„Es ist die Aufgabe meines Lebens“
„Umsetzen“ und „beschleunigen“ sind zentrale Begriffe für die neue Mobilitäts- und Klimaschutzsenatorin Bettina Jarasch (Grüne). Im taz-Interview erklärt sie, wie sie die Stadt umbauen, tödliche Unfälle vermeiden und die BürgerInnen beim Klimaschutz mitnehmen will
Interview Claudius Prößer
taz: Frau Jarasch, was Sie in Berlin stemmen, machen im Bund drei MinisterInnen. Mobilität und Klimaschutz sind enorm komplexe Themen. Haben Sie selbst ein bisschen Respekt vor der Aufgabe?
Bettina Jarasch: Und ob. Ich habe einen Heidenrespekt vor dieser Aufgabe, immerhin geht es um einen echten Umbau der Stadt. Die Mobilitätswende erfordert einen komplett anderen Umgang mit dem öffentlichen Raum, und auch für den Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel müssen wir Berlin umgestalten, entsiegeln, grüne Oasen schaffen. Aber ich weiß auch: Es ist die Aufgabe meines Lebens. Ich freue mich jeden Tag darüber, dass ich die Möglichkeit bekommen habe, diese großen Herausforderungen für Berlin anzugehen, und dass ich mich dabei auf eine Behörde mit fast 1.500 sehr kompetenten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verlassen kann. Gerade in den vergangenen Jahren sind viele auch deshalb dazugestoßen, weil sich hier etwas tut, etwa weil hier das bundesweit erste Mobilitätsgesetz erarbeitet wurde. Das hält mich wach, auch wenn meine Tage zurzeit verdammt lang sind.
Ihre Vorgängerin, Regine Günther, bekam viel Kritik ab – immer wieder wurde ihr zögerliches Handeln vorgeworfen. Was werden Sie anders machen?
Erst einmal möchte ich an dieser Stelle Frau Günther großen Dank aussprechen. Seit ich diese Behörde leite, kann ich ermessen, wie viel Grundlagenarbeit sie geleistet hat. Auch indem sie diese Verwaltung zu einer gemacht hat, deren MitarbeiterInnen für ihre Aufgaben beim Stadtumbau – sei es Verkehr, Klimaschutz, Stadtgrün – wirklich brennen. Sie musste dieses Haus ja erst einmal aufbauen. Ich habe aber schon im Wahlkampf immer gesagt: Wir müssen bei der Umsetzung schneller werden, das ist die ganz große Aufgabe für diese Legislatur. Der zweite neue Schwerpunkt ist die Perspektive auf den Stadtrand: Ich bin fest überzeugt, dass wir die Mobilitätswende vor allem in den Außenbezirken möglich und spürbar machen müssen. Nur dann kriegen wir sie auch innerhalb des S-Bahn-Rings hin.
Sie haben angedeutet, was Beschleunigen in Sachen Radinfrastruktur bedeutet: Um die Vorgaben in dieser Legislatur umzusetzen, müsse die Senatsverwaltung jährlich im Schnitt 280 Kilometer Radspuren bauen – in den letzten fünf Jahren waren es aber insgesamt nur 130 Kilometer. Wie soll das auf einmal so viel schneller gehen?
Das wird eine besondere Herausforderung – deshalb will ich vor allem keine Zeit versäumen. Bei der Umsetzung bestehender Planungsvorhaben sind neben der Hauptverwaltung in vielen Fällen die Bezirke zuständig – wobei wir diese Aufgabenverteilung perspektivisch verändern wollen. Um aber keine Zeit zu verlieren, habe ich den Bezirken im Rahmen des 100-Tage-Programms angeboten, die Umsetzung des Radverkehrsplans und der Radinfrastruktur an Hauptstraßen gemeinsam anzugehen. Wir können da Personal und Know-how einbringen, in einer Projekteinheit, ohne dass die Bezirke ihre Zuständigkeit verlieren. Etwas Ähnliches werde ich für die Umsetzung neuer Busspuren vorschlagen, die von meiner Verwaltung bereits angeordnet wurden, deren Umsetzung einzelne Bezirke aber aus Kapazitätsgründen nicht schaffen. Dieses Thema ist besonders wichtig, weil der ÖPNV nach der Coronakrise unbedingt Fahrgäste zurückgewinnen muss. Und wenn Busse im Stau stehen, ist das kein attraktives Angebot.
Stehen die Bezirksämter denn schon Schlange?
Aus einigen Bezirken habe ich schon die Rückmeldung, dass sie auf jeden Fall dabei sein wollen. Ich hoffe, dass es am Ende möglichst viele sind und wir bis Ende März eine Verwaltungsvereinbarung unterschreiben können.
Mit acht grünen Verkehrsstadträtinnen in den Bezirken sollte es aber auch wirklich funktionieren. Oder ist das kein Selbstläufer?
Ein Selbstläufer ist gar nichts. Aber dass in so vielen Bezirken grüne StadträtInnen für die Straßen- und Grünflächenämter zuständig sind, bedeutet, dass die Mobilitätswende und der Stadtumbau aus den Bezirken heraus vorangetrieben werden können. Das ist eine Riesenchance! Denken Sie an die Kiezblocks, wo es in allen Bezirken ganz unterschiedliche Initiativen gibt – hier ein Platz, dort eine Klimastraße, woanders der klassische Block mit Diagonalsperren für den Kfz-Verkehr. Was dabei an vielen Orten gleichzeitig entsteht, ist eine Stadt für Menschen anstatt für Autos. Flächen, die nicht nur verkehrsberuhigt sind, sondern die auch entsiegelt werden können, wo Regen versickern kann, wo es Bäume, Brunnen und Bänke gibt – wo sich Menschen in den Hitzesommern, die uns bevorstehen, ausruhen können. Wir brauchen diese öffentlichen Räume, denn einen Garten haben nur die wenigsten.
Zusammenarbeit ist gut, aber benötigen die Bezirke nicht einfach mehr Personal?
Ja, sicher, die Haushaltsverhandlungen im Abgeordnetenhaus stehen ja jetzt bevor. In den Koalitionsverhandlungen haben wir uns sehr darum bemüht, dass das Personal, das den Bezirken für die Sicherung des Rad- und Fußverkehrs zugesagt wurde, auch tatsächlich kommt. Ich setze fest darauf, dass das geschieht. Auch meine Verwaltung kann noch mehr Personal gebrauchen, wenn wir schneller in die Umsetzung kommen wollen. Aber die Knappheit, die es nun mal gibt, hält uns nicht davon ab loszulegen. Wir müssen anfangen, mit dem, was da ist – größer skalieren können wir es auch später noch.