Neue Richtlinie zu §175-Entschädigung: Großes Leid, kleine Geste

Ohne Verurteilung keine Entschädigung, galt bisher für Opfer des schwulenfeindlichen Paragraphen 175. Nun werden auch andere Folgen berücksichtigt.

Die Schatten zweier Männer, die Hand in Hand gehen

Nun sollen auch Personen entschädigt werden, die „außergewöhnlich negative Beeinträchtigungen“ erlitten haben Foto: Robert V. Ruggiero/Unsplash

Am 10.März 1994 wurde der §175 endgültig aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Jahrzehntelang war der Paragraph Grundlage für die strafrechtliche Verfolgung Homosexueller in der Bundesrepublik. Nun, 25 Jahre später, können Betroffene auf mehr Gerechtigkeit hoffen. Am gestrigen Mittwoch hat das Bundesjustizministerium angekündigt, den Anspruch auf Entschädigung zu erweitern.

Die neue Richtlinie sieht vor, auch Personen zu entschädigen, gegen die ein Ermittlungsverfahren eröffnet wurde oder die durch die Verfolgung „außergewöhnlich negative Beeinträchtigungen“ erlitten haben. Zum Beispiel, wenn sie ihren Job verloren haben. „Auch ihre Leben hat Paragraf 175 schwer belastet. Es ist wichtig, dass wir Solidarität und Anerkennung zeigen“, erklärt Justizministerin Katarina Barley (SPD).

Diese Richtlinie schließt eine wichtige Lücke im Umgang mit den Betroffenen.

Als nämlich 2017 das Gesetz zur „strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen“, kurz StrRehaHomG, in Kraft getreten war, galt : Ohne Strafmakel, keine Entschädigung. So konnten nur Männer auf eine Entschädigung hoffen, wenn sie auf Grundlage von § 175 StGB rechtskräftig verurteilt worden waren.

Der Fall Wolfgang Lauinger

Wie realitätsfern diese Einschränkung war, zeigt der Fall Wolfgang Lauinger. Er war einer der Betroffenen der berüchtigten „Frankfurter Homosexuellenprozesse“ 1950/51. Sein Antrag auf Entschädigung wurde Ende 2017 abgelehnt, weil er damals ‚nur‘ in Untersuchungshaft saß und freigesprochen wurde. Welche weiteren – negativen – Auswirkungen dieser öffentlichkeitswirksame Prozess auf das Leben Lauingers hatte, war für die Entscheidung irrelevant. Einige Wochen nach dieser Entscheidung starb Lauinger, ohne jemals für sein Leid entschädigt worden zu sein.

Markus Ulrich vom Lesben- und Schwulenverband (LSVD) schätzt, dass allein in der Bundesrepublik seit 1949 rund 100.000 Verfahren gegen Männer wegen Homosexualität nach §175 StGB geführt wurden. Zehntausende mehr haben durch die staatliche Verfolgung berufliche, soziale und gesundheitliche Nachteile erfahren.

Die „Hotline Entschädigung § 175“ ist kostenfrei zu erreichen unter der Tel.-Nr. 08 00 1 75 20 17 (Mo., Do. und Fr. von 10 bis 17 Uhr). Die Hotline wird vom Bundesjustizministerium und Bundesfamilienministerium gefördert und berät Betroffene bei der Antragsstellung.

Diese werden durch die Richtlinie endlich wahrgenommen, wenngleich der finanzielle Ausgleich mager ausfällt. Männer, die wegen ihrer Homosexualität in Untersuchungshaft saßen, sollen 1.500 Euro für jedes angefangene Jahr erhalten. Zudem soll es 500 Euro Entschädigung für jedes eingeleitete Ermittlungsverfahren geben. Im Falle einer „außergewöhnlich negativen Beeinträchtigung“ sind einmalig 1.500 Euro vorgesehen.

Ist das genug für das Leid, für das Unrecht, das geschehen ist? Nein.

Skandal Altersarmut

Außerdem wird ein großes Problem der Opfer, die Altersarmut, durch diese Zahlungen nicht gelöst. Viele Homosexuelle haben durch die staatliche Verfolgung ihren Job verloren oder konnten nicht die Karriere machen, die sie eigentlich hätten machen können. Es wäre daher angemessen gewesen, die Auszahlung der Entschädigung als Rente zu ermöglichen, um die Versorgungslücke zu schließen. Das Bundesjustizministerium ist sich dessen wohl bewusst und betont, dass die Geldleistungen vor allem als symbolischer Akt der Anerkennung zu verstehen seien.

Trotzdem ist diese Richtlinie ein wichtiger Schritt. Sie zeugt zumindest von einem Problembewusstsein, dass ein diskriminierendes Gesetz für Opfer nicht erst dann Leid bedeutet, wenn sie verurteilt werden; und dass ein diskriminierendes Gesetz in alle Bereiche des Lebens der Betroffenen hineinwirkt und ein Rechtsstaat auch dafür Verantwortung übernehmen muss. Auch dass die Nachjustierung des StrRehaHomG von einer breiten parteiübergreifenden Basis, von Union bis Linke, getragen wurde, ist ein gutes Zeichen.

Es bleibt nun abzuwarten, ob die Opfer für ihr Leid tatsächlich zeitnah und unbürokratisch entschädigt werden, wie die Richtlinie verspricht. Viel Zeit bleibt nicht mehr.

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