Gereon Asmuth über Berlin-Locations in der Netflix-Serie „Damengambit“
: Hier spielt Berlin spielt die ganze Welt

Am Ende – so viel kann man sagen, ohne zu viel zu verraten – spaziert die Schauspielerin Anya Taylor-Joy durch den Rosengarten an der Karl-Marx-Allee. Da, wo auf Höhe des U-Bahnhofs Weberwiese die Prachtbauten der einstigen Stalinallee kurz mal in die zweite Reihe zurücktreten. Um ein wenig Luft zu lassen. Für eine Promenade unter der blumenberankten Pergola.

Taylor-Joy spielt hier natürlich nicht sich selbst, sondern die Hauptfigur der neuen Netflix-Serie „Das Damengambit“, die Andreas Rüttenauer in der taz sehr zu Recht schon als „heimlichen Hit dieses Pandemieherbsts“ gelobt hat. Taylor-Joy stellt Elisabeth „Beth“ Harmon dar, die als Kind vom Hausmeister eines Waisenhauses so gut Schach lernt, dass sie... kurz gesagt: Es geht hoch hinaus. Taylor-Joy spielt das Genie zwischen Emanzipation und Delirium so überzeugend, dass man sich glatt fragt, ob die Story auf Tatsachen beruht. (Tut sie nicht.)

Mindestens ebenso gut an ihrer Seite zeigt sich Berlin. Auch die Stadt spielt sich hier wie jede gute Schauspielerin nicht selbst – sondern Moskau am Ende der 1960er Jahre. Nun wer ein Gesicht hat wie die Karl-Marx-Allee, dem fällt eine Rolle als Moskau nicht schwer. Aber diese Schlussszene der Serie ist die schwächste der Stadt. Berlin bleibt zu sehr Berlin. ZuschauerInnen mit Ortskenntnis wird das irritieren.

Zum Glück. Denn wer sich fragt, wieso Berlin das Schlussbild der Serie setzten durfte, stößt bald auf eine lange Liste weiterer Berliner Orte, die in „Damengambit“ auftauchen, gelistet auf der Seite atlasofwonders.com, die sich auf Filmlocations spezialiert hat.

Da spielt die wunderbare Lounge des Kinos International, die sich mit rosa Tischdecken verkleidet hat, ein Restaurant in Moskau. Der Friedrichstadtpalast glänzt als Hotel in Mexiko-Stadt. Die Monbijoubrücke an der Museumsinsel hat einen überzeugenden Auftritt als Paris. Das Palais am Funkturm darf – nur leicht durch Computerretusche ergänzt – ein Hotel in Las Vegas darstellen.

Idylle in der Einflugschneise

Jede Menge weiterer Orte vom Rathaus Spandau bis zum Secondhandladen an der Frankfutrer Allee haben Auftritte – als Cincinatti in Ohio oder Lexington in Kentucky. Selbst das idyllisch gelegene Waisenhaus steht tatsächlich in einer mittlerweile alles andere als idyllischen Gegend: in der Einflugschneise der neuen Flughafens BER. Mit diesem Wissen möchte man die Serie gleich noch mal anschauen.

Kurz gesagt: Berlin ist eine großartige Schauspielerin mit einer Mehrfachrolle. Gibt es eigentlich eine Oscar-Kategorie für Städte? Der Begriff „Weltstadt“ bekommt dank „Damengambit“ eine ganz neue Bedeutung. Gerade in Coronazeiten ist das von unschätzbarem Wert. Denn bis nach Kentucky, Mexiko, Paris oder Moskau gelangt man in Berlin jetzt schon mit dem Fahrrad. Und man will ja trotz Pandemie nicht immer nur vor dem Fernseher hängen.