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Ein rechtes Wirrwarr

Jetzt ist es offiziell: Die rechtspopulistischen Schwedendemokraten sind zweitstärkste Kraft in Schweden. Die Regierungsbildung des konservativ-rechten Lagers dürfte kompliziert werden

Konsequent: Die abgewählte Minister­präsidentin Magdalena Andersson hat ihren Rücktritt eingereicht Foto: Tim Aro/reuters

Aus Stockholm Reinhard Wolff

Es hat ein paar Tage gedauert, so knapp war das Ergebnis. Aber seit dem späten Mittwochabend steht fest: Der Erfolg der rechtsextremen Schwedendemokraten bei der Parlamentswahl vom Sonntag verhilft dem konservativ-rechten Lager in Schweden an die Macht. Wie die neue Regierung am Ende aussehen wird, dürfte sich in mühsamen Verhandlungen erst nach und nach herauskristallisieren.

Klar ist: Die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Magdalena Andersson ist abgewählt. Sie räumte die Niederlage ihrer Regierung noch am Mittwochabend ein. In der Wahlnacht hatte sie knapp vorne gelegen, mit dem Fortgang des Auszählens der Stimmen drehten sich die Mehrheitsverhältnisse. Die bisherige Mitte-links-Regierungskonstellation aus Sozialdemokraten, Grünen, Zentrumsliberalen und Linken kommt nun auf 173 Mandate, die Parteien des bürgerlichen Spektrums – also die konservativen „Moderaten“, Christdemokraten und Rechtsliberale – kommen zusammen mit den nun zweitstärksten rechtsextremen Schwedendemokraten auf 176 Mandate.

Noch-Ministerpräsidentin Andersson äußerte ihre Sorge über den Einfluss der Schwedendemokraten auf die künftige Regierungspolitik und appellierte an den mutmaßlichen künftigen Regierungschef, den Moderaten Ulf Kristersson, sich seiner deshalb großen Verantwortung bewusst zu sein. Am Donnerstag ging sie einen Schritt auf ihn zu, nachdem sie ihr Abschiedsgesuch eingereicht hatte. Sie betonte vor Journalisten in Stockholm: „Wenn die Moderaten es sich anders überlegen und mit mir anstatt den Schwedendemokraten zusammenarbeiten wollen, steht ihnen die Tür offen.“ Dieser Weg gilt jedoch als äußerst unwahrscheinlich (siehe Interview).

Kristersson seinerseits – eigentlich doppelter Wahlverlierer, weil er seinen Moderaten nicht nur in zwei Wahlen zwei Niederlagen bescherte, sondern die Partei nun erstmals seit 40 Jahren auf den dritten Platz unter den acht Reichstagsparteien abrutschte – kündigte seine Kandidatur für das Amt des Ministerpräsidenten an. In einer auf Facebook verbreiteten Videobotschaft sprach er in fast salbungsvollem Tonfall davon, eine Regierung für „ganz Schweden“ und für „alle Mitbürger“ bilden zu wollen. Die politische Polarisierung sei auch in Schweden viel zu groß geworden, sagte er. Er wolle vereinen, aber auch „wirkliche Meinungsunterschiede“ respektieren.

Voraussetzung dafür, dass Kristersson „Schweden in Ordnung bringen“ kann, wie er es nennt, und dafür, dass Parlamentspräsident Andreas Norlén ihn für eine Wahl zum Ministerpäsidenten nominiert, wäre nun, dass er eine ausreichende Mehrheit im Reichstag präsentieren kann. Norlén lud die Parteichefs am Donnerstag zu Gesprächen in der kommenden Woche ein, danach will er Kristersson mit der Regierungsbildung beauftragen.

Minderheitsregierungen gab es bereits in der Vergangenheit

Erste Gespräche darüber, wie genau eine Regierung Kristersson aussehen könnte, laufen seit Montag zwischen den beteiligten Parteien. Eine regelrechte Koalition müsste es nicht sein. Minderheitsregierungen, die sich in Form von konkreten Übereinkommen mit anderen Parteien deren parlamentarische Unterstützung sichern, sind in Schweden üblich. In den vergangenen beiden Legislaturperioden gab es solche sozialdemokratisch geführten Minderheitsregierungen. Grundlage war jeweils, dass diese Regierungen sich mit verbleibenden Parteien über die Kriterien für eine gemeinsame Politik einig wurden.

Die Wunschregierung Kristerssons scheint eine Koalition aus Konservativen, Christdemokraten und Rechtsliberalen zu sein, die sich auf die Stimmen der Schwedendemokraten (SD) stützen kann, ohne dass diese Teil der Koalition werden. Die SD wären einerseits mit ihren 73 Mandanten – 5 mehr als die Konservativen – das größte politische Gewicht in einer solchen Konstellation, die Kristersson bislang etwas schwammig als „meine Seite in der Politik“ bezeichnet. Andererseits gibt es aber bei aller demonstrativen Einigkeit Differenzen in vielen politischen Fragen zwischen den vier Parteien, etwa bei der Migrations- oder Gleichstellungspolitik. Eine Einigung dürfte also gar nicht so einfach werden – es sei denn, man klammert erst mal so viele Streitfragen wie möglich aus.

Die Liberalen kündigten bereits an, dem 58-Jährigen ihre Unterstützung zu entziehen, sollte er die Rechtsnatio­nalisten an den Kabinettstisch holen. SD-Chef Jimmie Åkesson, dessen Partei 20,5 Prozent der Stimmen holte – 3 Prozentpunkte mehr als 2018 – erhob zwar in der Wahlnacht Anspruch auf Kabinettsposten, allerdings machte er auch deutlich, dass die Partei darauf verzichten würde, direkt an der Regierung beteiligt zu sein, und sie stattdessen informell unterstützen könne.

In diesem Fall würden die SD die Regierungspolitik stark beeinflussen können, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Beobachter halten es für realistisch, dass die SD die Regierung im Parlament unterstützen wird – wenn sie dafür politische Posten zu ihren bevorzugten Themen oder auch den Vorsitz im Parlament erhält.

Die politische Lage mit hoher Inflation und drohender wirtschaftlicher Rezession, einem „Energiekrieg“, dem immer noch unsicherem Nato-Beitritt und nicht zuletzt der Aussicht, dass Schweden ab 1. Januar den EU-Vorsitz übernehmen wird, passt mit einer schwachen Regierung, die bei jeder wichtigen Entscheidung erst langwierig verhandeln muss, nicht so ganz zusammen.

Hinzu kommt, dass schon der Frak­tionsaustritt oder Seitenwechsel von ein oder zwei Abgeordneten die Mehrheitsverhältnisse verkomplizieren oder gar wenden könnte. Im Schnitt der letzten Legislaturperioden gab es jeweils drei solcher Parteiaustritte oder -wechsel. Magdalena Andersson war in der Schlussphase ihrer Regierung beispielsweise gezwungen, gesonderte Übereinkommen mit Amineh Kakabaveh, einer nach dem Austritt aus der Fraktion der Linkspartei parteilosen Abgeordneten, zu treffen.

Daran, dass eine Regierung Kristersson mit der derzeit anvisierten parlamentarischen Grundlage wirklich eine Legislaturperiode durchhalten könnte, scheinen sogar die Beteiligten selbst zu zweifeln. So beendete Johan Pehrson, Parteivorsitzender der Rechtsliberalen, in der Wahlnacht eine Rede auf der Wahlparty seiner Partei mit dem Satz: „2026 ist dann ja wieder Wahl. ­Spätestens.“

Mitarbeit: Anne Diekhoff