Zara statt Brautmode und Starbucks statt Mokka

Der österreichische Investor René Benko hat große Pläne für den Karstadt am Hermannplatz. Bewohner warnen vor steigenden Mieten, Verdrängung und Gentrifizierung

Wird es am Hermannplatz bald so aussehen wie auf dem Ku'damm? Foto: Jens Gyarmaty

Aus Neukölln Jonas Wahmkow

Von außen betrachtet sieht die Welt auf den letzten Metern der Sonnenallee, bevor die Straße in die Nordseite des Hermannplatzes mündet, noch in Ordnung aus. In einem Restposteladen findet man Hausschuhe für 3 Euro, in einem Afroshop Yam-Wurzeln, die sonst in keinem Supermarkt zu finden sind, und in arabischen Konditoreien gibt es das beste Baklava der Stadt.

Doch die Idylle ist bedroht: Steigende Mieten setzen schon jetzt viele Gewerbetreibenden auf der Sonnenallee unter Druck. Nun will ausgerechnet auf dem benachbarten Hermannplatz ein österreichischer Investor mit dem Umbau des Karstadt-Gebäudes ein Pres­tige­projekt realisieren. Das droht die Mieten in der Gegend noch weiter in die Höhe zu treiben.

„Es wird nur noch schlimmer“, berichtet Ahmet Yilmaz, Betreiber eines Shisha-Geschäfts, resigniert. Eigentlich heißt er anders, aber seinen Namen möchte er nicht in der Zeitung lesen. Seit sieben Jahren betreibe er den Laden, regelmäßig bekomme er Mieterhöhungen. Bei den benachbarten Läden sei die Situation ähnlich. „In den nächsten Jahren werden hier viele Läden Pleite machen“, vermutet Yilmaz. Der unerbittliche Kreislauf der Gentrifizierung hat in den letzten Jahrzehnten den Charakter vieler Kieze in Berlin grundlegend verändert. Bislang konnte die Sonnenallee und der anliegende Hermannplatz dieser Dynamik widerstehen. Statt Edelcafés und hochpreisiger Modeketten bestimmen hier immer noch günstige Gastronomie und migrantisches Kleingewerbe das Straßenbild.

Auch der Hermannplatz, der zwischen zwei Hauptverkehrsstraßen nur wie eine etwas größere Verkehrsinsel wirkt, besitzt noch vieles von dem, was den Neuköllner Charme ausmacht: In einem Stimmengewirr aus Arabisch, Türkisch und Deutsch wuseln U-Bahn-Passagiere und Markt­be­su­che­r:in­nen über den Platz, kaufen zu günstigen Preisen Gözleme, Gemüse, Currywurst und China-Importwaren.

Genau hier will der österreichische Investor Signa mit dem Umbau des Karstadt-Gebäudes, der die gesamte Westseite des Hermannplatz einnimmt, sein Prestigeprojekt verwirklichen. Der derzeit eher schmucklose Funktionsbau aus den 50er Jahren soll radikal umgebaut und erweitert werden. Die Fassade des monumentalen, in den letzten Kriegstagen zerstörten Art-déco-Baus von 1929 soll rekonstruiert werden, mitsamt zweier bis zu 60 Meter hoher Türme.

Geg­ne­r:in­nen des Projekts fürchten, dass Signa mit dem Umbau die Spekulationsspirale in der Umgebung weiter anheizen wird: „Wir gehen davon aus, dass die Gewerbemieten auf jeden Fall steigen werden“, sagt Susanna Kahlefeld. Die grüne Politikerin sitzt mit einem Direktmandat für den Kiez im Abgeordnetenhaus.

Über 500 Millionen Euro will Signa investieren und damit dem Hermannplatz ein „identitätsstiftendes Wahrzeichen“ spendieren, wie es in den Präsentationen des Konzerns heißt. Ein Projekt dieser Größenordnung hat Auswirkungen auf die gesamte Umgebung. Steht auf dem Platz, der bisher in den überregionalen Medien vor allem als kriminalitätsgeplagte No-go-Area dargestellt wird, nun ein architektonisches Juwel, steigert das automatisch den Wert der umliegenden Immobilien.

Doch Mietsteigerungen sind nicht die einzige Gefahr, die das Projekt mit sich bringt. Nach dem Umbau soll die Karstadtfi­lia­le deutlich verkleinert werden. Dafür sollen fast 50.000 Quadratmeter Bürofläche entstehen. Bei vergleichbaren Großprojekten in Berlin, wie beim Zalando-Campus oder beim Amazon-Tower, ziehen voraussichtlich zahlungskräftige Unternehmen ein. Die gutverdienende, oft internationale Belegschaft hat andere Bedürfnisse als die lokale Bevölkerung. „Die Leute, die da reinkommen, sind eine komplett neue Klientel“, sagt die Architektin Niloufar Tajeri, die sich seit Jahren in der Initiative „Hermannplatz“ gegen den Karstadt-Umbau engagiert. „Signa ist interessiert daran, dass sich die Läden in der Umgebung verändern.“ Also Zara statt Brautmode und Starbucks statt Mokka. Umstritten ist auch, welche Identität Signa mit dem Projekt stiften will. „Es ist eine Art von Geschichtsrevisionismus, bei dem getan wird, als wäre es wieder 1929“, kritisiert Tajeri. Der Stil des Nachkriegsbau sei bewusst zurückhaltend, um sich vom vergangenen Monumentalismus abzugrenzen.

Der österreichische Milliardär René Benko, der hinter Signa steht, ist politisch kein unbeschriebenes Blatt. Immer wieder wird gegen ihn in Korruptionsfällen ermittelt. Im Oktober 2022 gab es eine Hausdurchsuchung, weil er versucht haben soll, einen Finanzbeamten zu bestechen. Auch besteht der Verdacht, Benko habe der rechtsextremen FPÖ illegale Parteispenden zukommen lassen.

Doch der Karstadt-Umbau am Hermannplatz wäre keine typische Berliner Verdrängungsstory, wenn nicht die Politik trotz aller Warnungen zweifelhaften In­ves­to­r:in­nen den roten Teppich ausrollen würde. Besonders die in Neukölln regierende SPD zeigt sich begeistert von dem Projekt. Nachdem Signa seine Pläne Anfang 2019 vorstellte, bezeichnete SPD-Bezirksbürgermeister Martin Hikel den Umbau als eine „Chance für den Bezirk“. Der für die Planung verantwortliche Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg teilte allerdings die Bedenken und legte zunächst ein Veto ein. Eigentlich wäre das Projekt damit gescheitert, doch Signa schaffte es durch geschicktes Taktieren das Baurecht in greifbare Nähe zu rücken.

Als 2020 der Kaufhauskonzern Galeria-Karstadt-Kaufhof, dessen Eigentümer ebenfalls Sig­na ist, das erste Mal Insolvenz anmeldete, handelte das Unternehmen mit dem damaligen Senat einen Deal aus: Mehrjährige Bestandsgarantien für vier Berliner Galeria-Filialen, dafür Baurecht für den Umbau am Hermannplatz und zwei weitere umstrittene Großprojekte.

Infolgedessen zog der Senat die Planung an sich und treibt seitdem das Projekt engagiert voran. Obwohl es nicht Teil des Deals war, versprach Bausenator Andreas Geisel (SPD) sogar, den Bebauungsplan innerhalb von 100 Tagen aufzustellen. Was – ansonsten eher untypisch für Berlin – auch passierte. Trotz eines weiteren Insolvenzverfahrens, erheblicher Bedenken wegen des Denkmalsschutzes und der Statik der darunterliegenden U-Bahn-Tunnel rechnet Signa selbstbewusst mit einem Baubeginn noch in diesem Jahr.

Auch Shishaladen-Betreiber Yilmaz hat wenig Zweifel, dass sich der Immobilienkonzern am Ende durchsetzen kann: „Wenn die Leute genügend Geld haben, können sie sich alles erlauben.“