Kriegspropaganda in Gießen

Umstrittenes „Eritrea-Festival“: Gegner kritisieren, dass dort unter dem Deckmantel einer Kulturveranstaltung Jugendliche militarisiert werden

Wird über Eintritt und Getränkepreise Kapital für das eritreische Regime generiert?

Von Marina Mai

Am Samstag wird nach zwei Jahren coronabedingter Pause in Gießen wieder ein Eritrea-Festival stattfinden. Hinter dem Wort „Festival“ versteckt sich eine Propagandaveranstaltung, auf der sich Eritrea, eine der brutalsten Diktaturen weltweit, von ihren in Deutschland lebenden Anhängern feiern lässt. Als die taz 2019 dort war, waren nach Veranstalterangaben 2.000 Dik­ta­tur­an­hän­ger ­gekommen. Das waren zumeist Eritreer aus Deutschland, die sich in den 1990er Jahren im nationalen Befreiungskampf gegen Äthiopien engagierten. Sie flohen damals nach Deutschland und ignorierten, dass die nationale Befreiungsbewegung Eritrea zu einer Diktatur formte, die gemeinhin das „Nordkorea Afrikas“ genannt wird. Jüngere eritreische Flüchtlinge, die in den letzten 15 Jahren vor der Diktatur flohen, standen auf der anderen Seite: Sie demonstrierten gegen die Diktatur-Feier.

Im Vergleich zu den Eritrea-Festivals bis 2019 dürfte der Ton dieses Mal schärfer werden. Grund dafür ist, dass Eritrea faktisch an Kriegshandlungen im äthiopischen Bürgerkrieg beteiligt ist. Petros Zere, Bundesvorsitzender der Exilorganisation Yiakl, sagt der taz: „Wir fürchten, dass über erhöhte Preise für Eintritt und Getränke Kapital für das eritreische Regime rekrutiert wird, das für den Krieg verwendet wird. Damit werden internationale Sanktionen gegen Eritrea umgangen.“

Das Regime will durch Propaganda die zweite Generation der in den 1990er Jahren nach Deutschland gekommenen Flüchtlinge erreichen, meint Zere: „Wer in Deutschland Rassismus erlebt, der ist möglicherweise sehr empfänglich für das eritreische Narrativ von einem vom bösen Westen zu Unrecht dämonisierten Land und ist oft bereit, sein letztes Hemd für Eritrea zu geben. Es kann aber nicht sein, dass unter dem Deckmantel einer Kulturveranstaltung in Gießen Jugendliche aus Deutschland militarisiert werden.“ Klaus-Dieter Grote von den Grünen in Gießen geht weiter: „Ich habe die begründete Vermutung, dass in Gießen unter Eritreern Soldaten rekrutiert und in den äthiopischen Bürgerkrieg geschickt werden sollen.“ Er hätte die Stadt damit konfrontiert und ein Verbot der Veranstaltung angeregt. „Dort hieß es aber, eine Rekrutierung von Soldaten für ausländische Armeen sei nur strafbar, wenn sie sich an deutsche Staatsbürger wendet und dieser Nachweis sei schwierig.“

Die Befürchtungen über einen militanten Verlauf des angeblichen Kulturevents stützen Videos im Internet von Eritrea-Festivals, die diesen Monat in den USA und Schweden stattfanden. Darin sind Menschen in eritreischer Militäruniform zu sehen, teilweise mit Waffen­attrappen, die sich in Marschformation mit der eritreischen Flagge aufstellen. Es wird dazu aufgerufen, in Europa lebende Flüchtlinge aus der äthiopischen Provinz Tigray zu attackieren.

Auf den Videos sind Hetzreden eines eigens aus Eritrea eingeflogenen „Poeten“ Awel Seid bei seinen Auftritten in Schweden zu hören, der auch Werbeträger für das Eritrea-Festival in Gießen ist. Er äußert sich kriegsverherrlichend und homophob, unterstützt und romantisiert die russische Invasion in der Ukraine und die Unterstützung Eritreas für Russland. Dabei nutzt er eine „Sprache der Entmenschlichung der Gegner“, so der Frankfurter Rechtsanwalt Marcel Kasprzyk, der die Diktaturgegner vertritt. Der Anwalt hat im Namen von eritreischen Diktaturgegnern das Ordnungsamt Gießen aufgefordert, die Veranstaltung zu verbieten oder aber zumindest den Auftritt des Propagandisten Awel Seid, das Tragen von Militäruniformen und Uniformteilen sowie das Sammeln von Geldern für den eritreischen Staat zu untersagen. In der niederländischen Gemeinde Rijswijk wurde nach den Bildern aus Schweden am letzten Wochenende ein Eritrea-Festival mit denselben Akteuren verboten.

Diese Möglichkeit sieht Gießens Bürgermeister Alexander Wright (Grüne) für Gießen nicht. „Die Veranstaltung könnte nur verboten werden, wenn unter anderem im Vorfeld klar wäre, dass strafbare Handlungen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit vorgenommen werden“, schreibt er der taz. Das Strafgesetzbuch gelte jedoch für diese Veranstaltung, so der Bürgermeister. Am Samstag wollen deutsche und eritreische Diktaturgegner in Gießen gegen das Festival demonstrieren.