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Die Plattenfirmen hassten sie: Zu avantgardistisch war ihnen oft das Coverdesign von Aubrey Powell und Storm Thorgerson, bekannt unter dem Namen Hipgnosis. Eine Ausstellung in Kreuzberg zeigt Werke aus 50 Jahren

Das vielleicht beste AC/DC-Cover. Das Albumdesign der internationalen Version von „Dirty Deeds Done Dirt Cheap“ stammt von Hipgnosis Foto: Hipgnosis

Von Jens Uthoff

Und dann war da plötzlich diese Kuh auf dem Albumcover. Sonst nichts, nur ein Vieh auf grünem Weidegrund, das den Blick gleichmütig in Richtung des Fotografen wendet. Im Jahr 1970 war es, als Pink Floyd dieses Covermotiv für „Atom Heart Mother“ verwendeten. Seinerzeit war man es eigentlich gewohnt, dass zauselige Musiker mit Fusselbärten für die Frontcover posierten. Nun aber wurde Lulubelle III, so der Name der Milchkuh, zur Popikone.

Verantwortlich für dieses Motiv und viele weitere stilprägende Plattencover waren Aubrey Powell und Storm Thorgerson von der Londoner Artwork-Schmiede Hipgnosis. Vor 50 Jahren wurde Hipgnosis offiziell gegründet, anlässlich des Jubiläums ist in Kreuzberg nun die Ausstellung „­Daring to Dream“ zu sehen. In ihr kann man nicht nur berühmte LP-Cover von AC/DC, Led Zeppelin, Peter Gabriel, Yes, Police und vielen anderen (wieder)entdecken, in ihr wird die gesamte Breite des Hipgnosis-Schaffens gewürdigt.

Aubrey Powell, der heute als Filmemacher und Kurator arbeitet, ist zur Eröffnung nach Berlin gekommen und erinnert sich recht gut an die Geschichte mit der Kuh: „Roger Waters war damals nicht interessiert daran, ein Bandfoto oder so etwas auf dem Cover zu haben. Er wollte immer abstraktere, surreale Sachen“, berichtet Powell, ein gesettelter Mann Anfang siebzig in Hemd und Jackett.

Hipgnosis habe seinerzeit schon einige Jahre mit Pink Floyd zusammengearbeitet. Die beiden Designer kannten die Bandmitglieder, weil sie zuvor in Cambridge die gleiche Schule wie sie besucht hatten. „Als wir nun nach einem Covermotiv suchten, sprachen wir im Studio mit der Band über Marcel Duchamp und über dessen ‚Antikunst‘-Ansatz. So etwas reizte uns.“ Ein paar Tage später habe sein Partner Thorgerson die Idee mit der Kuh gehabt – kurz darauf fanden sich beide mit Kamera auf einer Wiese nördlich von London wieder. Roger Waters war begeistert von dem Foto – fertig war das Cover. Ohne Bandnamen, ohne Titel.

Vor allem in der Gestaltung von Werken, die heute Popkulturgeschichte sind – etwa Pink Floyds „The Dark Side of the Moon“ (1973) und „Wish You Were Here“ (1975) oder bei Peter Gabriel – s/t (1978) – kommt die Prägung durch die modernen Avantgarden, Surrealismus, Dadaismus und Kubismus, zur Geltung. Erstmals in Berlin sind nun auch Plakatentwürfe für das britische Experimentaltheater ­Lumiere & Son zu sehen, ebenfalls mit surrealem Einschlag: Auf einer Schwarz-Weiß-Aufnahme ist ein nackter Mann von hinten zu sehen, dem lauter Gabeln im Rücken und im Hinterteil stecken.

Spannend an der Schau sind ohnehin die nicht ganz so bekannten Seiten von Hipgnosis. Zum Beispiel ist das Innencover für das Album „How Dare You!“ (1976) der britischen Artrockband 10cc geradezu prophetisch, das eine Partyszene zeigt, bei der alle Menschen nur am Telefon (damals noch mit Schnur) hängen. Bilder wie diese fordern das Auge, weil sie keinen Fokus haben und alle Figuren gleichermaßen im Vordergrund stehen – ähnlich wie bei so manchem Renaissancegemälde. Hipgnosis arbeiteten insgesamt viel mit Montagen und Collagen – schuld waren unter anderem die Beatles: „Das Cover, das unser Denken verändert hat, war ‚Sgt. Pepper‘, das Peter Blake gestaltet hat. Das machte uns klar, wohin es mit dem Albumcover in Zukunft geht“, sagt Powell.

Kulturgeschichtlich zeigt die Schau zum einen, was im Mainstream gewünscht war und was nicht. Ein Coverentwurf für eine Foreigner-LP („Silent Partners“, 1981), auf der ein junger Mann mit nacktem Oberkörper im Bett liegt, wurde seinerzeit von der Plattenfirma – obwohl von der Band für gut befunden – abgelehnt. Begründung des Labels: Die Leute könnten denken, die Bandmitglieder seien schwul. Der Titel wurde geändert, ein anderes Cover verwendet.

Seinerzeit war man es gewohnt, dass zauselige Musiker mit Fusselbärten für die Frontcover posierten

Zum anderen bildet „Daring to Dream“ eine Epoche im Pop ab, in der Artwork und Cover – in den LP-Maßen 31,5 mal 31,5 Zentimeter – noch bedeutender waren und Bands und Plattenfirmen viel Geld dafür investiert haben. „Das Plattencover war der wichtigste Link zwischen der Band und dem Käufer, der die Ästhetik der Gruppe, die er da hörte, verstehen wollte. Damals gab es kein MTV, kein Spotify, kein YouTube.“ Von 1983 an schulten Hipgnosis daher um – Musikvideos waren nun gefragt, also drehten sie Videoclips und gestalteten keine Cover mehr. Eine weitere Revolution – Punk und D.I.Y. – hatte inzwischen dafür gesorgt, dass die Ära der teuren und aufwendigen ­Artworks ­irgendwie passé war.

Punk hinterließ aber auch bei Hipgnosis seine Spuren. So ist im Eingangsbereich der Schau der Titel von XTCs „Go 2“ (1978) zu sehen, das nur aus einer Schreibmaschinentypo in Weiß auf Schwarz besteht. Geschrieben steht da: „This is a ­RECORD COVER. This writing is the ­DESIGN upon a record cover. The DESIGN is to help SELL the record. We hope to draw your ­attention to it and encourage you to pick it up.“

Solche Geniestreiche waren es, mit denen Hipgnosis sich in der Musikindustrie Feinde machten: „Natürlich hassten die Plattenfirmen uns. Die wollten die Band vorne auf dem Cover haben, dazu groß den Bandnamen und den Titel“, so Powell. Dem Pop aber wäre viel mehr als nur eine Kuh verloren gegangen, hätten die Plattenfirmen damals die Oberhand behalten.

„Daring to Dream. 50 Jahre Hipgnosis“. Bis 28. Oktober, Di.–So., 11–20 Uhr. Bergmannstraße 5, Eintritt frei