Von Vision Zero weit entfernt

Eine Statistik der Unfallkommission zeigt, wie viele Menschen auf Berlins Kreuzungen zu Schaden kommen

Trauriger Spitzenreiter ist die Kreuzung am Frankfurter Tor in Berlin-Friedrichshain Foto: Panthermedia/imago

Von Claudius Prößer

Das Frankfurter Tor in Friedrichshain ist einer der gefährlichsten Orte Berlins – jedenfalls in Bezug auf Verkehrsunfälle, bei denen Menschen zu Schaden kommen. Wie aus einer Statistik der Berliner Unfallkommission hervorgeht, kam es dort seit 2019 zu insgesamt 348 Unfällen. In 70 Fällen wurden Personen verletzt, bei 10 Fällen handelte es sich um schwere Verletzungen. Damit „führt“ die Kreuzung im stadtweiten Ranking der Unfallschwerpunkte.

Die Liste wurde von einer anonymen AntragstellerIn über das Portal „Frag den Staat“ angefragt und von der Berliner Polizei übermittelt. Sie weist insgesamt 1.504 Örtlichkeiten aus, wo es innerhalb der beobachteten drei Jahre mindestens 5 Unfälle mit sogenannten Personenschäden gab.

Auf den ersten Plätzen rangieren hinter dem Frankfurter Tor die Anschlussstelle der A 100 an der Seestraße zwischen Charlottenburg und Mitte (482 Unfälle, davon 57 mit Personenschaden, 5 mit Schwerverletzten), die Kreuzung Alexanderstraße / Karl-Liebknecht-Straße / Memhardstraße (253/55/3), der Loui­se-Schroeder-Platz (138/52/10) und die Kreuzung Otto-Braun-Straße/Mollstraße (406/52/3). Danach folgen drei weitere Knotenpunkte im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg – der Bereich rund um die Mehringbrücke, der Kreisverkehr am Kottbusser Tor und die Friedrichshainer Seite der Oberbaumbrücke.

An 135 Kreuzungen kam es zwischen 2019 und 2022 zu Unfällen mit mindestens 20 Personenschäden, an 563 Kreuzungen waren es in diesem Zeitraum mindestens 10 verletzte Personen. Bei genauerer Betrachtung gibt es etliche Unfallschwerpunkte, die im „Ranking“ auf hintere Plätze rutschen, weil sie nicht als einzelner Knotenpunkt betrachtet werden. So kam es am Großen Stern rund um die Siegessäule zu insgesamt 780 Unfällen (98 mit Personenschäden, 7 mit Schwererletzten). Im Fall des Ernst-Reuter-Platzes waren es 701 Unfälle (52 mit Personenschäden, 7 mit schweren Verletzungen).

„Trauriger Platz 1“, twitterte der grüne Abgeordnete Vasili Franco am Dienstag über das Frankfurter Tor. Gegenüber der taz räumte er ein, dass Berlin „vom Ziel der Vision Zero bekanntlich noch weit entfernt“ sei – um ihm näherzukommen, brauche es „ein ganzes Bündel von Maßnahmen: angefangen bei der Verkehrsplanung über die Einführung von Tempo 30 auch auf Hauptverkehrsstraßen und die Verpflichtung zum Einbau von Abbiegeassistenten in Lkws bis hin zur konsequenten Ahndung von Verstößen“. Wer eine Strafe zu befürchten habe, so Franco, „der überlegt sich dann bei Gelb vielleicht, ob er noch mal extra das Gaspedal durchdrückt“.

Auf die Frage, ob in Berlin nicht die Grünen selbst die Verkehrswende in der Hand hätten, verwies Franco auf die Zuständigkeit des Bundes für viele Aspekte und die unrühmliche Rolle der FDP. „Nicht nur der Zivilgesellschaft, sondern auch uns Grünen und auch Frau Jarasch geht die Verkehrswende zu langsam“, so der Abgeordnete. Am Frankfurter Tor, wo gerade ein Pop-up-Radweg verstetigt werde, „ist erst seit der Zuständigkeit der Grünen im Senat überhaupt etwas passiert“.

Aber wie sieht der berlinweite Trend aus? Nehmen die Unfälle ab? Laut dem Sprecher der Verwaltung von Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch (Grüne), Jan Thomsen, sind die Zahlen stark durch das Pandemiegeschehen beeinflusst. In den zehn Jahren davor allerdings hätten die Unfallzahlen mit Toten und Verletzten „teils stark geschwankt“. Der „eindeutig positive Trend aus den Jahrzehnten davor“ – als die Zahlen klar rückläufig waren – „ließ sich noch nicht verstetigen“. Auch aus diesem Anlass erarbeite man aktuell das Verkehrssicherheitsprogramm 2030 – „wozu allerdings deutlich mehr gehört als der Umbau von Kreuzungen“.

Maßnahmen wurden laut Thomsen bereits an 73 Örtlichkeiten auf der Liste umgesetzt, bei vielen befinde man sich in der Planungsphase. Hinzu komme die Tätigkeit der Unfallkommission, die Maßnahmen für jeden Knotenpunkt vorschlägt, an dem es zu tödlichen Unfällen gekommen ist – die tauchen gar nicht unbedingt auf der Liste auf.