz, kannst du mir ein Bier aus dem Kühlschrank holen?

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Hengameh Yaghoobifarah studierte Medienkulturwissenschaft und Skandinavistik an der Uni Freiburg und in Linköping. Heute arbeitet Yaghoobifarah als Autor_in, Redakteur_in und Referent_in zu Queerness, Feminismus, Antirassismus, Popkultur und Medienästhetik.

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