Mohamen Amjahid Die Nafrichten
: Das Ende der Gemeinschaft auf zwei Rädern

Foto: Fo­to: ­privat

Auch ich werde alt. Das hat wenig damit zu tun, dass ich mittlerweile meine Knochen spüre. Und nein, diese Erkenntnis ist nicht in Jahren aufzuwiegen. Sie ist verknüpft mit einem Gefühl: Rage. Die empfinde ich jedes Mal, wenn ich einen dieser E-Roller in Großstädten sehe.

E-Roller – und damit auch die Betreiber dieses Verunmöglichens von Gemeinschaft im öffentlich Raum – sind schlicht die Pest. In Berlin, Köln oder Frankfurt heißen sie Tier, Bolt, Lime, Bird oder Voi. Ihre Slogans: „Change mobility for good“ (Dabei haben sie nur Schlechtes über uns gebracht) oder „Ride Green“ (eher blau wegen blaues Auge, wenn man angefahren wird).

Beim E-Roller-Wahnsinn werde ich zu den nörgelnden Greisen auf dem Opernbalkon der „Muppet Show“. Greise im Plural. Meine Empörung würde die Energie von Statler und von Waldorf aufbrauchen.

Niemand in der Stadt benötigt E-Roller zur Miete: Geschäftsmänner, die mit flatternder Krawatte ihre Männlichkeit performen, können sich selbst einen E-Roller kaufen, und weil sie Geschäftssinn besitzen, werden sie mit ihrem Besitz ganz anders umgehen und ihn nicht mitten auf Gehwegen liegen lassen. Touris sollten lieber laufen oder Fahrräder ausleihen oder teure Touri-Tickets für den Nahverkehr kaufen. Das betrunkene und zugedröhnte Partyvolk sollte sich in den Park legen und ein Nickerchen machen, anstatt sich durch die Stadt mit Motor zu bewegen und andere zu gefährden. Halbstarke Jugendliche, die den Kick suchen, können sich von mir aus auf der Kirmes in einem Gehege gegenseitig überfahren. Neulich sind drei Kids auf einem (!) E-Roller über Rot gefahren und haben nur knapp überlebt, weil ein Autofahrer eine Vollbremsung hingelegt hat.

Ich bin vor Kurzem fünf Kilometer durch Berlin gelaufen und habe mitgezählt: 34 E-Rol­ler lagen quer auf dem Gehweg, sie ragten auf Fahrradstreifen oder versperrten schmale Zugänge zwischen Dauerbaustellen und Eingängen zu U-Bahnhöfen, sodass sich lange Schlangen von Fuß­gän­ge­r*in­nen bildeten. Mir ist es so was von egal, dass ich nun wie ein verklemmter Bürgi daherkomme, der E-Roller zählt und in seiner Kolumne petzt. Diese Wut hat mit Solidarität zu tun.

Die Fünftage­vorschau

Fr., 16. 12.

Peter Weissenburger

Unisex (auf taz.de)

Mo., 19. 12.

Simone Dede

Ayivi

Diskurspogo

Di., 20. 12.

Saskia Hödl

Kinderspiel

Mi., 21. 12. Lin HiersePoetical Correctness

Do., 22. 12. Molitor, NoemiSubtext

kolumne @taz.de

Denn für meinen alten Körper sind die E-Roller erst mal kein Problem. Andere Menschen stellen sie aber vor existenzielle Fragen: Eine aktuelle Studie besagt, dass Blinde und sehbeeinträchtigte Menschen, Se­nio­r*in­nen und kranke Menschen in der Stadt Angst haben, sich auf den Gehweg zu begeben – wegen der E-Roller-Apokalypse.

Das muss man sich erst mal vorstellen: Der Fußverkehr als darwinistisches Spiel, in dem man sich mit einem funktionierenden Körper, 1 Euro Grundgebühr pro Fahrt plus 20 Cents pro Minute einfach das Überleben erkaufen kann. E-Roller markieren das Ende der Gemeinschaft im öffentlichen Raum. Sie sollten unbedingt verboten werden.