Weg mit dem bösen Mann!

KINDEROPER Hans Krásas Oper „Brundibár“ wurde 1941 in einem Prager Kinderheim uraufgeführt und danach im Konzentrationslager Theresienstadt gespielt. Nun wird sie von der Jugendtheatergruppe der Schaubühne neu interpretiert

VON KATHARINA GRANZIN

Das Mädchen Aninka und ihr kleiner Bruder Pepíček haben eine kranke Mutter, für die sie dringend Milch brauchen. Doch sie haben kein Geld. Auf dem Markt will ihnen kein Händler etwas schenken; und als sie versuchen, mit Singen Geld zu verdienen, werden sie vom bösen Leierkastenmann Brundibár verscheucht, der verhindern will, dass die Konkurrenz ihm das Geschäft verdirbt. Mit Hilfe anderer Kinder und der Tiere wird es Aninka und Pepíček schließlich gelingen, Brundibár zu verjagen.

Das ist, in Kürze, die Handlung der tschechischen Kinderoper „Brundibár“, die der jüdische Komponist Hans Krása 1938 schrieb. Der böse Leierkastenmann wurde vom damaligen Publikum als Stellvertretersymbol für die Schergen der SS oder auch für Hitler selbst gesehen. Die Uraufführung fand 1941 heimlich in einem Prager Kinderheim statt. Später wurde die Partitur durch den Komponisten erneut niedergeschrieben, nachdem er ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert worden war. Dort wurde das Stück viele Male erfolgreich aufgeführt. Die Rollen mussten oft neu besetzt werden, da immer wieder Darsteller in Vernichtungslager abtransportiert wurden. Später wurde die Oper sogar von den Nazis instrumentalisiert: Als Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes Theresienstadt besuchten, gehörte zu dem Potemkinschen Dorf, das man den Ausländern zeigte, auch eine Generalprobe von „Brundibár“. Das aufrührerische Potenzial des Stoffes war den Deutschen, da tschechisch gesungen wurde, nicht wirklich klar. Auch im Propagandafilm „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ sieht man eine Aufführung der Oper.

Gibt es Täter in der Familie?

Schon dieser verdrehte Beginn seiner Rezeptionsgeschichte, die vom Werk nie zu trennen sein wird, zeigt, dass „Brundibár“ es geradezu herausfordert, hinterfragt zu werden. An der Schaubühne hat nun die Regisseurin Uta Plate mit der Jugendtheatergruppe „Die Zwiefachen“ und Kindern aus dem Chor der Deutschen Oper eine Version erarbeitet, in der das Stück auseinandergenommen und auf seine Relevanz für unser schwer belastetes Geschichtsbewusstsein abgeklopft wird. Dazu ist die Oper als solche gründlich verschlankt worden. Die Gesangspartien nehmen den weitaus kleineren Teil des Abends ein, der Instrumentalpart wird ausschließlich von Klavier und Akkordeon bestritten. Im Vordergrund steht eine sehr heutige Reflexionsebene, die von den jugendlichen Akteuren der „Zwiefachen“ gleich zu Beginn auf den Punkt gebracht wird. Da sitzen David, Jacki, Noah, Trang, Astrid, Annika und Ikra und unterhalten sich über ihre Familien. Was die Großeltern in der Nazizeit gemacht haben, wer was gewusst haben kann und ob man vielleicht Täter in der Familie hatte? Was hätte man selbst getan? Das hat eine berührende Ernsthaftigkeit, die vergessen macht, wie einstudiert manche Dialoge noch klingen. Auch dass die Fragen nach Generationen immer noch dieselben sind, muss einfach so sein.

Manche Fragestellung aber ändert sich auch, denn die Lebenswelt der Kinder von heute kann mit der Welt von Aninka und Pepíček kaum noch zur Deckung gebracht werden. So wird in einer Szene diskutiert, was es heutzutage und hierzulande bedeutet, arm zu sein, und ob man unbedingt Markenklamotten haben muss.

Eine überraschende Volte

Als Aninka und Pepíček auf dem Marktplatz ihr Liedchen singen, geht diese Szene in ein musikalisches Medley von „Greatest Hits“ über, die von Abba bis Peter Fox reichen. In einer anderen Spielszene wird bürgerschaftlich engagiertes Handeln eingefordert und abschließend auch noch das dumpfe Nazitum der rechten Jugendszene karikiert. Und wenn man gerade denkt, jetzt sei das Ganze inhaltlich aber doch etwas überladen, macht die Inszenierung am Ende noch eine überraschende Volte, in der das Verhältnis von Gut und Böse auf den Kopf gestellt wird. „Nach Brundibar“ ist so vielschichtig wie nachdenklich und wird nie langweilig. Auch gesungen wird recht hübsch, wenngleich deutlich zu wenig, falls man denn in der Erwartung gekommen ist, eine Oper zu hören. Aber das stört die vielen Jugendlichen im Publikum, die hier die Zielgruppe sind, vermutlich nicht. Ihr heftiger Schlussapplaus scheint ehrlich gefühlt zu sein. Und das heißt wirklich was.

■ Letzte Aufführungen: Schaubühne, 23.–24. 6., 19.30 Uhr