Streit um Nordirland-Protokoll: London will Brexit-Vertrag ändern

Die britische Regierung will Teile des Vertrags einseitig aushebeln. Die Gefahr eines Handelskriegs mit der EU wächst.

Liz Truss trägt einen Anzug und spricht in ein Mikrofon

Hat andere Pläne als die EU: Außenministerin Liz Truss im britischen Unterhaus

LONDON rtr | Die britische Regierung will mit einem neuen Gesetz Teile des Brexit-Vertrages aushebeln und hat damit entschiedenen Widerspruch in der Europäischen Union ausgelöst. Die von Außenministerin Liz Truss am Montag vorgestellten Pläne beziehen sich auf das Nordirland-Protokoll, das etwa den Grenzverkehr zwischen der britischen Provinz Nordirland und dem EU-Land Irland regelt. Truss will unter anderem, dass der Europäische Gerichtshof nicht mehr für Streitigkeiten bei der Umsetzung des Brexit zuständig ist. Mit der Zuspitzung wächst die Gefahr eines Handelskrieges zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich.

„Ich bin sehr bereit, mit der EU zu verhandeln, aber sie muss bereit sein, die Bedingungen dieses Abkommens zu ändern, die diese sehr ernsten Probleme in Nordirland verursachen“, sagte Truss. Der Vize-Präsident der EU-Kommission, Maros Sefcovic, widersprach umgehend: „Eine Neuverhandlung des Protokolls ist unrealistisch (…) Jede Neuverhandlung würde nur weitere Rechtsunsicherheit für die Menschen und Unternehmen in Nordirland bedeuten.“ Die irische Regierung erklärte, mit den Gesetzesplänen breche Großbritannien internationales Recht.

Das nun infrage gestellte Nordirland-Protokoll war von Großbritannien unterzeichnet worden. Truss rechtfertigt den teilweisen Ausstieg aus diesem Abschnitt des Brexit-Vertrages mit der sogenannten Doktrin der Notwendigkeit. Diese sieht nicht von der Verfassung gedeckte Maßnahmen vor, um Recht und Ordnung wieder herzustellen. Truss sieht das Karfreitags-Abkommen in Nordirland in Gefahr. Mit diesem Vertrag zwischen Großbritannien und Irland von 1998 wurden die jahrelangen bürgerkriegsähnlichen Konflikte in Nordirland beendet.

Teil der Friedensregelung ist eine kaum wahrnehmbare Grenze zwischen Nordirland und Irland. Da die EU aber nach dem Ausstieg Großbritanniens sicherstellen wollte, dass über diese Grenze nicht unverzollt Waren in die EU gelangen, werden Zollkontrollen derzeit im Warenverkehr zwischen der britischen Insel und Nordirland vorgenommen.

Nordirland ist damit noch Teil des EU-Binnenmarktes. Nordirische Nationalisten fürchten eine schleichende Abspaltung vom Vereinigten Königreich und auch unter den regierenden Konservativen von Premierminister Boris Johnson wächst der Unmut über die Sonderstellung Nordirlands.

„Nur bürokratische Vereinfachungen“

Die Regierung in London will nun unter anderem Steuervorschriften ändern und die Rolle des Europäischen Gerichtshofs als alleiniger Schiedsrichter bei Streitigkeiten beenden. Zudem ist ein Kennzeichnungssystem geplant, bei dem Grün für Produkte gilt, die im Vereinigten Königreich bleiben, und Rot für Exporte in die EU.

Johnson stellte am Montag die Pläne als eine verwaltungstechnische Formsache dar: „Wir versuchen nur einige bürokratische Vereinfachungen zwischen Großbritannien und Nordirland zu erreichen“, sagte er dem Radiosender LBC. Es handele sich um eine Reihe „relativ trivialer Änderungen“.

Brexit-Befürworter reagierten enttäuscht und erklärten, sie hätten weitere Schritte erwartet. Kritiker befürchteten, dass Großbritanniens Ansehen in der Welt durch die Infragestellung eines internationalen Abkommens untergraben würde. Die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, hat ebenfalls erklärt, dass es kein Handelsabkommen zwischen den USA und Großbritannien geben wird, wenn London das Protokoll aufkündigt.

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