Barbara Oertel über die Wahlen in Bulgarien
: Lust auf Experimente

Da sage jemand, die Bul­ga­r*in­nen hätten die Lust auf Experimente verloren. Mit über 25 Prozent wird die Protestpartei „Wir setzen die Veränderungen fort“ (PP), die erst wenige Wochen alt ist, bei der dritten Parlamentswahl in diesem Jahr stärkste Kraft. Offensichtlich trauen viele Wäh­le­r*in­nen den beiden Vorsitzenden Kirill Petkow und Asen Vasilew, Harvard-Absolventen und Ex-Minister eines Expertenkabinetts, einiges zu: einen monatelangen Stillstand zu beenden und mit der grassierenden Korruption aufzuräumen, die das Balkanland EU-weit zum Spitzenreiter macht.

Doch das Ergebnis enthält noch eine andere Botschaft. Es zahlt sich nicht aus, die Sorgen und Nöte der Bevölkerung vorgeblich ernst zu nehmen, sich dann aber der Verantwortung nicht zu stellen. Das musste jetzt der Showmaster Slawi Trifonow zur Kenntnis nehmen. Mit seiner Anti-Establishment-Partei „So ein Volk gibt es“ bei der Wahl im Juli auf dem ersten Platz, tat Trifonow in der Folgezeit so, als gehe ihn das alles nichts mehr an. Der Entertainer hätte sein Publikum lieber weiter in den Medien bespaßen sollen, anstatt sich in der Politik zu versuchen.

Doch zu überbordendem Optimismus besteht kein Anlass. Auch dieses Mal wird es nicht einfach werden, eine tragfähige Mehrheit zusammenzuzimmern. Wenn die PP den Auftrag zu einer Regierungsbildung erhalten sollte, müsste sie die Sozialisten mit ins Boot holen – ein Truppe, die eher am Status quo festhält.

Doch allen Befindlichkeiten zum Trotz: Den Beteiligten muss klar sein, dass es ein „Weiter so“ nicht geben kann. Das gilt nicht nur für korrupte Machenschaften der Mächtigen, gegen die 2020 Zehntausende Bul­ga­r*in­nen wochenlang auf die Straßen gegangen waren. Das gilt auch für aktuelle Probleme – allen voran Corona. Über 26.000 Tote und eine Quote vollständig Geimpfter von 23,4 Prozent sind auch das Ergebnis der erratischen Politik einer Führung, die seit Monaten nur übergangsweise regiert. Auch deshalb muss schnell eine arbeitsfähige Regierung her. Für viele Bul­ga­r*in­nen könnte das am Ende auch über Tod oder Leben entscheiden.

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