Pommes auf der Haut

Die Künstlerin Julischka Stengele beschäftigt sich in der Galerie im Turm in „Fat Femme Furious“ mit ihrer „Fatness“ und den gesellschaftlichen Vorstellungen, wie ein Körper auszusehen hat

Den positiven Bezug aufs Fettsein thematisiert Julischka Stengele in ihrer ersten Einzelausstellung Foto: Julischka Stengele/Galerie im Turm

Von Julia Wasenmüller

Warum bist du denn so fett?“ – „Because I ate up all the patriarchy.“ Julischka Stengele sitzt nackt auf einem Holzpodest. Das Video zeigt ihre Abschlussperformance „All Eyes On Us“ an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Wenige Augenblicke zuvor trug sie noch einen hautengen Ganzkörperanzug in Goldgelb, über und über mit Pommes bedruckt. Der Pommesanzug, den Stengele 2015 zum ersten Mal auf einer Bühne präsentierte, hängt noch bis 3. März an einer dünnen Metallkette von der Decke der Galerie im Turm am Frankfurter Tor. Eine Soundaufnahme ihrer Performance schallt durch den Ausstellungsraum.

In Stengeles erster Einzelausstellung, „Fat Femme Fu­rious“, steht die Auseinandersetzung mit Körpern und den gesellschaftlichen Vorstellungen von Begehren, Schönheit, Gesundheit und Geschlecht im Vordergrund. Neun Exponate hat sie mitgebracht, die meisten davon aus ihrer performativen Praxis. „Der Titel soll die thematische Verschränkung von Fat Positivity, Queerness und der Auflehnung gegen Körpernormierungen repräsentieren“, erklärt die Künstlerin. „Fat Positivity“ nennt eine überwiegend im Netz aktive, queerfeministische Gruppe den eigenen positiven Bezug auf das eigene Dicksein.

Laut Stengele boomt die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema Körperlichkeit. Begriffe wie Fat oder Body Positivity seien im Mainstream angekommen. Immer mehr Menschen wählen das Adjektiv „fett“ als empowernde Selbstbezeichnung und grenzen sich damit von BMI-Normen und dem ständigen Zwang zur Selbstoptimierung ab. „Diese Entwicklung ist zu begrüßen. Als ich vor 15 Jahren durch die Aufarbeitung meiner persönlichen Diskriminierungs­erfahrung zur Kunst kam, war das noch anders“, erzählt Stengele.

Der lebensgroße Fotodruck mit dem Titel „Pig-up“ ist zen­tral auf einer weißen Wand platziert. Das Bild zeigt einen nackten Körper im Vierfußstand. Der Kopf steckt in einer fleischig rosafarbenen Schweinemaske mit abstehenden Ohren und verdrehtem Auge. Das Foto entstand 2009. Es ist Julischka Stengeles Körper; die Schweinemaske taucht immer wieder auf ihren Fotos und in ihren Performances auf. „Früher wurde ich unglaublich viel für meine Arbeit kritisiert und nicht ernst genommen. Es hieß, ich würde mich nur an meinen ‚individuellen Problemen‘ abarbeiten. Ein Bewusstsein für die gesellschaftliche Struktur von Fettdiskriminierung fehlte. Und jetzt, zehn Jahre später, geht das Bild ­plötzlich total ab.“ Die Ein­gangsfrage aus der Akademie­per­formance bekommt die Künst­lerin aber immer noch zu hören, wenn heute auch anders besetzt.

An Skandalpotenzial hat ein nackter, weiblich gelesener fetter Körper bis heute nichts eingebüßt. Auf Facebook, wo „Pig-up“ als Aufmacher für die Ausstellungseröffnung verwendet wurde, sollte das Foto sogar zur Anzeige gebracht werden. „Dabei habe ich mir die Pose auf dem Foto gar nicht ausgedacht, um zu provozieren. Das Bild illustriert nur die gesellschaftliche Wahrnehmung fetter Körper, die manchmal leise in den Köpfen da ist und teilweise auch ausgesprochen wird. Das ist mein Alltag. Sobald ich mich aber hinstelle und das in meiner Kunst spiegele, ist es ein Skandal.“

In dem Film „Riot Not Diet“, der im Rahmen des Ausstellungs­programms gescreent wurde, wollen Stengele und weitere Dar­stel­ler*in­nen eine queerfeministische Utopie zeichnen, eine ­Gegendarstellung zur ständigen Normierung und Bewertung ihrer Körper. Der Film zeigt Menschen im öffentlichen Raum, in der U-Bahn, in der Fußgänger*innenzone, in leichten Sommerkleidern oder nackt beim Schwimmen in einem See. „Riot Not Diet“ erklärt nichts, rechtfertigt sich nicht, gibt keine Antwort auf die Millionen Fragen, denen fette Menschen ununterbrochen ausgesetzt sind. Das sei das Besondere und Widerständige an dem Film, meint Stengele.

Die Filmcrew habe sich vor dem Dreh genau überlegt, wie fette Körper dargestellt werden können, ohne die vielen vorhandenen Klischees zu bedienen. Wie zum Beispiel Faulsein eine bewusste Entscheidung gegen neoliberale Verwertungslogiken sein kann, ohne den gängigen Vorwurf zu reproduzieren, fette Menschen seien eben per se träge. Ähnlich schwierig sei es, wenn fette Menschen in Filmen beim Essen dargestellt werden. Dabei ist das Sich­aneignen von Genuss ein politisches Statement.

„Früher wurde ich viel für meine Arbeit kritisiert und nicht ernst genommen. Es hieß, ich würde mich nur an meinen ‚individuellen Problemen‘ abarbeiten“

Julischka Stengele

Mit dem Pommesanzug spielt Stengele mit diesen stereotypen Bildern. „Der Anzug ist wie meine zweite Haut“, erklärt sie. „Denn das ist es, was über Körper wie meinen gedacht wird: Fette Menschen und Menschen aus unterprivilegierten sozialen Klassen ernähren sich nur von Fast Food, sie bestehen quasi aus Fast Food.“

Die Verschränkung von klassistischen Vorurteilen mit bestimmten Körperbildern spielte für die Künstlerin immer eine Rolle. „Ich hatte bislang keinen Zugang zum klassischen Kunstmarkt, was einerseits an meinen Inhalten, andererseits aber auch an meiner Sozialisierung als Arbeiter*innenkind lag. An der Kunsthochschule war ich damit ein totaler Einzelfall.“ Dass trotz der derzeitigen Anerkennung ihrer fettpositiven Kunst diese weiteren Aspekte ihrer Arbeit oft übergangen werden, nennt sie eine bittersüße Erfahrung.

In Fat Femme Furious“ kann man viel über Fat Positivity lernen, aber wer sich darauf einlässt, wird in Stengeles Arbeit eine ganze Bandbreite an gesellschaftlich relevanten Themen entdecken.

„Fat Femme Furious“ von Julischka Stengele, Galerie im Turm, Frankfurter Tor 1, bis 3. März, Mo.–So. 11–20 Uhr