„Schattenmieten sind ein Problem“

Bausenator Sebastian Scheel (Linke) zieht eine positive Bilanz des Mietendeckels: Die meisten Vermieter halten sich daran, die Angebotsmieten sinken. Doch Berlin bleibe ein Hotspot für Immobiliendeals. Er forciert deswegen den Neubau

Schaut sich auf einer Baustelle der Gesobau in Reinickendorf um: Bausenator Scheel Foto: Christoph Soeder/dpa

Interview Gareth Joswig
und Bert Schulz

taz: Herr Scheel, Sie müssen glücklich sein, denn das Wohnungsproblem ist ja gelöst: Im ersten Quartal wuchs die Bevölkerung Berlins um nur noch 61 Menschen.

Sebastian Scheel: (lächelt) Das macht mich gar nicht glücklich, Berlin ist ja die deutsche Metropole schlechthin. Wenn hier niemand mehr herziehen würde … Aber ich gehe davon aus, dass dieser Rückgang nur von kurzer Dauer ist.

Also müssen mehr Wohnungen her. Sie haben Ihre Behörde bereits umgebaut und einen Schwerpunkt auf Bautätigkeit gesetzt. 50 Mitarbeiter hat das Sonderreferat, das direkt in der Behördenleitung angesiedelt ist. Ist die neue Devise also: „Bauen, bauen, bauen“?

Meiner Vorgängerin Katrin Lompscher ist viel Unrecht getan worden, als ihr unterstellt wurde, sie würde nicht genug für den Neubau von Wohnungen tun. Sie hat sich da sehr verdient gemacht: Nie in den letzten 20 Jahren wurde so viel gebaut wie heute, vergangenes Jahr waren es 19.000 Wohnungen. Klar, es könnten immer noch mehr sein … Aber der Baumotor musste erst mal anlaufen. Die fünf Jahre, die wir durch den Mietendeckel bekommen, müssen wir jetzt nutzen, um den angespannten Wohnungsmarkt zu entspannen. Und das geht nur, wenn das Angebot zu bezahlbaren Preisen erweitert wird: Teure Eigentumswohnungen lösen unser Problem nicht.

Die zweite Stufe des Mietendeckels kommt am 23. November, ab dann sind auch Mietsenkungen möglich. Wie bereiten Sie sich darauf vor?

Wir haben eine eigene Abteilung dafür aufgebaut, Räume gesucht und Stellen ausgeschrieben, so, dass wir einen Großteil der benötigten Mitarbeiter am Start haben.

Wie viele werden das sein?

Laut Plan wären es 130 Personen. Da das Gesetz in der letzten Fassung zum reinen Verbotsgesetz wurde – also die Mieter keinen Antrag auf Mietsenkung mehr stellen müssen wie ursprünglich vorgesehen – und wir festgestellt haben, dass die Vermieter diese Verbote überwiegend umsetzen, brauchen wir erst mal nur 65 Mitarbeiter. Allerdings fangen jetzt nicht schon alle gleichzeitig an.

Sie sagen, viele Vermieter halten sich an den Mietendeckel. Aber was ist mit den Schattenmieten – also einem Zusatz im Mietvertrag, dass, falls der Mietendeckel rechtswidrig sein sollte, eine höhere Miete fällig wird?

Damit haben wir ein Problem. Für Betroffene ist das eine schwierige Situation. Und Vermieter, die solche Schattenmieten vereinbaren wollen, haben das Signal des Mietendeckels nicht verstanden: Wir brauchen einen Stopp der Mietenspirale und der Verdrängungsprozesse.

Wie viele Vermieter agieren so?

Da müsste ich spekulieren. Bei den Landeseigenen können wir das ausschließen. Auf den großen Immobilienportalen scheinen Schattenmieten aber gängige Praxis zu sein. Meist handelt es sich um Vermieter mit eher wenigen Angeboten.

Mit wie vielen Senkungen durch die zweite Stufe des Deckels rechnen Sie?

Insgesamt gilt der Deckel für 1,5 Millionen Wohnungen, von überhöhten Mieten sind etwa 340.000 betroffen. Das ist ein hoher Anteil. Bei den landes­eigenen Gesellschaften – wo wohl zwischen 5 und 10 Prozent der Wohnungen betroffen sind – macht die Senkung im Schnitt pro Monat zwischen 20 und 40 Euro aus.

Sebastian Scheel

44, ist seit Mitte August Senator für Stadtentwicklung. Zuvor war er Staatssekretär unter seiner Vorgängerin Katrin Lompscher.

Nicht wenig!

Ja. Und ich rate dazu, das Geld erst mal auf die Seite zu legen, bis die Rechtmäßigkeit des Gesetzes endgültig geklärt ist. Schließlich haben wir juristisches Neuland betreten.

Das Bundesverfassungsgericht will bis Mitte 2021 entscheiden. Glauben Sie, dass der Deckel draufbleibt?

Ja. Wir sind überzeugt davon, dass das Land seit 2006 die Gesetzgebungskompetenz für das Wohnungswesen hat und darauf basierend eine solche Regelung erlassen kann.

Vor wenigen Tagen hat Karlsruhe einen Eilantrag gegen die zweite Stufe des Deckels abgewiesen. Ist das ein Fingerzeig?

Das Verfassungsgericht hält den Eingriff offenbar für nicht so gravierend, dass Vermieter einen existenziellen Schaden erleiden werden und es sofort durch ein Eilverfahren hätte ausgesetzt werden müssen. Es ist aber noch keine Entscheidung in der Sache.

Wie ist Ihre Bilanz der ersten Stufe des Mietendeckels?

Von den sieben großen Städten Deutschlands hat allein Berlin einen Rückgang bei den Angebotsmieten zu verzeichnen. Das liegt am Mietendeckel. Weltweit gibt es in großen Städten ein Mietenproblem und Verdrängung. Dass der Mieten­deckel fast eins zu eins von spanischen Städten übernommen und jetzt auch in London diskutiert wird, zeigt, dass wir eine gute Antwort gefunden haben!

Wir haben das Gefühl, dass gerade viele Häuser gehandelt werden. Ist das belegbar?

Berlin ist weiterhin ein Hotspot für Immobiliendeals, Heimstaden hat ja gerade 3.500 Wohnungen übernommen. Die Kaufpreise sind stabil hoch, das Kaufvolumen nimmt in den letzten Jahren konstant zu.

Da hat der Deckel bisher keine abschreckende Wirkung.

Wir haben seit Langem ein Auseinanderfallen von Miet- und Kaufpreisen. Letztere werden nicht mehr durch die Mieten refinanziert. Vielleicht findet da eine Spekulation statt: Man denkt, man kann die Häuser in einigen Jahren mit Gewinn verkaufen. Das ist eine ungesunde Entwicklung. Berlin ist eine Mieterstadt und soll es bleiben. Wenn die Preise weiter steigen, droht eine Überhitzung des Marktes. Welche Folgen das haben kann, hat die Immobilienkrise von 2008 gezeigt. Dieser Markt gehört reguliert.

Sagen Sie das so auch Heimstaden?

Ja, es hat schon Treffen gegeben. Dabei geht es erst mal darum, herauszufinden, ob ein Investor die Ziele, die das Land verfolgt, mitträgt – also etwa den Umgang mit Mietern und Wohnungen in Milieuschutzgebieten. Dort darf man nicht aufteilen, nicht verkaufen, nicht luxusmodernisieren. Wenn jemand nicht bereit ist, die Spielregeln einzuhalten, also etwa keine Abwendungsvereinbarung akzeptiert, dann sagen wir schon: „Wir schauen, wo wir euch wehtun können.“

Und dann?

Wir schauen uns jedes Haus einzeln an: Welche Wohnstruktur hat es, wer droht verdrängt zu werden? Wie teuer wäre der Kauf? Ziel ist es, eine harte Abwendungsvereinbarung zu unterzeichnen, ein Vorkauf ist nur die Ultima Ratio. Es geht um den Erhalt der Wohnbevölkerung eines Gebietes in seiner Struktur.

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