Anerkennung als Völkermord

IS-Gräueltaten an der êzîdischen Glaubensgemeinschaft will der Bundestag als Genozid einstufen. Tausende Opfer sollen damit mehr Hilfen erhalten, Täter zur Rechenschaft gezogen werden

Von Tanja Tricarico

Sie wurden verfolgt, misshandelt und brutal ermordet: Der Terror gegen die êzîdische Religionsgemeinschaft, insbesondere im Irak und in Syrien, zählt zu den dunkelsten Kapiteln der IS-Verbrechen. Am Donnerstag will der Bundestag darüber abstimmen, die Gräueltaten als Genozid einzustufen und der Opfer gedenken. Möglich macht dies ein interfraktioneller Antrag der Ampelfraktionen gemeinsam mit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

„Die Anerkennung als Völkermord hilft bei der Aufarbeitung der Geschehnisse“, sagte die SPD-Bundestagsabgeordnete Derya Türk-Nachbaur. „Die Täter von damals müssen weiterhin mit einer Strafverfolgung rechnen.“ Und Türk-Nachbaur bekräftigt: Man werde alles dafür tun, um den Verfolgungsdruck aufrecht zu erhalten. Im entsprechenden Antrag, der der taz vorliegt, ist die Rede von der besonderen Verantwortung Deutschlands. Diese begründet sich zum einen daraus, dass die größte êzîdische Diaspora in der Bundesrepublik lebt. Schätzungen zufolge sind dies zwischen 150.000 bis 200.000 Menschen, weltweit gehören rund eine Million Menschen der Glaubensgemeinschaft an. Der Großteil lebt im Irak. Zum anderen spielt die Beteiligung deutscher Staatsbürger an den Taten eine Rolle. Der Verfassungsschutz geht davon aus, dass sich seit 2012 etwa 1.000 Personen von der Terrormiliz IS haben rekrutieren lassen.

Im Sommer 2014 verübte die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) einen brutalen Überfall auf die in der nordirakischen Region Sindschar lebenden Êzîd:innen. Tausende Menschen wurden verschleppt oder ermordet. Frauen und Mädchen wurden vergewaltigt und versklavt, Männer unter Bedrohung ihres Lebens gezwungen, zum Islam zu konvertieren. Ganze Dörfer wurden zerstört. Bis heute leben mehrere Hunderttausend Êzî­d:in­nen in Flüchtlingslagerrn und können nicht zurück.

Den fraktionsübergreifenden Antrag bezeichnete Michael Brand (CDU) als politisch starkes Signal. „Es ist wichtig, dass Deutschland nicht nur den Genozid als solchen anerkennt, sondern zugleich die historische Aufarbeitung sowie die rechtliche Verfolgung der Verbrechen und den Schutz für die Kultur und Religion auf nationaler und internationaler Ebene voranbringen wird“, sagte der menschenrechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Nur so könnten die Grundlagen für die Befriedung der Sindschar-Region und einen langfristigen Versöhnungsprozess geschaffen werden.

Teil des Antrags ist auch die Forderung, das Schicksal Tausender noch vermisster Êzî­d:in­nen aufzuklären. Außerdem soll es mehr Unterstützung für Binnenvertriebene geben. Brand appellierte an die internationale Gemeinschaft, „gemeinsam mit der irakischen Zentralregierung sowie der kurdischen Regionalregierung Lösungsansätze zu finden, um die Situation der Menschen in den Camps zu verbessern. „Hier braucht es konkrete diplomatische Initiativen der Bundesregierung“, so Brand.

Mit der Anerkennung der Verbrechen gegen die Êzî­d:in­nen als Völkermord würde der Bundestag der rechtlichen Bewertung eines UN-Sonderermittlungsteams folgen. Auch das Europäische Parlament, Armenien oder Australien haben die Gräueltaten als Genozid anerkannt. Die Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Düzen Tekkal begrüßte den fraktionsübergreifenden Antrag. „Je mehr Nationen Verbrechen gegen die Menschheit anerkennen, desto stärker ist das Versprechen, solche nie wieder geschehen zu lassen“, schrieb sie auf Twitter.