Nach der Angst vor China nun Ärger über Brüssel

EU-Kommissarin verbietet Fusion von Siemens und Alstom, weil die gemeinsam den Markt beherrschen würden. Berlin und Paris sind sauer – und wollen neues Wettbewerbsrecht

Auch so ein europäisches Gemeinschaftsprojekt, aber mit ein bisschen mehr beteiligten Ländern: der Schnellzug Thalys Foto: Ralph Goldmann/picture alliance

Aus Brüssel Eric Bonse

Zwischen Deutschland, Frankreich und der EU-Kommission bahnt sich massiver Streit um die Industrie- und Wettbewerbspolitik an. Die Brüsseler Behörde hatte am Mittwoch wie erwartet die vom deutschen Mischkonzern Siemens angestrebte Übernahme des französischen TGV-Herstellers Alstom untersagt. Nun fordern Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und sein französischer Amtskollege Bruno Le Maire eine Reform des europäischen Wettbewerbsrechts.

Altmaier und Le Maire hatten sich für die Fusion starkgemacht und vor Konkurrenz aus China gewarnt. Durch den Zusammenschluss werde ein „europäischer Champion“ entstehen, der dem chinesischen Staatsunternehmen Paroli bieten könne, so Le Maire. Doch Wettbewerbskommissarin Margarethe Vestager kam bei ihrer Prüfung zu einem ganz anderen Ergebnis. China sei nicht das Problem, sagte sie.

Natürlich habe man sich bei der umstrittenen Entscheidung auch den chinesischen Markt angeschaut, so Vestager. „Und zwar nicht abstrakt, sondern ganz konkret.“ Das Ergebnis passt nicht zu den Kassandra­rufen aus Paris und Berlin: Der chinesische Hersteller CRRC – ein Staatsbetrieb – mache 90 Prozent seines Geschäfts in China.

Von einer globalen Strategie Chinas könne im Bahnsektor also keine Rede sein, so Vestager. Zudem habe sich noch kein chinesisches Unternehmen an europäischen Ausschreibungen beteiligt. „In absehbarer Zukunft zeichnet sich auch kein chinesischer Vorstoß auf den europäischen Markt ab.“ Damit gab sie den Schwarzen Peter weiter an Paris und Berlin.

Statt das EU-Wettbewerbsrecht zu reformieren, um die Schaffung „Europäischer Champions“ zu ermöglichen, sollten Deutsche und Franzosen endlich für eine vernünftige Forschungs- und Industriepolitik sorgen. Bei ihrer Entscheidung habe sie auch an die übrigen 26 EU-Staaten gedacht – und an die Verbraucher.

Nach Ansicht der Brüsseler Wettbewerbshüter würde die Fusion zu einer marktbeherrschenden Stellung von Siemens-Alstom und zu höheren Bahn-Preisen führen. Vor allem bei den Hochgeschwindigkeitszügen (TGV und ICE) sowie bei der Signaltechnik seien beide Konzerne schon jetzt sehr stark. Die Fusion hätte „einen dominanten Akteur“ geschaffen und den Wettbewerb verzerrt.

Paris und Berlin wollen sich mit dem Nein jedoch nicht abfinden. Das Fusionsverbot schwäche Europa und diene „den wirtschaftlichen und industriellen Interessen Chinas“, sagte Le Maire. Wie zuvor schon CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer sprach auch er sich für eine Reform des EU-Wettbewerbsrechts aus. Die Regeln seien überholt und müssten „neu geschrieben werden“. Er werde Vorschläge vorlegen.

Vestager sagte, sie habe an die übrigen 26 EU-Staaten und die Verbraucher gedacht

Ähnlich äußerte sich Altmaier. „Es ist wichtig, dass Europa sich so aufstellt, dass wir unsere Interessen mit Aussicht auf Erfolg in einem marktwirtschaftlichen Wettbewerb in anderen Ländern weltweit vertreten können“, erklärte er. Der chinesische Staatskonzern sei mit einem Umsatz von 30 Milliarden Euro etwa doppelt so groß wie Siemens und Alstom zusammen, heißt es in Berlin.

Der Streit geht also weiter, er könnte sogar zum Thema im Europawahlkampf werden. Darauf deuten auch die ersten Reaktionen aus dem Europaparlament. Die EU-Kommission habe ein „böses Eigentor“ geschossen, sagte der grüne EU-Abgeordnete Reinhard Bütikofer. Die Verantwortung liege allerdings nicht alleine bei der Kommission. Auch die EU-Mitglieds­länder, die jetzt laut klagen, hätten „fest geschlafen, als es darum ging, das Wettbewerbsrecht zu modernisieren“, so Bütikofer. Die EU dürfe nicht länger nur auf den europäischen Markt schauen, sondern müsse global denken und handeln.

Auf die Europawahl im Mai und die darauf folgende nächste EU-Kommission setzt auch Siemens-Chef Joe Kaeser. Sie böten eine „einmalige Chance, ein Europa der Zukunft zu bauen, das es mit einer modernen, gemeinsamen Außenwirtschaftspolitik mit den Besten in der Welt aufnehmen kann“. Zunächst habe Brüssel aber „einen Schlusspunkt hinter ein europäisches Leuchtturmprojekt“ gesetzt. Einen zweiten Anlauf werde es wohl nicht mehr geben.

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