SPD im Abwehrmodus

Das SPD-geführte Verteidigungsministerium will der Ukraine weiterhin keine Kampfpanzer liefern – mit fraglichen Argumenten

Ein deutscher Panzer vom Typ Gepard fährt auf dem Truppenübungsplatz in Putlos auf einen Mann mit erhobener roter Fahne zu. Hier werden ukrainische Soldaten bei Schießübungen ausgebildet

Kein Durchkommen für deutsche Offensiv­waffen: Panzer vom Typ Gepard hingegen, hier bei einer Übung in Schleswig-Holstein, gehören nicht dazu. Sie wurden bereits nach Kiew geliefert Foto: Steffen Kugler/Bundespresseamt/dpa

Von Tobias Schulze
, Anna Lehmann
und Sabine am Orde

Christine Lambrecht hat sich am Wochenende nicht ausgeruht. Zusammen mit Generalinspekteur Eberhard Zorn, dem obersten deutschen Soldaten, ist sie erneut die Bestände der Bundeswehr durchgegangen. Gibt es da nicht doch noch mehr Panzer, die Deutschland abgeben könnte? „Es wird weitere Unterstützung für die Ukraine geben“, berichtete die Verteidigungsministerin am Montag in Berlin in einer sicherheitspolitischen Grundsatzrede über das Ergebnis ihrer Inventur. Aber: Die Bundeswehr sei bei der Abgabe von Waffen schon „an die Grenzen gestoßen“. Für die Bündnisverteidigung innerhalb der Nato und für die Ausbildung der eigenen Sol­da­t*in­nen müsse auch noch genug Material übrigbleiben.

Und: Noch immer habe kein westliches Land Schützen- oder Kampfpanzer an die Ukraine geliefert. Mit den Partnerländern sei weiterhin verabredet, „dass wir da keine deutschen Alleingänge machen“. Leopard- oder Marderpanzer aus Deutschland hat die Ukraine demnach also weiterhin nicht zu erwarten.

Es ist die vorläufige Absage in einer alten Debatte, die übers Wochenende neu hochgekocht war. Die massiven Erfolge der ukrainischen Armee in der Region Charkiw haben den Forderungen nach weiteren Waffenlieferungen aus dem Westen Auftrieb gegeben. Das Gegenargument, dass die Ukraine besetzte Gebiete kaum zurückerobern könne und die Zufuhr von Waffen den Krieg höchstens verlängern würde, scheint widerlegt.

Entsprechend forderte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba am Samstag bei dem Besuch seiner deutschen Amtskollegin Annalena Baerbock in Kiew nachdrücklich mehr deutsche Hilfe. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg machte deutlich, dass er eine Niederlage der Ukraine aktuell problematischer fände als Lücken in den Arsenalen von Nato-Staaten. Und einem Bericht der Süddeutschen Zeitung zufolge denkt die US-Regierung darüber nach, der Ukraine künftig doch auch eigene Kampfpanzer zu spenden. Das Hauptargument der Regierung, nicht aus dem Bündnis ausscheren zu wollen, wäre dann hinfällig.

Lambrecht aber sagt: Als sich vergangene Woche verschiedene Ver­tei­di­gungs­mi­nis­te­r*in­nen des Westens in Ramstein trafen, um weitere Waffenlieferungen zu koordinieren, habe sie von ihrem US-amerikanischen Amtskollegen nichts dergleichen vernommen. Und auch Nato-Chef Stoltenberg habe sie nicht so verstanden, dass es egal sei, ob Deutschland künftig noch genügend Panzer habe, um den Bündnisverpflichtungen nachzukommen.

Bei den Koalitionspartnern stoßen solche Aussagen Lambrechts und anderer SPD-Politiker*innen auf wenig Verständnis. Außenministerin Baerbock vermied bei ihrem Kiewbesuch am Samstag zwar ebenfalls Bekenntnisse zu einer substanziellen Änderung der deutschen Linie. Das hatte aber wohl hauptsächlich damit zu tun, dass sie die So­zi­al­de­mo­kra­t*in­nen nicht durch eine öffentlich ausgetragene Diskussion verärgern und in die Trotzecke drängen will.

Grüne aus der zweiten Reihe sind offensiver. „Mehr Waffen für die Ukraine bedeuten weniger Folter und Vergewaltigungen und mehr gerettete Zivilist*innen“, schrieb am Montag die Bundestagsabgeordnete Jamila Schäfer auf Twitter und fasste damit die Stimmungslage in der Partei gut zusammen. In der FDP sieht man es ähnlich. So meint Marie-Agnes Strack-Zimmermann: „Deutschland muss umgehend seinen Teil zu den Erfolgen der Ukraine beitragen.“ Dazu gehöre die Lieferung von Marder- und Leopard-Panzern.

„Ich teile nicht den Glauben daran, dass man Russland militärisch in die Knie zwingen kann“

Ralf Stegner, SPD

Würde in Berlin eine Jamaika-Koalition regieren, wäre das vermutlich schon lange geschehen. CDU-Chef Friedrich Merz hat am Wochenende auf dem Bundesparteitag die Unterstützung der Union noch einmal bekräftigt. „Mit FDP und Grünen zusammen hätte ich eine Exportgenehmigung für 100 Marder-Schützenpanzer für die Ukraine erteilt“, sagte er.

Die SPD bleibt aber auch über Verteidigungsministerin Lambrecht hinaus skeptisch, sowohl bei weiteren Lieferungen aus Bundeswehr- als auch aus Industriebeständen. „Eine deutsche Vorreiterrolle im militärischen Bereich halte ich schlicht für falsch“, sagt der Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner der taz. Bei der militärischen Hilfe gelte: Teamplay mit den Verbündeten. Die Debatte werde seiner Meinung nach aber gegenwärtig viel zu sehr auf diese militärische Hilfe verengt. „Ich teile nicht den Glauben daran, dass man Russland militärisch in die Knie zwingen kann“, meint Stegner. „Dieser Krieg muss letztendlich am Verhandlungstisch beendet werden.“

Allerdings gibt es auch in der SPD Abgeordnete, die das anders sehen – zum Beispiel Michael Roth. Der Krieg trete gerade in eine entscheidende Phase ein, in der es darauf ankomme, schnell zu handeln, so der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses zur taz. Grundsätzlich sei es richtig, sich mit den Verbündeten abzustimmen. „Ich erwarte nun, dass die USA, Deutschland, Frankreich und Polen sehr schnell klären, wie es angesichts der neuen Lage, in der die Ukraine eine realistische Chance hat, diesen Krieg zu gewinnen, möglich ist, dem Land die Waffen zu liefern, die es jetzt braucht, um von Russland besetzte Gebiete zu befreien.“ Dazu gehören auch Schützen- und Kampfpanzer. Deutschland solle Waffen lieber jetzt der Ukraine zur Verfügung stellen, als in den Depots zu lassen, sagte Roth.