Streit über AKW-Laufzeiten: Neues von der Scheindebatte

Eine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke wäre laut Experten wenig lukrativ. Nach Druck aus der Opposition wollen die Grünen das trotzdem prüfen.

Ein mann füllt eine Wasserflasche mit Wasser an einem Schlauch an der Straße

Auch eine Möglichkeit, mit den Temperaturen klar zu kommen: Szene in Köln Foto: Ina Fassbender/afp

BERLIN taz | Plötzlich steht ein Kuhhandel im Raum, propagiert von der Union am Sonntagabend: Die FDP möge ein Tempolimit auf Autobahnen akzeptieren, die Grünen dafür eine Verlängerung der Laufzeiten der noch in Betrieb befindlichen drei deutschen Atomkraftwerke.

Allerdings wäre die Gaseinsparung dadurch minimal, wie zwei Studien belegen: Berechnungen des Instituts Enervis zeigen, dass eine Laufzeitverlängerung der verbliebenen Atommeiler den deutschen Gasverbrauch im Jahr 2023 um etwa 12 Terawattstunden oder gerade 1,2 Prozent reduzieren würde. Simulationen von Energy Brainpool kamen sogar auf maximal 8,7 Terawattstunden, weil die Reaktoren vor allem die Stromerzeugung aus Braun- und Steinkohle verdrängen würden. Zudem würden die Stromexporte erhöht.

Die Stromexporte sind ein wichtiger Aspekt der Betrachtung, denn diese sind nach wie vor erheblich. Deutschland exportierte 2022 bisher mehr Strom, als die Atomkraftwerke hierzulande im gleichen Zeitraum erzeugten.

Das liegt auch daran, dass Frankreich auf Importe angewiesen ist, nachdem dort die alternden Reaktoren aufgrund technischer Probleme und zunehmend auch wegen Kühlwassermangels ausfallen. Am Dienstag war nur noch 40 Prozent der französischen AKW-Leistung verfügbar.

Brennelemente sind schwer zu beschaffen

Zur Frage, wie schnell für die deutschen Reaktoren theoretisch weitere Brennelemente zu beschaffen wären, gab es zuletzt widersprüchliche Aussagen. Mycle Schneider, Atompolitikberater in Paris, verweist auf die weltweit begrenzte Herstellungskapazität. Es könne zwar durchaus sein, dass man für einen Reaktor binnen eines Jahres Brennstoff bekomme, für einen zweiten Reaktor könne es dann aber schon viel länger dauern. Firmen wie Westinghouse hätten schon viel versprochen, etwa was Bauzeiten neuer Atomreaktoren betrifft.

Bei Brennelementen habe RWE mal von ein bis zwei Jahren Lieferfrist gesprochen: „Das halte ich für glaubwürdig“, so Schneider. Zur aktuellen Debatte in Deutschland sagt der Atomexperte: „Ein AKW knipst man nicht an und aus wie eine Glühbirne.“ Der Betrieb erfordere „ein komplexes mehrjähriges Zusammenspiel von Personal-, Material- und Dienstleistungsplanung“.

Bei einem alten Auto, dessen TÜV in Kürze abläuft, investiere man auch nicht mehr in neue Bremsen. Genau deshalb seien auch die AKW-Betreiber gar nicht an einem Weiterbetrieb interessiert. Müssten sie allerdings „auf Anweisung der Bundesregierung umplanen, würden sie das nur unter knallharten Bedingungen tun, zum Beispiel sehr hohen Kompensationszahlungen, Mindestlaufzeiten und Ähnlichem“.

Grüne lenken leicht ein

Auch Umweltverbände argumentieren daher mit der Sicherheit. Die Risiken und Kosten eines Weiterbetriebs stünden „in keinem Verhältnis zu den dadurch gewonnenen, vergleichsweise geringen Strom-Kapazitäten“, sagt Olaf Bandt, Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland. Die SPD und die Grünen ließen sich „mit einer populistischen Scheindebatte von CDU/CSU und FDP vor sich hertreiben“.

Auch die Grünen hatten bisher von einer Scheindebatte gesprochen, bevor sie am Sonntag ankündigten, den Sachverhalt nochmal ergebnisoffen zu prüfen: Die Bundesregierung kündigte eine zweite Sonderanalyse an, oft als Stresstest bezeichnet. Sie soll zeigen, ob im kommenden Winter noch ausreichend Strom verfügbar ist. Eine besondere Rolle dürfte dabei der Reaktor Isar 2 spielen – erstens, weil im deutschen Süden der Strom oft knapp ist, und zweitens, weil die Brennelemente des bayerischen Reaktors nach neueren Berichten noch über etwas Reserve über den Jahreswechsel hinaus verfügen.

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