Das Klima retten ohne Kinder

Die Klimakrise ist zu einem Faktor in der Familienplanung geworden. Wis­sen­schaft­le­r:in­nen gehen davon aus, dass sich der Konflikt manifestieren wird. Dabei ist die Datenbasis für die Entscheidung durchaus umstritten

Sie haben die Zukunft der Welt in der Hand – nur wie? Foto: Fo­to: Paulina Westerlind

Von Susanne Schwarz
und Leonie Sontheimer

Emil Pfafferott will keine Kinder in die Welt setzen. „In unserer Welt, die nur auf Konsum und Profit ausgelegt ist, schaffen wir es schon jetzt nicht, alle zu ernähren“, sagt der 20-jährige Student der Sozialarbeit. „Was passiert erst, wenn Überflutungen und Dürren zum Alltag in den nördlichen Breiten werden – dabei soll ich noch Kinder großziehen?“ Solange keine Hoffnung auf Besserung in Sicht sei, werde er bei seiner Entscheidung gegen eigene Kinder bleiben, ist sich Pfafferott sicher.

Damit ist er nicht allein. Eine Umfrage hatte 2020 in Bezug auf die USA ergeben, dass bei rund 12,5 Millionen Menschen, die sich gegen Kinder entschieden haben, der Klimawandel in den Überlegungen eine Rolle gespielt habe.

Wie der Klimawandel die Familienplanung beeinflusst, ist aber insgesamt kaum erforscht. Matthew Schneider-Mayerson vom Yale-NUS College in Singapur, einer gemeinsamen Institution der US-amerikanischen Elite-Uni Yale und der National University of Singapore, hat im vergangenen Jahr die erste Studie zum Thema geleitet, die in einem begutachteten Fachmagazin erschienen ist.

Zusammen mit seiner Koautorin Kit Ling Leong hat der Sozialwissenschaftler herausgefunden: Pafferots Ängste sind verbreitet und wohl der Hauptgrund für Menschen, den Klimawandel in ihre Familienplanung einzubeziehen. Die beiden Wis­sen­schaft­le­r:in­nen befragten 607 Personen, die die Klimakrise nach eigenen Angaben in die Familienplanung einbeziehen oder einbezogen haben.

Nicht alle von ihnen haben sich gegen Kinder entschieden. Manche sind trotz ihrer Sorgen Eltern geworden oder planten, es noch zu werden, andere waren derweil unentschieden. Aber 99,5 Prozent von ihnen gaben an, dass sie sich wegen ökologischer oder sozialer Folgen der Klimakrise um ihren realen, erwarteten oder hypothetischen Nachwuchs sorgten. Mehr als 6 Prozent der Eltern gaben sogar an, es wegen der desaströsen Zukunftsaussichten zu bereuen, Kinder bekommen zu haben.

Alleiniger Faktor für die Entscheidung für oder gegen Kinder war die Klimakrise bei den wenigsten Studienteilnehmer:innen. Teilnehmen durften nur US-Amerikaner:innen zwischen 27 und 45 Jahren. In dieser Phase, so die Überlegung, findet die Familienplanung in den USA typischerweise statt. Das sollte zum Beispiel das Risiko eingrenzen, dass Menschen den Effekt der Klimakrise auf die eigene Biografie nachträglich überbewerten.

Emil Pfafferott hat sich nach einem Aufruf der taz auf Instagram gemeldet. „Spielt die Klimakrise eine Rolle, wenn ihr übers Kinderkriegen nachdenkt?“, haben wir auf unserem Kanal klima.taz gefragt. Das Publikum dort ist sicher nicht repräsentativ für Deutschland oder darüber hinaus, sondern vergleichsweise jung und von vornherein an Klimathemen interessiert. In dieser Gruppe hat die Frage aber einen Nerv getroffen: 960 beteiligten sich an der Umfrage, 81 Prozent von ihnen bejahten die Frage. Viele meldeten sich wie Pfafferott ausführlicher zurück und schrieben oder erzählten von ihren Sorgen und Überlegungen – und auch von ökologischer Erziehung und politischem Engagement.

„Mir ist bewusst, dass die Entscheidung, Kinder zu bekommen und diesem Planeten somit weitere Menschen aufzuzwingen, die klimaschädlichste Entscheidung meines Lebens war“, sagte etwa der 34-Jährige Andreas Kolmer, der Vater eines zweijährigen Sohns ist.

Auch diese Sicht haben Schneider-Mayerson und Kit in ihrer Studie vielfach gefunden: 87,1 Prozent der Befragten gaben als Grund für die Entscheidung gegen ein Kind oder die Sorgen um ihre Kinder an, dass neue Menschen wiederum einen ökologischen Fußabdruck hinterlassen.

Im Jahr 2017 sorgte eine Studie aus Schweden für Schlagzeilen. Das Ergebnis: Ein Kind weniger zu bekommen sei der effektivste Weg für Menschen im Globalen Norden, selbst einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.

Die Wis­sen­schaft­le­r:in­nen Seth Wynes und Kimberly Nicholas vom Zentrum für Nachhaltigkeitsstudien an der Universität Lund attestierten zwar auch anderen Änderungen am eigenen Leben einen nennenswerten Effekt: Auf ein Auto zu verzichten beispielsweise spare pro Jahr durchschnittlich 2,4 Tonnen CO2, nicht zu fliegen 1,6 Tonnen CO2 pro transatlantischem Hin- und Rückflug, eine vegetarische Ernährung mindere den CO2-Ausstoß jährlich um etwa 0,8 Tonnen gegenüber dem Fleischverzehr, heißt es in der Studie. Das alles ist nicht zu verachten bei dem, was ein Mensch in einem Industrieland jedes Jahr an Treibhausgasen freisetzt. In Deutschland sind es zurzeit rund 11 Tonnen CO2, in den USA sogar 16 Tonnen.

Aber ein zusätzliches Kind – berechnet ist das für den Durchschnitt von Japan, Russland und den USA – schlage gleich mit 58,6 Tonnen CO2 pro Jahr zu Buche, wenn man dessen Klimabilanz anders als üblich den Eltern anrechne. Auf das Kinderkriegen zu verzichten ist in der Rechnung der beiden Wis­sen­schaft­le­r:in­nen deshalb der klare Gewinner unter den verschiedenen individuellen Klimaschutzmaßnahmen in einem Industrieland.

„Die Debatte über ungeborenes Leben ist Bequemlichkeit“

Caroline Frumert, Tourismus-Managerin

Die Studie ist umstritten. Fach­kol­le­g:in­nen kritisieren unter anderem die Methodik: Erstens rechnen die beiden Wis­sen­schaft­le­r:in­nen nicht ein, dass der Lebensstil möglicher Kinder klimafreundlicher sein könnte als der der Eltern. Dafür beziehen sie sehr wohl ein, dass die Kinder wieder Kinder bekommen könnten, die wieder Kinder bekommen könnten. Beides führt zu einer Überwertung dieser individuellen Maßnahme.

Im Prinzip wirft diese Studie das Licht darauf, warum die Anzahl der Menschen auf der Erde gerade nicht das Kernproblem der Klimakrise ist – was vor allem Rechte unter dem Stichwort Überbevölkerung oft mit Blick auf höhere Geburtenraten im Globalen Süden behaupten. Schließlich beziehen sich Wynes und Nicholas auf Menschen in Industrieländern.

Der Knackpunkt ist der Überkonsum in den Industrieländern, denn gerade der ist es ja, der auch das Kinderkriegen laut der Rechnung so klimaschädlich macht.

„Die Debatte über ungeborenes Leben ist Bequemlichkeit“, antwortete die 30-jährige Caroline Frumert, die sich auf den taz-Aufruf hin gemeldet hat. Die studierte Tourismus-Managerin hat zwei kleine Kinder. „Bevor wir die CO2-Bilanz hypothetischer Personen infrage stellen, müssen wir die Klimabelastung durch unseren aktuellen Lebensstil diskutieren“, findet sie. „Systemische Krisen dürfen nicht in die private und hypothetische Handlungssphäre verlagert werden.“

Auch wenn die Angst vor dem Klimawandel nicht in allen Fällen dazu führt, dass Menschen sich gegen ein Kind entscheiden – sie wird in der Familienplanung künftig eine Rolle spielen, resümieren die Wis­sen­schaft­le­r:in­nen Schneider-Mayerson und Kit vom Yale-NUS College in ihrer Studie: „Dass es wegen des Klimawandels Sorgen in Bezug der Fortpflanzung gibt, scheint ein eher neues Phänomen zu sein, aber auch eines, das wahrscheinlich nicht verschwinden wird.“