Vorm zweiten Wahlgang in Frankreich: So macht wählen keinen Spaß

Was ist eine Mehrheit wert, die vor allem gegen Le Pen zustande kommt? Frankreichs Wahlrecht bringt Legitimationsprobleme mit sich.

Teenager laufen an zerrissenen Wahlkampfplakaten vorbei

Taktisches Wählen oder auch vote utile gehört in Frankreich zur politischen Früherziehung Foto: Thibault Camus/ap

In Frankreich stimmt man traditionell im ersten Wahlgang für und im zweiten gegen jemanden. Das wird nächste Woche nicht anders sein, wenn Emmanuel Macron gegen Marine Le Pen antritt und damit der zweite Wahlgang von 2017 wiederholt wird. Der Zeichner, Autor und Regisseur Joann Sfar, unter anderem bekannt für die Comicreihe „Le Chat du Rabbin“, brachte seinen Frust darüber noch am Wahlabend in einem Selbstporträt zum Ausdruck.

„Seit ich wählen kann, soll ich für Ärsche stimmen, um Le Pen zu verhindern“, legt er sich in einer Sprechblase selbst in den Mund. Damit beschreibt er den Frust vieler Franzosen und Französinnen, denen die Konstellation „Le Pen vs. das geringere Übel“ viel zu bekannt vorkommt. Sie lesen nun schon den dritten Band dieser Comicreihe, in dem statt Superhelden nur müde Wäh­le­r:in­nen vorkommen.

Wer in Frankreich wählt, sucht sich nicht einfach nach bestem Gewissen eine Kandidatin oder einen Kandidaten aus. Wählen bedeutet in Frankreich immer auch rechnen, taktieren und abwägen. Wer schafft es in die nächste Runde? Wo ist meine Stimme am wirksamsten? Und vor allem: Wie verhindere ich einen Sieg der Rechten?

Damit fängt man am besten früh an. Zum Initiationsritus von Erst­wäh­le­r:in­nen gehört es, ihnen zu erklären, wen sie zu wählen hätten, um Schlimmeres zu vermeiden. Taktisches Wählen oder auch vote utile gehört in Frankreich zur politischen Früherziehung. Sich von den Rechten die Wahlentscheidung diktieren zu lassen auch.

Dafür mitverantwortlich ist das französische Wahlsystem, das eine Stichwahl vorsieht, falls im ersten Wahlgang keine absolute Mehrheit erreicht wird. Ein zweiter Wahlgang war bisher bei jeder Wahl nötig. Der oder die Wahl­sie­ge­r:in kann sich im Anschluss mit Stimmen brüsten, die nicht für ihn oder sie, sondern gegen sei­ne:n Kon­tra­hen­t:in abgegeben wurden. Macron etwa wird auch in diesem Jahr hoffentlich von vielen seiner politischen Geg­ne­r:in­nen gewählt werden.

Die Wahlbeteiligung sinkt weiter

Das ist besonders schwer zu ertragen und schafft außerdem ein Legitimationsproblem. Denn was ist eine Mehrheit wert, die nur mithilfe der Angst vor einem Sieg der Rechten zustande kommt? Das Ergebnis ist auf der Straße zu sehen. In Deutschland wird gerne das Bild vom rebellischen Frankreich gezeichnet, das von Natur aus auf Krawall gebürstet sei. Vielleicht würden die Französinnen und Franzosen etwas seltener streiken, wenn sie besser repräsentiert werden würden? Vielleicht würden dann auch notwendige Reformen umgesetzt werden?

Ärsche wählen macht keinen Spaß. Und trotzdem werden viele Wäh­le­r:in­nen auch nächste Woche wieder gegen Le Pen ­stimmen. Auch Sfar: „Ich werde damit weitermachen“, heißt es in seiner Sprechblase weiter. Le Pen zu verhindern ist dabei längst zum Selbstzweck geworden, auf der Strecke bleibt die Begeisterung für politische Ideen, ebenso die Wahlbeteiligung, die trotz einer groß angelegten ­Social-Media-Kampagne der Regierung dieses Jahr um weitere fünf Prozentpunkte sank.

Was Le Pen bislang von einem Sieg abgehalten hat, ist die große Erzählung eines barrage, einer gemeinsamen Blockade gegen rechts. Mit jeder Wahl aber steigt die Gefahr, dass diese Erzählung abstumpft. Nicht mehr darin einstimmen wollen etwa die Studierenden, die in dieser Woche in Paris und Nantes Universitäten besetzten.

Aus Protest blockierten sie unter anderem die Sorbonne und Science Po Paris, die Hochschule, an der auch Macron studierte: aus Protest gegen den Zwang, sich zwischen ­Macron und Le Pen entscheiden zu müssen, und gegen eine Wahl, die ihnen keine Wahl lässt. Sie sind knapp 30 Jahre jünger als Joann Sfar und wollen mit dem Weitermachen gar nicht erst anfangen.

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