Trauer und Wut in Indien

Nach dem verlustreichen Anschlag in Kaschmir sucht Indien Vergeltung gegen Pakistan, das jede Verantwortung von sich weist. Doch Delhis Optionen sind sehr begrenzt

Trauer- und Beerdigungszug für einen bei dem Anschlag getöteten Polizisten in dessen Heimatdorf am Samstag Foto: R. Kumar Singh/ap

Von Natalie Mayroth
, Mumbai und Sven Hansen

Es war einer der schwersten Anschläge auf indische Sicherheitskräfte, den die in Pakistan ansässige islamistische Terrorgruppe Jaish-e-Mohammed für sich reklamiert hat. In verschiedenen Teilen Indiens kam es inzwischen zu Solidaritätsbekundungen und Protesten gegen Pakistan, das von Indien als Urheber beschuldigt wird. Indische Muslime und Hinduhardliner verbrannten pakistanische Flaggen und Symbole.

Indiens Oppositionsparteien sehen in dem Terroranschlag, bei dem am Donnerstagnachmittag mindestens 41 Angehörige der paramilitärischen Polizeitruppe CRPF getötet und mehrere Dutzend verletzt wurden, aber auch ein schweres Versagen des indischen Geheimdienstes.

Ein Selbstmord­attentäter hatte sich mit seinem Fahrzeug im indischen Teil Kaschmirs in einen Konvoi aus 78 Polizeifahrzeugen gedrängt und dann 350 Kilo Sprengstoff gezündet.

Indiens Premierminister Narendra Modi steht im Wahljahr unter Druck. Seine hindunationalistische Partei, die zu Oppositionszeiten stets scharfe Worte gegenüber Pakistan fand, hat zuletzt an Zustimmung verloren. Modi kündigte jetzt umgehend Konsequenzen an. Ein Land, das Terroristen Zuflucht gäbe, sei zum Synonym für Terror geworden, sagte er auf einer Kundgebung in Maharashtra. „Egal, wo sich die Attentäter verstecken, sie können ihrer Bestrafung nicht entgehen.“

Als symbolische Sofortmaßnahme strich Indien Pakistan die Vorzugszölle, was jedoch wegen des geringen bilateralen Handelsvolumens kaum Auswirkungen haben wird. Indiens Regierung will Pakistan auch diplomatisch isolieren. Die Volksrepublik China, eine der engsten Verbündeten Pakistans, wies dies bereits zurück.

Pakistans Regierung verurteilte den Anschlag ebenfalls und nannte ihn in einer Erklärung des Außenministeriums „sehr besorgniserregend“. Gleichzeitig wies Islamabad alle Vorwürfe zurück, dass der pakistanische Staat in Verbindung zu der Tat stehe. Pakistanische Politiker sehen Modis scharfe Rhetorik vor allem als Wahlkampfmanöver.

„Die Attentäter können ihrer Bestrafungnicht entgehen“

Narendra Modi, Premierminister

Die islamistische Terrorgruppe Jaish-e-Mohammed ist in Pakistan seit 2002 offiziell verboten, doch hält Indien das Verbot für wenig wirksam. Das Ziel der Organisation ist es, den Anschluss des von Indien kontrollierten Teils von Kaschmir an Pakistan zu erzwingen. 2016 stürmten mutmaßliche Kämpfer der Organisation eine indische Armeebasis und töteten 19 Soldaten. Als Antwort will die indische Armee einen Militärschlag im pakistanischen Teil Kaschmirs durchgeführt haben, Pakistan hat das dementiert. Jetzt kursierte im Internet ein Video, das den mutmaßlichen Attentäter zeigen sollte.

Im indischen Teil Kaschmirs wächst seit einiger Zeit der Unmut unter der mehrheitlich muslimischen Bevölkerung. Der indische Teil Kaschmirs wird seit der dortigen Auflösung der Regierungskoalition 2018 direkt von der Zentralregierung in Delhi regiert. Beobachtern zufolge radikalisieren sich immer mehr Jugendliche, nicht zuletzt wegen des harten Vorgehens indischer Sicherheitskräfte.

Die Region Kaschmir wird von drei Ländern beansprucht: Indien, Pakistan und China. In Jammu und Kaschmir, wie der indische Teil offiziell heißt, sind derzeit mindestens 250.000 Soldaten stationiert. Schon zwei Mal haben die beiden Atommächte Indien und Pakistan um die Region Krieg geführt. Pakistan hat offiziell eine Erstschlagsdoktrin, behält sich also vor, auf einen indischen Angriff mit konventionellen Waffen etwa auf ein „Terrorcamp“ innerhalb Pakistans mit Atomwaffen zu antworten. Jede militärische Vergeltung Indiens wäre also hochriskant.