Ziel nur elektrisch erreichbar

Nachdem das EU-Parlament überraschend eine Verschärfung der CO2-Grenzwerte für Neuwagen durchgesetzt hat, müssen die Hersteller ihre Flotten noch schneller elektrifizieren als bisher geplant

Noch selten: Elektrotankstellen in einer Tiefgarage Foto: Helmut Meyer zur Capellen/picture alliance

Von Malte Kreutzfeldt

Aus Sicht der Automobilbranche ist die Sache klar: Der jüngste EU-Kompromiss zum CO2-Ausstoß von neuen Autos bedroht die Branche. Die Ziele ignorierten die „technologische Realität“ und würden einen „erschütternden Einfluss“ auf die Jobs in der Branche haben, wetterte der europäische Dachverband ACEA.

Grund für die Aufregung ist eine überraschende Entscheidung von Kommission, Rat und Parlament der EU. Im sogenannten Trilog-Verfahren hatten sie sich am Montagabend geeinigt, dass der CO2-Ausstoß von Neuwagen zwischen 2021 und 2030 um 37,5 Prozent sinken muss – was zwar weniger ist als die vom Parlament geforderten 40 Prozent, aber mehr als der Kommissionsvorschlag von 30 Prozent und das Ziel der Mitgliedstaaten, die sich auf einen Kompromiss von 35 Prozent geeinigt hatten. Schon dieser Wert war von der Autobranche scharf kritisiert worden. Dass er verschärft wurde, erzürnt auch den deutschen Autoverband VDA. „Niemand weiß heute, wie die beschlossenen Grenzwerte in der vorgegebenen Zeit erreicht werden können“, behauptete Präsident Bernhard Matthes.

Tatsächlich sind sich ExpertInnen weitgehend einig, dass die neuen Grenzwerte allein durch technische Verbesserungen am Verbrennungsmotor nicht erreicht werden können. Möglich ist das nur durch mehr Elektroautos. Deren CO2-Emissionen werden als 0 gerechnet, auch wenn sie real je nach Strommix höher sind. Zusätzlich bekommen Hersteller ab einem bestimmten E-Auto-Anteil einen Bonus, der einen höheren Ausstoß bei konventionellen Fahrzeugen bedeutet.

Die Warnung der Autobauer vor schärferen Vorschriften ist laut. Neu ist sie nicht.

Bleifreies Benzin galt den Herstellern in den 70er Jahren als Teufelszeug. Es werde zur „Existenzfrage für Millionen von Motoren“, erklärten damals die Techniker der Autobauer gegenüber den Umweltbehörden. Diese wollten das giftige Blei aus dem Sprit entfernen und setzten sich durch – auch weil „unleaded fuel“ etwa in den USA längst Standard war.

Bei den Plänen für den 3-Wege-Katalysator für Benzinmotoren in den 80er Jahren prophezeite der damalige Autolobby-Chef Achim Diekmann, ein Pkw mit Kat werde „etwa 5.000 Mark mehr kosten“, das Gerät müsse alle fünf Jahre ausgetauscht werden. Der ADAC meinte, bei schneller Fahrt werde der Kat sinnlos. Die Autos wurden geringfügig teurer, die Autobranche florierte weiter.

Gegen Partikelfilter in Dieselfahrzeugen wetterte die Industrie Anfang der 2000er. Das Gerät sollte die Gefahr durch Feinstaub eindämmen. Es werde aber Kosten erhöhen, den Autoabsatz bremsen und damit Jobs kosten, hieß es. Nach einem jahrelangen Tauziehen zwischen Regierung und Herstellern zahlte der Staat schließlich eine Prämie für den Einbau der Filter. Auch das hat der Industrie nicht geschadet.

Branchengejammer erzeugte auch die Hardware-Nachrüstung beim Dieselskandal. Stickoxidfilter seien technisch nicht machbar und zu teuer, warnen Hersteller und Ver­kehrsministerium. Milliarden-Strafzahlungen wie in den USA nach dem Betrug bei ­Dieseltests durch VW gibt es hier ebenfalls nicht. Sie könnten die wichtigste deutsche Industrie ­ruinieren, meinen Industrie und Politik. Das wiederum stimmt vielleicht sogar. (bpo)

Das neue Gesetz werde dazu führen, dass im Jahr 2030 etwa ein Drittel der Neuwagen mit Batterien oder Wasserstoff angetrieben werde, meint Greg Archer vom europäischen Thinktank Transport and Environment. Diese Größenordnung halten auch deutsche AutoexpertInnen für realistisch. Weil Herstellern hohe Strafzahlungen drohen, wenn sie die Grenzwerte nicht einhalten, stellt der Beschluss faktisch eine Quote für Elektroautos dar.

Schon der Grenzwert, der ab 2021 gilt, macht den deutschen Herstellern Probleme: Während etwa Toyo­ta, Volvo, Honda und Renault/Nissan die Werte aufgrund einer früheren Umstellung auf Hybrid- und Elektrofahrzeuge unterschreiten werden, erwartet die Unternehmensberatung PA Consulting, dass Daimler und BMW die Vorgaben leicht überschreiten und jeweils rund 200 Millionen Euro Strafe zahlen müssen. Dem VW-Konzern droht aufgrund einer stärkeren Überschreitung und höherer Verkaufszahlen eine Strafe von 1,4 Milliarden Euro.

Ohne eine Veränderung der Modellpolitik würden diese Strafen durch die verschärften Grenzwerte schnell weiter steigen. Darum planen alle Konzerne eine schnelle Ausweitung ihres Angebots an Elektroautos. Am radikalsten sind unter den deutschen Herstellern die Pläne von VW: Bis 2022 will das Unternehmen 16 Werke für die Produktion von Elektroautos umrüsten. Bereits 2025 soll etwa jedes 3. Auto elektrisch angetrieben werden, kurze Zeit später will das Unternehmen die Entwicklung neuer Fahrzeuge mit Verbrennungsmodellen einstellen. BMW und Daimler setzen ebenfalls verstärkt auf Elektrofahrzeuge und bringen mit dem E-Mini und dem EQC im nächsten Jahr neue reine ­E-Autos auf den Markt.

Auch die Bundesregierung, die in der Verhandlungen in Brüssel für weniger strenge Grenzwerte gekämpft hatte, übt sich nun in Optimismus. „Dieser Beschluss wird den Auto-Standort Europa nicht schwächen, sondern stärken“, sagte Umweltministerin Svenja Schulze (SPD). CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier erklärte, der Kompromiss gehe zwar „an die Grenze dessen, was technisch und wirtschaftlich notwendig ist“. Doch auch für ihn ist klar, dass die „Zukunft der Mobilität“ in „alternativen Antrieben“ liege.

„Dieser Beschluss wird den Auto-Standort Europa nicht schwächen, sondern stärken“

Svenja Schulze, SPD

Für die Grünen bewertete Fraktionschef Anton Hofreiter die Entscheidung als „handfesten Denkzettel für die Bundesregierung“. Um die Umstellung auf Elektroautos zu unterstützen, müsse diese jetzt für ein engmaschiges Ladesäulennetz sorgen, erklärte Hofreiter – und war sich dabei einig mit dem Automobilverband, der ebenfalls einen „deutlichen Ausbau der Lade-Infrastruktur“ forderte.

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